Migrationspolitik Eklat bei Gottesdienst: Die CDU ist schwer nervös

Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz
Hat mit seinem Migrationsvorstoß eine heftige Debatte ausgelöst: Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (auf dem Parteitag am Montag in Berlin)
© Florian Gaertner/ / Imago Images
Seit dem Migrationsvorstoß von Friedrich Merz ist die CDU massiven Anfeindungen ausgesetzt. Wie nervös die Partei ist, zeigt ein Vorfall bei einem Gottesdienst.

Die Nerven liegen blank bei der CDU. Das bekamen Reporter (darunter auch der stern) am Montag beim Auftaktgottesdienst der Konservativen vor ihrem Parteitag in Berlin zu spüren: Sie wurden aufgefordert, die Berichterstattung in Wort, Ton und Bild zu unterlassen. Der Vorfall zeigt auch die Spannung zwischen der Partei mit dem C im Namen und den beiden großen Kirchen.

Prediger Jüsten hatte die CDU scharf kritisiert

Am Montagmorgen hatten sich die CDU-Führung und rund 200 Delegierte in der evangelischen Grunewaldkirche im gleichnamigen Berliner Ortsteil getroffen. Sie waren gekommen, um traditionell vor Beginn des Parteitags gemeinsam Gottesdienst zu feiern.

Doch diesmal hatte die Zeremonie eine heikle Note: Denn das Grußwort wurde von der Bevollmächtigten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Prälatin Anne Gidion, gehalten, die Predigt von ihrem katholischen Counterpart, Prälat Karl Jüsten. Beide hatten in der vergangenen Woche eine Stellungnahme der beiden großen Kirchen veröffentlicht, in der sie Merz davor warnten, bei einer Abstimmung im Bundestag zu einer verschärften Migrationspolitik auf die Stimmen der AfD zu bauen. 

Bei der Union war die Stellungnahme teilweise mit Wut aufgenommen worden. In den sozialen Netzwerken unterstellten CDU-Mitglieder den Kirchen ein "links-grünes" Abdriften, einige drohten offen mit Austritt.

In der CDU-Parteizentrale fürchtete man nun offenbar eine weitere öffentliche Maßregelung und teilte daher Medienvertretern mit, der Gottesdienst sei nicht presseöffentlich. "Das Vorgehen war vorab mit der Gemeinde abgeklärt und wurde dann so umgesetzt“, sagte ein Sprecher. Die gastgebende Gemeinde hatte dem stern aber vorab mitgeteilt, dass eine Berichterstattung natürlich möglich sei. 

Funktionär schnauzt Reporter an

Vor Ort unternahm ein Funktionär der CDU dann einen neuen Versuch: In harschem Ton befahl er kurz vor Beginn des Gottesdienstes in der Kirche dem Reporter des "Deutschlandfunk" und der Reporterin des stern, jegliche Tonaufzeichnungen des Gottesdienstes sowie Bildaufnahmen zu unterlassen. Dies sei nur den Medien der Parteizentrale gestattet. 

Die Aufregung war überflüssig. Denn sowohl EKD-Vertreterin Gidion als auch Jüsten von der Katholischen Kirche waren um einen versöhnlichen Ton bemüht. Es sei ein "guter Brauch, vor den Parteitagen Gottesdienst zu feiern", sagte Gidion zur Begrüßung: "Gerade im Wahlkampf, wenn es hoch hergeht, die Nerven angespannt sind". 

Kirchen verurteilen die Gewalt gegen CDU-Vertreter

Sie erinnerte an den Apostel Paulus: Auch dieser habe bei seiner Mission, das Christentum zu verbreiten, oft Widerstand und ein Ringen darum erlebt, was das Richtige und wer die Gegner seien. Ein solcher Streit aber bedeute nicht Entfremdung. 

Gidion verurteilte "aufs Schärfste" die Gewalt, der CDU-Politiker und -Mitarbeiter in den vergangenen Tagen ausgesetzt waren. So musste unter anderem die Parteizentrale in Berlin evakuiert werden, weil es massive Drohungen gab. An anderen Orten wurden Parteibüros beschädigt, Politiker erhielten Morddrohungen in Folge des Migrationsstreits.

