Krankenversicherung Der Hausarzt als Lotse

Bald werden viele Krankenkassen ihren Versicherten anbieten, die Praxisgebühr zu sparen - und dafür auf Möglichkeiten bei der Arzt- oder Therapiewahl zu verzichten. Was die neuen Modelle bringen und worauf Sie achten sollten.

Die Deutschen genießen zwei Freiheiten, die sie in Europa zu Exoten machen: Auf der Autobahn dürfen sie rasen, was die Kiste hergibt - und sie können nach eigenem Gutdünken eine beliebige Anzahl von Facharztpraxen ansteuern, um sich dort behandeln zu lassen. Der medizinische Sonderweg kostet einen Berg Geld.

Die Gründe

Ein Facharzt treibt in aller Regel mehr Aufwand bei der Diagnose und oft auch bei der Therapie als ein Hausarzt. Zudem sorgen die Strukturen des Gesundheitssystems dafür, dass Untersuchungen häufig doppelt und dreifach gemacht werden. Etwa die so genannte doppelte Facharztschiene: In Deutschland gibt es die Experten und ihre technischen Geräte nämlich in jeder Stadt in den Krankenhäusern und in den Praxen der niedergelassenen Ärzte. Denn mit dem teuren Tomografen im Krankenhaus dürfen ausschließlich stationäre Patienten untersucht werden. Und die Ergebnisse solcher Untersuchungen tauschen die Ärzte meist nur schleppend untereinander aus, selbst in Zeiten des Internets informieren Mediziner ihre Kollegen vorzugsweise per Arztbrief, den sie ihrem Patienten mitgeben.

Die Folgen sieht man zum Beispiel beim Röntgen. Als Vizeweltmeister im Durchleuchten machen hiesige Ärzte über 1700 Aufnahmen pro Jahr und 1000 Einwohner. Der Durchschnittsdeutsche wird 1,7-mal pro Jahr durchstrahlt. Nur die Japaner röntgen noch mehr.

Hoher Aufwand ohne Nutzen

Dass dem erhöhten Strahlenrisiko kein höherer Nutzen gegenübersteht, zeigen langjährige Erfahrungen mit der Brustkrebsfrüherkennung: Die betroffenen Frauen haben hierzulande deutlich schlechtere Überlebenschancen als in vergleichbaren Nationen. Ein Brusttumor, der bei uns entdeckt wird, ist im Durchschnitt 2,2 Zentimeter groß. In den USA und in Großbritannien beträgt seine Größe bei Frauen, die an den dortigen normierten Früherkennungsprogrammen teilnehmen, im Mittel 1,1 Zentimeter. Dieser Unterschied kann über Leben und Tod entscheiden.

Die Ursache für das schlechte Ergebnis sehen Fachwissenschaftler unter anderem darin, dass beim Mammografieren bislang jeder Arzt als Einzelkämpfer vor sich hin diagnostizieren darf und sich auch keiner Qualitätsprüfung stellen muss. Anderswo, in Großbritannien zum Beispiel, sorgt besseres Teamwork dafür, dass Ärzte sich bei der Begutachtung der Bilder gegenseitig unterstützten und auch kontrollieren ließen. Gesundheitspolitiker wie Ministerin Ulla Schmidt ärgert, dass Deutschland bezüglich der medizinischen Versorgung im Mittelfeld vergleichbarer Nationen liegt, diese dafür aber überdurchschnittlich viel kostet. Deshalb sollen die Krankenkassen künftig Modelle der "Integrierten Versorgung" anbieten.

Hausarztmodell

Beispielsweise das so genannte Hausarztmodell: Damit verpflichtet sich der Versicherte, immer zuerst seinen vertrauten Allgemeinmediziner anzusteuern, der ihn dann, falls nötig, an einen Spezialisten überweist. Umfragen der Bertelsmann-Stiftung haben gezeigt, dass 81 Prozent der Versicherten bereit wären, vor einem Facharztbesuch immer erst den Hausarzt aufzusuchen - wenn dafür die Beiträge sinken. Selbst bei den Spitzenverdienern, die traditionell mehr Freiheit fordern, würden 73 Prozent ein solches Hausarztmodell akzeptieren.

