Früher, als es noch okay war, Kolumnen mit dem Wort "früher" zu beginnen, da war alles einfacher. Früher gab es an dieser Stelle zum Beispiel noch nicht den Herrn Beisenherz, mit dem ich mich beim Schreiben abwechsele und folglich regelmäßig austausche, damit wir nicht aus Versehen dasselbe schreiben. (Das kommt öfter vor, als man glauben sollte. Kolumnisten schreiben nämlich nicht voneinander ab, sondern beim Großen Zeitgeist persönlich, der alle in sein Heft gucken lässt, der blöde Mistkerl.)
Herr Beisenherz nun, so super er ansonsten ist, antwortet auf Mails schleppend bis gar nicht. Ich habe ihn gefragt, wie er denn am besten zu erreichen sei, blöderweise habe ich das per Mail getan. Seine Antwort kam nach für mich absolut empörenden, sittenwidrigen, zivilklageträchtigen sechs Tagen: Ja, sorry, er wisse schon, er sei da ein bisschen schlampig, aber wichtige Mails packe er halt in den Ordner "Wichtige Mails", um sie dann in Ruhe zu beantworten.
Es wird immer schwieriger, jemanden zu erreichen
Das ist nun wirklich niedlich, Männerlogik vom Feinsten: Was wichtig ist, wird aufgeschoben, bis es unwichtig ist. Je später die Antwort, desto wichtiger war’s mal gewesen; wenn man also erst nach einem Monat was hört, darf man sich echt was drauf einbilden.
Aber ein schönes Thema, das mir der Kerl da in den Schoß wirft: Kommunikationsverhalten im 21. Jahrhundert. Durch das exponentielle Wachstum der Möglichkeiten, etwas von sich zu geben und zu sich zu nehmen, ist es nicht etwa einfacher, sondern schwieriger geworden, einander zu erreichen. Jeder Mensch hat nämlich seinen Lieblingskanal, über den er gern sendet und empfängt.
Zwischen 18 und 20 Uhr antwittern

Meike Winnemuth
Die Bestsellerautorin ("Das große Los") schreibt wöchentlich im stern. Und freut sich auf Sie. Was bewegt Sie gerade? Tauschen Sie sich mit unserer Kolumnistin aus:
facebook.com/winnemuth
Einige (zumeist Ältere) telefonieren gern. Andere (zum Beispiel ich, ebenfalls älter, aber zu jung zum Telefonieren) mailen lieber. Wieder andere simsen fast nur noch. Oder whatsappen. Oder snapchatten. Oder schicken Brieftauben. Karl Lagerfeld war lange berühmt dafür, mit Freunden und Geschäftspartnern ausschließlich per handschriftlich verfasstem Fax zu verkehren; wer was von ihm wollte, hatte nur seinetwegen ein allmählich verstaubendes Faxgerät im Regal stehen.
Schwierig wird es dadurch, dass man sich bei seinen Kontakten – parallel zu den grassierenden Lebensmittelunverträglichkeiten – neuerdings auch die Kommunikationsunverträglichkeiten merken muss, weil man sonst nie ganz sicher sein kann, dass Nachrichten angekommen und nicht irgendwo im Info-Orkus verschüttgegangen sind. Inzwischen müsste man fast bei jedem kleine Fußnoten ins Adressbuch schreiben: Den da nur zwischen 18 und 20 Uhr antwittern und die dort niemals auf dem Festnetz anrufen, das landet eh nur auf dem AB, der nie abgehört wird.
Blutige Anfänger gegen die Kinder von heute
Logisch ist die Vorliebe für bestimmte Mitteilungswege schon längst nicht mehr. Mit einer Freundin, die ich nie telefonisch, aber problemlos per Whatsapp oder Facebook-Messenger erreiche, habe ich ganze Abende damit zugebracht, Gott, die Welt und den ganzen Rest zu bekakeln – was wir uns jeweils zu sagen hatten, hätten wir vermutlich in halbstündigen Telefonaten abhandeln können. Haben wir aber nicht. Vermutlich weil wir beide es mögen, Chats mit drei bis vier Leuten gleichzeitig am Laufen zu halten, derweil wir mit einem Auge "Tatort" gucken – chinesische Teller-Jongleure sind ein Dreck gegen uns.
Wir wiederum sind blutige Anfänger gegen die Kinder von heute, die innerhalb einer Minute snapchatten, instagrammen und zehn Whatsapp-Gruppen bespielen – neuerdings gern, indem sie sich gegenseitig Ton-Nachrichten schicken. Telefonieren? Oh bitte! Das ist sooo 2010.

Wollen Sie nichts mehr vom stern verpassen?
Persönlich, kompetent und unterhaltsam: Chefredakteur Gregor Peter Schmitz sendet Ihnen jeden Mittwoch in einem kostenlosen Newsletter die wichtigsten Inhalte aus der stern-Redaktion und ordnet ein, worüber Deutschland spricht. Hier geht es zur Registrierung.
Jedenfalls: Beisenherz, wir müssen reden. Wie? Tja, wenn ich das wüsste, würde ich dies hier ja nicht schreiben, Schätzchen.