Was Wahlkämpfer mit den Jüngern Jesu gemein haben

In seiner Predigt rief Karl Jüsten dazu auf, für christliche Werte und "für die Wahrheit" einzutreten. Dabei stützte er sich auf eine Passage im Lukas-Evangelium (Lukas 10, Vers 1-11), in der Jesus Jünger auf Mission durchs Land schickt. Sie hätten sich dabei in ähnlicher Situation wie Wahlkämpfer von heute wiedergefunden: Diese wüssten auch nicht, was sie erwartet. Für letzteres hatte Jüsten auch gleich einen Trost parat: Jesus setze seine Jünger nicht unter Erfolgsdruck. Er empfiehlt ihnen, bei Ablehnung einfach den Staub abzuschütteln und weiterzugehen. 

Auch Jüsten verurteilte die Gewalt in der jüngsten Diskussion. "Wir haben die bittere Erfahrung machen müssen, dass Wahlkampf gefährlich werden kann", sagte er. "Deshalb verurteilen wir Kirchen aufs Schärfste, wenn Parteibüros besetzt werden und die dort Arbeitenden in Angst und Schrecken versetzt werden, wenn im Netz Politikerinnen und Politiker mit Mord bedroht werden, wenn der politische Gegner herabgesetzt und entwürdigt wird."

Historiker Rödder regte Verzicht auf "C" an

Die Konfrontation zwischen den Kirchen und der CDU wirft ein Schlaglicht auf einen schon länger dauernden Prozess der Entfremdung. Lange wurde unter Konservativen die Verbundenheit mit Glaube und Kirche nicht infrage gestellt, das Christlich-Soziale immer als eine der drei Wurzeln der Christdemokratie – neben dem liberalen und dem konservativen Element – betont. 

Doch in jüngeren Jahren wuchs die Kritik, insbesondere gegenüber der Evangelischen Kirche, der eine zu starke Neigung zum links-grünen Milieu vorgeworfen wurde. Der Haushistoriker der CDU, Andreas Rödder, regte in einem Bericht zur Aufarbeitung der Fehler bei der Bundestagswahl 2021 sogar an, über das "C" im Parteinamen nachzudenken. Ein Ansinnen, das aus der Partei empört zurückgewiesen wurde.

Die Stellungnahme der Kirchen in der vergangenen Woche empörte auch deshalb viele in der CDU, weil sie als unbotmäßige Einmischung in den Wahlkampf verstanden wurde. „Der Zeitpunkt der Veröffentlichung der Stellungnahme war äußerst ungünstig, da mitten in der heißen Phase eines Wahlkampfs", sagte Thomas Rachel, CDU-Parlamentarier und Vorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises von CDU und CSU dem stern. Die eigentliche Aufgabe von Kirche sei es doch, "auch in kontroversen Debattenlagen, Gesprächsfähigkeit in der Gesellschaft und den Zusammenhalt zu fördern", so Rachel. Er ist aber auch überzeugt: "Die Beziehung zwischen CDU/CSU und den Kirchen ist so intensiv, dass sie auch kontroverse Situationen aushält.“

Die Kirchen sind sich wiederum einig in ihrer Ablehnung der AfD. Dies haben sie in der Vergangenheit mehrfach in Stellungnahmen klargemacht. So veröffentlichte die Deutsche Bischofskonferenz bereits im vergangenen Februar eine Erklärung zum Thema mit dem Titel "Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar". Darin wird betont, dass die AfD für Christen nicht wählbar sei. 

Prälat erinnert Merz an ein Versprechen

Der Gottesdienst vor dem Parteitag dürfte dazu beigetragen haben, die Wogen zwischen CDU und den Kirchen wieder etwas zu glätten. Zum Schluss wandte sich Prälat Jüsten noch einmal explizit an Parteichef Friedrich Merz. Er vertraue darauf, dass dieser sein Versprechen einhalte. Gemeint war die mehrfache Erklärung des Parteivorsitzenden, in der er eine Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch ausschloss. "Dann haben Sie uns auch an Ihrer Seite", beteuerte Jüsten. Dann dankte er der CDU dafür, gegen Rassismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit einzutreten.

Auch Friedrich Merz zeigte sich versöhnlich. Später auf dem Parteitag dankte er sowohl Gidion als auch Jüsten ausdrücklich für die Gottesdienstgestaltung: "Das war ein guter Start in den Tag."