Nun soll das neue Angebot zusammen mit anderen Modellen der Integrierten Versorgung das Gesundheitswesen besser und billiger machen. In den kommenden Monaten werden viele Krankenkassen ihren Versicherten entsprechende Modelle nahe legen. Welche neuen Wege es geben wird, worauf es dabei ankommt und für wen sie sich lohnen, wird in den folgenden Absätzen erläutert. Hausarztmodell Wie geht das? Ihre Krankenkasse wird Ihnen folgenden Handel anbieten: Sie verpflichten sich schriftlich und für mindestens ein Jahr, im Krankheitsfall zunächst immer Ihren Hausarzt aufzusuchen. Der kann sie im Bedarfsfall mit einer Überweisung zu Fachärzten aller Art weiterleiten.

Was spare ich dabei?

Wenig. Kassen, die Hausarztmodelle geplant haben, zieren sich, deutliche Beitragsrabatte zu gewähren. Das übliche Angebot ist, dass für Sie die Praxisgebühr von zehn Euro entfällt. Damit gleichen sie nicht fair aus, was sie selbst sparen. In der Schweiz bekommen die Teilnehmer an Hausarztmodellen Beitragsrabatte von acht bis 15 Prozent. Was bedeutet das für meine Gesundheit? Alles steht und fällt damit, wie gut der Hausarzt sein Handwerk beherrscht.

Ist er gut aus- und fortgebildet, kann er ein kompetenter Lotse und Gesundheitsmanager sein. Er leitet Sie nach Kriterien, die dem aktuellen Stand der Medizin entsprechen, und sorgt dafür, dass Sie weder zu wenig noch - und das ist ebenso wichtig - zu viel Therapie erhalten. Ihr Lotsen-Arzt sollte Sie genau kennen und einen Überblick über all Ihre Krankheiten und Lebensumstände haben. Die Erfahrungen aus den Niederlanden, Dänemark und der Schweiz, wo der Hausarzt seit längerem eine derartige Vollmacht besitzt, sind gut.

In Deutschland hat die jahrzehntelange Schlechterstellung der Allgemeinmediziner leider dazu geführt, dass es zu wenige von ihnen gibt und unter ihnen zu wenige hoch qualifizierte.

Wann geht es los?

Die Krankenkassen sind zur Einführung von Hausarztmodellen verpflichtet, und mehrere haben die bundesweite Einführung für den Herbst angekündigt. Die Organisation ist jedoch aufwendig, und andere Programme, besonders die Disease-Management-Programme, sind für die Kassen finanziell attraktiver. Daher wird es noch einige Zeit dauern, bis jeder gesetzlich Versicherte an einem Hausarztmodell teilnehmen kann.

Wie wechsele ich meinen Hausarzt?

Wenn Sie sich einmal eingeschrieben haben, ist das für den vereinbarten Zeitraum sehr schwierig. Nur "wichtige Gründe" werden anerkannt, zum Beispiel ein Umzug.

Was passiert, wenn ich mich nicht an die Vorschriften halte?

Die Kasse ist nicht berechtigt, einem Facharzt in diesem Fall die Honorierung zu verweigern. Wenn Sie trotz Einschreibung ohne Überweisung zum Spezialisten gehen, müssen Sie die Praxisgebühr zahlen. Strenger bestrafen darf Ihre Kasse Sie nicht, solange sie Ihnen für die Teilnahme keine größeren Vergünstigungen einräumt.

Wie komme ich wieder raus?

Sie müssen die Mindesteinschreibezeit von einem Jahr einhalten. Danach können Sie das Hausarztmodell verlassen.

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Disease-Management-Programme (DMP)

Wie geht das?

Chronisch Kranke brauchen eine langfristig geplante und gut organisierte Therapie, an der sie aktiv mitarbeiten müssen. Deutschland gibt zwar viel Geld für Chroniker aus - 20 Prozent der Patienten erhalten 80 Prozent der Leistungen der gesetzlichen Kassen. Doch führen ineffiziente Versorgung und schlechte Verzahnung auch hier zu hohen Kosten und mittelmäßiger Qualität.

