Im September vor sechs Jahren hatte sich eine bemerkenswertae Gesellschaft im Regensburger Schloss St. Emmeram eingefunden. Auf Einladung der Fürstin von Thurn und Taxis waren erzkatholische Intellektuelle wie Prälat Wilhelm Imkamp und Martin Mosebach gekommen, eleganter Hochadel sowie kirchliche Würdenträger – darunter Kardinal Gerhard Ludwig Müller und Papst-Bruder Georg Ratzinger. Im Zentrum der Versammlung stand ein hochgewachsener afrikanischer Herr in Kardinalsrobe, über dessen "außergewöhnliche spirituelle Ausstrahlung" an jenem Abend viel geschwärmt wurde. Und noch eine fixe Idee machte bei dem einen oder anderen Tischgespräch des Abends die Runde: Könnte dieser Mann nicht eines Tages sogar Papst sein?
Wer ist Robert Kardinal Sarah?
In der Zwischenzeit ist viel geschehen. Papst Franziskus geht seinen Erneuerungskurs konsequent weiter, in der Amazonas-Synode wurden neben den drängenden ökologischen Fragen auch die "Heiligen Kühe" angetastet, also die Möglichkeit verheirateter Priester und das Diakonat von Frauen diskutiert. Ein Alptraum für alle Konservativen in der Kirche, die damit den klaren Willen Gottes verletzt sehen.
Auch von der Ankündigung von Franziskus I., selbst den Weg in den päpstlichen Ruhestand zu gehen, ist nichts mehr zu hören. Das hängt natürlich davon ab, dass Benedikt XVI. nach wie vor erstaunlich rüstig ist und es sich ausschließt, dass sich ein zweiter Papa emeritus in den vatikanischen Gärten hinzugesellen könnte. Zum anderen setzen viele Gläubige – und ganz besonders die revolutionslustige deutsche Kirche weiterhin große Hoffnungen in den Argentinier. Der hat inzwischen wichtige Stellen im Vatikan neu besetzt, seine Kritiker wie den früheren Präfekt der Glaubenskongregation Kardinal Müller aus seiner einflussreichen Position entfernt. Die Zahl der Kardinäle, die durch Franziskus ernannt worden sind, und die eines Tages auch einen neuen Papst wählen werden, übersteigt inzwischen die Hälfte deutlich. Es scheint, als hätte aus der konservativen Garde nur einer an exponierter Stelle überwintert: der 74-Jährige Robert Kardinal Sarah.
Als Präfekt der Liturgiekongregation bekleidet er eine der einflussreichen Positionen im Vatikan. Von großer Bedeutung ist auch, dass er der höchstrangige Afrikaner in der gesamten Katholischen Kirche ist und damit einen ganzen und für die Zukunft der Weltkirche immens wichtigen Kontinent hinter sich hat. Bereits im Herbst 2017 bekam er von Franziskus einen öffentlichen Rüffel, da er dessen Reformkurs wiederholt infrage gestellt hatte. Die Publikation des neuen Buches spricht nicht dafür, dass er sich diese Ermahnung sonderlich zu Herzen genommen hätte.
Geboren wurde Sarah in einfachen Verhältnissen in einem weit entlegenen Dorf Guineas, er entstammt der Volksgruppe der Coniagi, die an einen Gott namens Ounou glaubte, bis es von französischen Ordensleuten missioniert wurde.In der Elfenbeinküste konnte Sarah mit Unterstützung der Kirche zur Schule gehen. Bereits als Kind will er eine "brennende Sehnsucht, Gott zu erfahren" gespürt haben, wie er in seinem biographischen Gesprächsband "Gott oder Nichts" erzählt. Nach dem Studium der Theologie und Philosophie in Frankreich und Senegal begann seine steile kirchliche Karriere. Im Alter von 34 wurde er von Papst Johannes Paul II. zum damals jüngsten Bischof der Welt ernannt. Als Erzbischof diente er seiner Heimat in politisch schwierigen Zeiten, 2001 wechselte er als Sekretär der Missionskongregation nach Rom.
Sarah beeindruckte die Päpste reihenweise
Offensichtlich beeindruckte der Afrikaner nicht nur seinen Mentor Johannes Paul II., sondern auch beide Nachfolger. Benedikt XVI. machte ihn zu einer Art vatikanischen "Entwicklungshilfeminister", Papst Franziskus beförderte ihn 2014 zum Chef der Liturgie. Doch dann begann Sarah mit sehr offener Kritik am Reformkurs und vergriff sich bei der Debatte über Ehe und Familie mit Nazi-Vergleichen massiv im Ton.
