Den zunehmenden Medizinermangel auf dem flachen Land will die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) mit starken finanziellen Anreizen kurieren. Die Vorschläge zur Neuausrichtung der ambulanten Versorgung sehen eine ärztliche Vergütung ohne Honorar- Deckelung sowie eine intensive Kooperation zwischen Hausärzten und Krankenhäusern vor. Der KBV-Vorsitzende Andreas Köhler empfahl am Dienstag in Berlin auch eine Art Filialsystem, bei dem "reisende" Mediziner verschiedener Fachrichtungen regelmäßig und wechselweise Sprechstunden in von Kommunen eingerichteten Arztstationen halten.
Ohne Gegensteuern und eine "sektorenübergreifende Bedarfsplanung" sieht die KBV die flächendeckende medizinische Versorgung der Bevölkerung auf der Kippe. Allein in den kommenden fünf Jahren müssten knapp 28 000 niedergelassene Mediziner, die aus Altersgründen aufhören, ersetzt werden. Nachfolger sind besonders für Landärzte wegen der unattraktiven Bedingungen kaum zu finden. Bei dem neuen Vergütungssystem sollen die Ärzte nicht mehr pauschal nach Fallzahlen, sondern nach Zeitaufwand honoriert werden.
"Mehr Geld muss das nicht zwingend kosten", verteidigte er den Vorstoß. Dabei setzt der KBV-Chef darauf, dass die Mediziner sich dann zwar länger Zeit für den einzelnen Patienten nehmen, die Zahl der Arzt-Patienten-Kontakte aber zurückgeht. Diese Rate ist in Deutschland mit jährlich durchschnittlich 19 Kontakten weit höher als in anderen Ländern. Köhler wertet dies als Ergebnis von Fehlanreizen im derzeitigen Honorarsystem.
Viele junge Mediziner lassen sich laut KBV nicht mit einer eigenen Praxis nieder, weil sie kaum kalkulierbare Regressansprüche bei Überschreiten des Arzneimittelbudgets fürchten. Deshalb will Köhler die Kassenärzte komplett aus der Preis- und Kostenverantwortung herausnehmen. Sie sollen nur noch Wirkstoff, Dosierung und Dauer der Arzneimitteltherapie verordnen. Das Medikament selbst wählt dann der Apotheker aus.
Köhler verwies auf eine Umfrage, nach der Mediziner ihre Bereitschaft zum Wechsel auf eine Landarztstelle an einen Mehrverdienst von 8000 Euro monatlich knüpften. Deshalb seien finanzielle Anreize nötig. Der Vorschlag für ein Praxis-Filialsystem bedeutet, dass zum Beispiel an zwei Tagen der Woche der Hausarzt, am dritten der Frauenarzt, am vierten der Augenarzt und am fünften der Hals-Nasen-Ohren-Spezialist kommt.
Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zeigte sich offen für die Vorschläge, wenn sie nicht zu höheren Kosten führen. In Deutschland gebe es so viele Ärzte wie noch nie. "Es ist gut, dass sich die KBV darum kümmern will, dass sie auch dort aktiv sind, wo sie für die Versorgung der Patienten gebraucht werden", sagte der Sprecher des GKV-Spitzenverbandes Florian Lanz.