Ex-Süchtige über Horror-Rauschgift "Crystal Meth ist so gefährlich wie Heroin"

Bettina M. nahm 15 Jahre lang Crystal Meth. Die Droge half ihr zu funktionieren. Irgendwann verkaufte sie den Stoff, bis die Polizei sie schnappte. Heute ist sie clean und kämpft gegen die Sucht.

Bemerkt hatte es keiner. Nicht die Kollegen und nicht der Chef, auch die Kunden nicht. Bettina M. (Name von der Redaktion geändert) hatte gut funktioniert und arbeitete selbständig "und immer ergebnisorientiert", wie sie sagt. Wenn es sein musste, war die Buchhalterin bis 22 Uhr im Büro. "Ich war der Prototyp für ein neues Arbeitszeitmodell", sagt sie. Bettina M. hatte scheinbar unerschöpfliche Energie. Sie arbeitete bei einem Energieversorger, in einer Behörde, bei einer Sicherheitsfirma und immer bekam sie beste Zeugnisse.

Doch dann erhielt ihr Vater einen Tipp von einem befreundeten Polizeibeamten. Bettina sei wohl in schlechte Kreise geraten, wo man Crystal Meth konsumiere. Das war Mitte der Neunziger Jahre, sie war damals dreißig, wohnte in einer anderen Stadt. "Mein Vater hat mich ganz schön zur Brust genommen." Warum sie dieses Gift nehme? Bettina M. log, sie nehme es erst seit ein paar Monaten. Dabei hatte sie sich längst daran gewöhnt.

Ein Bröckchen jeden Morgen, damit sie in die Gänge kam, damit das "normale Leben" funktionierte. Sie kam doch immer so schlecht raus. "Als Kind musste mich meine Mutter jeden Morgen fünfmal wecken." Ihr Phlegma hielt auch während des Studiums an. Der Stoff lag in ihrem Nachttisch bereit. Noch im Bett nahm sie Crystal, mit Eistee, um den ekligen chemischen Geschmack zu überdecken. "Ich schluckte Crystal so wie andere Kaffee trinken. Dann war ich glockenhell wach und aufnahmefähig." Der Push reichte in der Regel für acht Stunden. Manchmal legte sie nach, schluckte im Büro-Klo eine zweite Ration, "ein Tütchen hatte ich immer dabei". Sie war vorsichtig, eine winzige Dosis reichte, maximal drei Zehntel Gramm. Höchstens ein Gramm pro Tag.

Sie glaubte, es steuern zu können

Schon als Abiturientin hatte sie Speed genommen, Speed brachte sie auf Touren. Doch Crystal, stellte sie fest, war anders. Es wurde ihr eines Abends im Bekanntenkreis angeboten. "Das war um Längen besser." Sie rauchte es nicht - "ich bin Asthmatikerin, das tue ich meinen Lungen nicht an" - sondern löste es auf und trank es. Der Effekt stellte sich auf diese Weise langsamer ein. "Es dauerte etwa zwanzig Minuten. Aber dann war man ziemlich erhaben unterwegs."

Jahrelang glaubte sie, es steuern zu können. Sie brauchte ja nicht mal Cannabis oder ein Schlafmittel, um wieder zur Ruhe zu kommen. Die Müdigkeit stellte sich von selbst ein, wenn die Wirkung der Morgendosis aufhörte. Exzesse habe sie vermieden, "ich hab mich nicht so doll weggeschossen". Wenn sie es allerdings absetzte, weil sie gerade keinen Stoff hatte, kam sie tagelang nicht aus dem Bett. Also nahm sie es lieber wieder.

Als ihr der Vater auf die Schliche gekommen war, hörte sie ein halbes Jahr lang auf. Die Eltern nahmen sie in den Urlaub mit, zur Beobachtung. Sie hatte Angst vor einer Zwangstherapie. Man werde das Problem "familienintern regeln", entschied der Vater und verlangte, dass sie sich mindestens alle zwei Tage zu Hause zeigte. "Er schaute mir durchdringend in die Augen und kontrollierte sogar, ob ich Einstichstellen zwischen den Zehen hatte."