Aus seiner ausgeprägt erzkonservativen Linie hat Sarah nie einen Hehl gemacht. "Nein, der Zölibat ist nicht verantwortlich für den Mangel an Berufungen in einigen Ländern der Welt", sagt er 2015. "In diesen speziellen Fällen und auch anderswo wäre die Weihe verheirateter Männer eine trostlose Mogelpackung, eine Illusion, ein bequemer Weg, der in die Irre führt." 2016 ermunterte er die Priester, wieder wie vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (mit dem Rücken zur Gemeinde) zu zelebrieren – wobei ihm dann Franziskus öffentlich widerspricht. Diese deutliche Zurechtweisung führte offenbar dazu, dass Sarah nun den offenen Bruch sucht. Anders ist das neu erschienene Buch nicht zu interpretieren.
Die brisante Frage des aktuellen Eklats bleibt, inwieweit Benedikt XVI. tatsächlich Mitinitator dieser Schrift war. Die Erklärungen von Ratzinger-Vertrauten, die gemeinsame Autorenschaft sei ohne Autorisierung Benedikts passiert und eine reine Behauptung, lässt Sarah in denkbar schlechtem Licht dastehen. Der reagiert darauf auch reichlich empört und spricht von "Lügen" und "außergewöhnlich schweren Diffamierungen". Auf Twitter zitierte Sarah wiederum Benedikt XVI. mit den Worten, ein Priester solle "Wache halten gegen die hereindrängenden Mächte des Bösen". Unumstritten ist, dass der emeritierte Papst einen Text beigesteuert hat und von dessen Veröffentlichung wusste. Die Verkaufsmasche der diversen Verlage, Benedikt groß auf den Titel zu heben, ist nachvollziehbar, aber eben nicht richtig seriös. Die Wahrheit dürfte wohl in der Mitte liegen.
Benedikts Rolle wurde wohl deutlich überhöht und er selbst damit missbräuchlich in Stellung gegen Franziskus gebracht, was den Status des uralten Mannes beschädigt. Gleichzeitig war das Verhältnis von Sarah und Benedikt stets geneigt und respektvoll, Sarah sprach über den Papst, der ihn so förderte, als müsste man diesen zarten vergeistigten Mann noch selbst auf dem Heiligen Stuhl beschützen. "Er verkörperte die Nachsicht, die Milde, die Demut und die respektvolle Güte Gottes", hat Sarah über den alten Papst gesagt. Er hätte sehr gelitten, als "die Wölfe gegen ihn wüteten". Besonders tief verletzt sei Ratzinger aber gewesen, "wenn seine Gedanken von den Zeitungen verzerrt in einem Maße entstellt wiedergegeben wurden, dass sie zum genauen Gegenteil seiner Argumentation wurden". Ausgerechnet.
Ein Afrikaner als nächster Papst?
Oft hieß es, dass Benedikt XIV. mit Wohlwollen auf den energischen Afrikaner im Kardinalsrot geblickt hatte, weil dieser sich gerne als Lordsiegelbewahrer des Ratzinger'schen Erbes empfohlen hatte. Gleichzeitig sollte man nie aus den Augen verlieren, dass die Einordnung zwischen progressivem Bergoglio und konservativem Ratzinger nie so ganz gestimmt hatte. Auch Ratzinger war in vielem mutig, den Kampf gegen den Missbrauch durch Priester hat als erstes er offensiv angepackt. Gleichermaßen würde es auch dem amtierenden Papst niemals in den Sinn kommen, etwa Frauen als Priester zu weihen.

Über die Zukunft Kardinal Sarahs kann man nur spekulieren. Im Juni wird er 75 und muss gemäß Kirchenrecht dem Papst seinen Amtsverzicht anbieten. Ebenfalls endet seine fünfjährige Amtszeit als Präfekt noch in diesem Jahr. Es würde niemanden ernsthaft verwundern, wenn die Dienste nicht weiterhin in Anspruch genommen würden. Gleichzeitig wäre es unklug, den Konservativen und den afrikanischen Katholiken ihre jeweils maßgebliche Identifikationsfigur aus dem Weg zu räumen. Zumal, da ihn durch den jüngsten Disput nun die ganze Welt kennt.
Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass angesichts der Entwicklung des Christentums weltweit der nächste Papst ein Afrikaner sein sollte. Mit Peter Turkson, einem lebensfrohen weltoffenen Mann aus Ghana, der bei der Gartenparty der deutschen Botschaft zum Heiligen Stuhl auch mal am Schlagzeug trommelt, stünde für diese Stellenausschreibung auch ein deutlich liberaleres Gegenmodell zur Verfügung. Als braver Katholik darf man sich entspannt zurücklehnen, die Entscheidung fällt bekanntermaßen am Ende ohnehin der Heilige Geist.