Besonders betroffen sind beispielsweise Diabetiker: Der Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen hat mehrfach festgestellt, dass sie bei uns nicht die optimale und zeitgemäße Therapie erhalten, wodurch es unter anderem zu vermeidbaren Amputationen kommt.

Die Einschreibung in ein Disease-Management-Programm soll das ändern: Bei den Teilnehmern wird die Therapie nach festen Leitlinien kontrolliert, zum Beispiel in Form von regelmäßigen, standardisierten Untersuchungen. Die DMPs werden für mehrere, genau beschriebene Krankheitsbilder eingeführt. Am weitesten ist man derzeit bei Diabetes und Brustkrebs. Programme für Koronare Herzkrankheit, Asthma und chronisch obstruktive Atemwegserkrankungen folgen. Derzeit wird überlegt, ob auch für Demenz, Depression und Bluthochdruck DMPs entwickelt werden sollen. Was spare ich dabei? Die Praxisgebühr, Überweisungsaufwand und Zeit - sofern das Programm wie gedacht funktioniert. Als DMP-Teilnehmer sind Sie - wie auch beim Hausarztmodell - an diejenigen Ärzte und auch Krankenhäuser gebunden, mit denen Ihre Kasse einen speziellen Versorgungsvertrag abgeschlossen hat.

Deutlich mehr als Sie spart die Krankenkasse. Sie bekommt nämlich für einen eingeschriebenen Diabetiker 5250 Euro pro Jahr und pro eingeschriebener Brustkrebspatientin sogar 8412 Euro im Jahr aus dem Risikoausgleichstopf der Krankenkassen. Bei den durchschnittlichen 1654 Euro, die die Kassen pro Jahr und Patient derzeit ausgeben, verbessert das die Bilanz ganz erheblich.

Was bedeutet das für meine Gesundheit?

Ihre Behandlung im DMP orientiert sich, wie es die AOK ausdrückt, "an evidenzbasierter Medizin", zu Deutsch: an den gesicherten Erkenntnissen der Forschung. Dabei wird sie standardisiert: Es ist vorgeschrieben, in bestimmten Abständen zu Kontrolluntersuchungen zu gehen; bei der Behandlung mit Medikamenten müssen nachweisbar bestimmte Normwerte (etwa beim Blutdruck oder dem Blutzucker) erreicht werden. Diese Vorgehensweise ist weniger individuell, hat sich aber in guten DMPs im Ausland als Vorteil für die Gesundheit erwiesen.

Wann geht es los?

Das hängt davon ab, in welcher Krankenkasse Sie Mitglied sind. Für jedes DMP müssen zahlreiche Verträge abgeschlossen werden, dazu kommt ein aufwendiges Zulassungsverfahren beim Bundesversicherungsamt. Als Diabetiker können Sie sich bereits jetzt vielerorts einschreiben. Die Geschäftsstellen der Kassen geben Auskunft, ob bereits ein Programm besteht oder in Planung ist. Für die betroffenen Versicherten ist das allerdings meist gar nicht nötig: Da die Krankenkasse sehr von DMP-Einschreibungen profitiert, wird sie versuchen, "passende Patienten" nach Kräften zur Einschreibung zu motivieren. Auch nach einem Kassenwechsel können Sie sich in der neuen Kasse für ein Programm einschreiben. Beachten Sie, dass die Teilnahme rein freiwillig ist. Niemand kann von Ihnen verlangen teilzunehmen.

Was passiert, wenn ich mich nicht an die Therapiepläne halte?

Formal nichts. Sie werden nicht bestraft, wenn Sie nicht aktiv im DMP mitarbeiten - Sie bezahlen allenfalls mit Ihrer Gesundheit.

Wie komme ich wieder heraus?

Sie können ein DMP nach Ablauf der vereinbarten Frist verlassen.

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Versorgungszentren und Praxisnetze

Wie geht das?