Als er die Kontrollen lockerte, fing sie wieder an. Schließlich bestand ihr Freundeskreis inzwischen hauptsächlich aus Leuten, die Crystal nahmen, auch ihr Freund. Der Sex war besser, sagt sie, "man ist hemmungsloser". Es machte nur noch mit Crystal richtig Spaß.

Ihr Rechtsanwalt Alexander Schmidtgall sagt: "Crystalkonsumenten denken, niemand könne ihnen etwas anhaben. Es gibt kein Schmerzgefühl, kein Zeitgefühl mehr. Die meisten werden hyperaktiv, telefonieren mitten in der Nacht. Die Polizei reden gern mit ihnen - denn die reden!" Laber-Flash heißt das Phänomen.

Sie hatte Bekannte, denen die Abhängigkeit auf zehn Metern anzusehen war, deren Mienen "Gesichtsfasching" machten, wilde Grimassen. Die schwitzten, herumzappelten, "zehn Stunden an derselben Stelle putzen". All das sei ihr nicht passiert, sagt sie. Wenn das Hoch anhielt, begann sie zu Hause, Kleider zu sortieren oder bergeweise Post abzuheften, "alles schön mit Registerkarten". Wem fällt solch eine Marotte bei einer Buchhalterin schon auf?

Mit der Verhaftung war Schluss

Sie fuhr auch nie nach Tschechien auf die Vietnamesen-Märkte. Sie hatte in den Neunziger Jahren ihren persönlichen Dealer, der in Prag "beste Ware für günstige Preise" einkaufte. Teuer genug, pro Tag kostete ihre Sucht bis zu sechzig Euro, mit dem Buchhalter-Job war das nicht zu machen. Also begann sie, selbst Stoff im Bekanntenkreis zu verticken. Und flog 2012 auf, als die Polizei Telefone abhörte und mit ihr ein Dutzend weiterer Kleindealer überführte.

Bettina M. kam in U-Haft. Sie wollte keinen Arzt, sie wollte kein Mittel gegen Ängste und Schlafstörungen, sie wollte nur in Ruhe gelassen werden. "Ich war extrem müde." Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie - mit Unterbrechungen - 15 Jahre Crystal konsumiert. Mit ihrer Verhaftung war Schluss, sagt sie. Ihre Therapie sei einzig ihre Willenskraft gewesen. Und die Drohung, dass es nicht bei viereinhalb Monaten Haft bleiben könnte. Der Richter verurteilte sie zu zwei Jahren auf Bewährung. Zweimal pro Jahr muss sie eine Haarprobe abliefern.

Nun sitzt sie mit ihrem Anwalt Alexander Schmidtgall in einem Restaurant, trinkt Wasser und Apfelsaft und hat ein Päckchen Zigaretten, eine Marke aus Tschechien, vor sich. Unterm Spitzentop wölbt sich ihr Bauch. Sie habe 25 Kilogramm zugenommen. Crystal macht schlank, das zieht gerade bei jungen Frauen, für sie war es "ein angenehmer Nebeneffekt". Sie ist blass, die Haut muss sich erst noch erholen. Crystal sei so gefährlich wie Heroin, sagt sie. "Derselbe Suchtcharakter." Eine Horrordroge? "Für mich selbst nicht, aber für viele in meinem Bekanntenkreis, die ihr Leben ganz darauf ausrichten und ständig auf der Jagd nach dem Stoff sind." "Es gibt große individuelle Unterschiede", sagt ihr Anwalt. "Die einen laufen schon nach einem Jahr als Zombies durch die Gegend, werden total unzuverlässig, die anderen funktionieren jahrelang."

Doch ohne massiven Druck wäre auch sie nicht rausgekommen, bekennt die Buchhalterin. "Ohne die U-Haft hätte ich es nicht geschafft." Ob das so bleibt? "Die Sucht ist im Kopf", sagt Bettina M. "Aber ich gebe ihr nicht nach." So wie sie reingekommen ist, will sie auch wieder heraus. Mit Willenskraft.

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