Interview mit einer Psychotherapeutin Was ging im Kopf des Copiloten vor?

Copilot Andreas L. soll den Germanwings-Flug absichtlich zum Absturz gebracht haben. Welche Motivation könnte hinter der Tat stecken? Die Einschätzung einer Psychotherapeutin.

Copilot Andreas L. steuerte den Germanwings-Flug 4U9525, der am vergangenen Dienstag in den französischen Alpen zerschellte. Kurz vor dem Absturz - so heißt es - habe er alleine und ruhig atmend im Cockpit gesessen, weder auf eine Ansprache der Flugsicherung noch auf das Klopfen des anderen Piloten, Patrick S., reagiert, der das Cockpit zuvor verlassen hatte, um auf die Toilette zu gehen.

Sollten sich die bisherigen Erkenntnisse der französischen Staatsanwaltschaft bestätigen, hat Andreas L. das Flugzeug vorsätzlich zum Absturz gebracht - und damit sich selbst und 149 weitere Insassen in den Tod gerissen. Was könnte einen Menschen zu einer solchen Tat bewegen?

Wir haben eine Psychotherapeutin nach einer möglichen Motivation gefragt.

Prof. Dr. Barbara Schneider

Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie arbeitet an der LVR-Klinik in Köln und ist Vorsitzende der "Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention" (DGS).

Frau Schneider, ein Pilot sperrt sich in das Cockpit eines Flugzeugs - und stürzt sich und die Insassen an Bord in den Tod. Das klingt zunächst nach einer unglaublichen Geschichte. Ist so etwas schon einmal passiert?
Es sind Fälle von Piloten beschrieben, die sich mit ihren Passagieren in den Tod gestürzt haben. Das sind Ausnahmefälle, sie ereignen sich zum Glück sehr selten.

Warum stürzen sich Piloten mit ihren Maschinen in den Tod?
Menschen mit einem ausgeprägten Suizidwunsch geht es in erster Linie darum, sich selbst zu töten: Ihre Gedanken sind eingeengt, sie sind verzweifelt, sehen nur diese eine Möglichkeit als Ausweg - sie befinden sich wie auf einer Einbahnstraße.

Vorausgesetzt, es handelt sich tatsächlich um einen Suizid des Copiloten: Können Menschen in einer derartigen Notlage vergessen, dass in der Kabine des Flugzeugs noch 149 weitere Menschen sitzen?
An dieser Stelle kann man nur spekulieren. Allerdings gibt es Berichte von Menschen, die einen Suizidversuch überlebt haben und im Nachhinein angaben, alles um sich herum ausgeblendet zu haben: etwa die Konsequenzen ihres Handelns - und auch das Leid, das sie mit dem Tod den Angehörigen zufügen würden.

Geschehen solche Taten im Affekt oder werden sie langfristig geplant?
Aus Untersuchungen geht hervor, dass knapp über die Hälfte aller Suizide und Suizidversuche in einer relativ kurzen Zeitspanne geplant und auch durchgeführt werden. Andere suizidgefährdete Menschen planen langfristig, schreiben womöglich noch ein Testament, verabschieden sich von Freunden und Angehörigen und ordnen ihre Unterlagen. Die Angehörigen nehmen diesen Prozess allerdings oft kaum war, es sind sehr subtile Hinweise auf einen geplanten Suizid.

Wie sollten Angehörige und Freunde bei Verdacht auf einen Suizidwunsch reagieren?
Ein erster Schritt ist, auf die Person zuzugehen und nachzufragen, ob alles in Ordnung ist. Erhärtet sich der Verdacht, ist es ratsam, nicht abzuwarten, sondern schnell zu handeln und Hilfe zu holen. Suizidgefährdete Menschen gehören in professionelle Behandlung - etwa in die Hände eines Psychotherapeuten.

Sie haben suizidale Gedanken? Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222 erreichbar. Auch eine Beratung über E-Mail ist möglich. Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.

ikr

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