Medizinische Versorgungszentren sind - für westdeutsche Verhältnisse - eine geradezu revolutionäre Neuerung. In der DDR gab es sie schon einmal in Form von Polikliniken. Im Versorgungszentrum arbeiten mehrere Ärzte als Angestellte einer Firma zusammen. Beim Praxisnetz arbeiten eigenständige Arztpraxen Hand in Hand, indem sie ihre Behandlung aufeinander abstimmen. Ziel beider Konstruktionen ist, Doppeluntersuchungen zu vermeiden und die Therapie verschiedener Fachärzte besser aufeinander abzustimmen.

Was spare ich dabei?

Hoffentlich Zeit, Fahrerei und Nerven. In einem Versorgungszentrum können Probleme oft mit einem Termin gelöst werden, für die sonst mehrere Arztgänge nötig wären. Innerhalb eines Versorgungszentrums müssen Sie keine Überweisungsscheine hin- und hertragen. Weitere finanzielle Vorteile haben Sie nicht. Bestenfalls helfen Sie durch die erreichten Einsparungen mit, dass für alle Versicherten der Kasse die Kosten und damit irgendwann die Beiträge sinken.

Was bedeutet das für meine Gesundheit?

Nichts Prinzipielles - hier kommt es, wie bisher gewohnt, in erster Linie auf die Qualität der Ärzte an. Es bestehen allerdings Chancen, dass sie durch Zusammenarbeit und Informationsaustausch zwischen den beteiligten Medizinern besser therapiert werden.

Wie komme ich wieder heraus?

Sie gehen einfach zu einem anderen Arzt. Die Behandlung innerhalb eines Praxisnetzes oder in einem medizinischen Versorgungszentrum verpflichtet Sie zu überhaupt nichts. Verträge und Vereinbarungen gibt es nicht, Sie kommen und gehen freiwillig.

Integration der Krankenhäuser

Wie geht das?

Historisch bedingt sind die Bereiche Krankenhaus und ambulante Versorgung in Deutschland getrennt. Als Patient merken Sie das daran, dass Ihr Arzt oft nicht genau weiß, was Ihnen im Krankenhaus widerfahren ist, und Sie es ihm erzählen müssen. So kommt es, dass Sie vielleicht die gleiche Untersuchung noch einmal über sich ergehen lassen müssen oder widersprüchliche Empfehlungen bekommen. Außerdem haben Sie keinen direkten Zugang zu den Krankenhausärzten. Selbst wenn diese die besten am Ort sind, brauchen Sie die Einweisung durch einen niedergelassenen Arzt.

Langfristig soll sich das ändern - als ersten Schritt gibt es jetzt Modellvorhaben, bei denen niedergelassene Ärzte und Krankenhäuser sehr viel enger zusammenarbeiten können. So hat zum Beispiel die DAK gerade in Hamburg ein Projekt für Herzkranke gestartet: Nur Ärzte, die durch eine Mindestzahl entsprechender Eingriffe Erfahrungen gewährleisten, dürfen operieren. Eine Kooperation von Krankenhausapotheke und öffentlichen Apotheken versorgt die Patienten gezielt mit den richtigen Medikamenten, Krankenhaus und niedergelassener Arzt tauschen sich innerhalb festgelegter Fristen über jede Behandlung aus, und die Qualität der Versorgung wird nach wissenschaftlichen Leitlinien überprüft.

Was spare ich dabei?

Die Krankenkassen belohnen die Patienten in Krankenhaus-Integrationsprojekten mit einem Bonus, den sie anhand der Höhe ihrer Einsparungen festlegen können. Sie bekommen also Geld zurück oder andere Vergünstigungen - wie viel oder was, hängt vom Einzelfall ab.

Was bedeutet das für meine Gesundheit?

Qualitätskontrolle und die Ausrichtung an den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen können die Therapie Ihrer Krankheit entscheidend verbessern.

Wie komme ich hinein und wieder heraus?

Die Teilnahme an den Integrationsprojekten ist freiwillig. Daher können Sie auch ohne weiteres wieder heraus. Sie verlieren dann aber Ihren Bonus.

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Silke Umbach

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