Michael Steidl arbeitet als pflegerischer Leiter der Notaufnahme in einem Krankenhaus in Rosenheim. Im Interview mit dem stern beschreibt er, wie die Situation in seinem Krankenhaus aktuell ist, wie er auf den Winter blickt und was er sich von der neuen Bundesregierung erwartet.
Interview
Steigende Infektionszahlen "Es wird ein Corona-Tsunami auf uns zukommen": Pfleger befürchtet extremen Personalmangel nach vierter Welle

Sehen Sie im Video: "Es wird ein Corona-Tsunami auf uns zu kommen" – Pfleger befürchtet noch weniger Personal nach vierter Welle.
Michael Steidl: Ich befürchte, dass es nicht bei einer vierten Welle bleiben wird, sondern dass es ein Tsunami wird, der uns da erreichen erreicht. Ich arbeite jetzt seit eineinhalb Jahren immer am Limit und bin bei 100 Prozent plus, die ich geben muss damit – und nicht nur ich, sondern meine Kollegen auch – damit die Bevölkerung einigermaßen gut versorgt ist. Es muss eben auch klar sein, wenn ich einen Herzinfarkt erleide oder ich einen schweren Verkehrsunfall habe, dass die Klinik natürlich diese Patienten versorgen will, aber sie dadurch oftmals auch an ihre Grenzen stößt.
Michael Steidl arbeitet als pflegerischer Leiter der Notaufnahme in einem Krankenhaus in Rosenheim. Vor rund einem Jahr sprach der Stern mit dem 45-Jährigen, der auch ein Buch über die Herausforderungen des Pflegeberuf geschrieben hat. Die Situation hat sich seit dem letzten Winter etwas geändert: Das Coronavirus begleitet uns noch immer. Doch rund 67 Prozent aller Deutschen sind nun vollständig geimpft. Und trotzdem: Die Infektionszahlen sind so hoch wie noch nie. Wir wollen von Herrn Steidl wissen, wie es ihm geht, wie die Situation in seinem Krankenhaus aktuell ist und was er sich von der neuen Bundesregierung erwartet.
Katharina Frick: Herr Steidl, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für das Interview genommen haben. Vor einem Jahr sagten Sie im Interview mit dem Stern, Sie seien Corona-müde. Wie geht es Ihnen heute?
Michael Steidl: Ja, jetzt ist es schon so, dass aus der Corona-Müdigkeit ein Überdruss geworden ist, muss ich ganz ehrlich sagen. Ich finde es mittlerweile sehr, sehr anstrengend, dieses Thema immer wieder durch nehmen zu müssen, sowohl privat als auch in der Arbeit.
Katharina Frick: Aktuell liest man wieder von überfüllten Intensivstationen und einem Mangel an Intensivbetten. Wie ist die Situation in Ihrem Krankenhaus und wie hoch ist die Hospitalisierungsrate in Ihrer Region?
Michael Steidl: Ja, wir laufen über. In unserer Region ist natürlich die Coronazahl, die Inzidenz recht hoch. Und die steigt weiterhin. Und das ist ganz klar, dass dann die Patienten, die sich mit Corona infiziert haben und keinen guten Verlauf haben, bei uns in der Notaufnahme aufschlagen und dann natürlich auch im Haus betreut werden müssen. Und da liegen wir bei 80 Patienten im Haus, die wir dafür sorgen müssen. Und das ist schon eine ganze Menge.
Was mich bei der Diskussion stört, natürlich die Intensivstation ist, ich nenne es mal den Endgegner für den Patienten, weil wenn er dort landet und es geht ihm definitiv schlecht, dass er dort behandelt werden muss. Dann ist es auch, wenn der Pflegepersonal auf Intensivstationen besteht, für den Patienten natürlich kritisch, wenn es nicht genug ausreichendes Personal auf den Intensivstationen vorhanden hat, um diese Patienten auch zu betreuen. Aber das beginnt ja nicht nur auf Intensivstationen, sondern der Patient wird ja initial über die Notaufnahme aufgenommen, dort versorgt. Und wenn halt auf der Intensivstation kein Platz ist, bei Patienten, denen es schlecht geht, dann wird er erst mal unten weiter behandelt, bis man irgendwo die Möglichkeit findet, den Patienten unterzubringen und auch zu versorgen.
Und es fehlt mir so ein bisschen bei der Diskussion, weil es immer nur heißt die Intensivstationen sind überlastet. Es sind nicht nur die Intensivstationen, die überlastet sind, sondern es sind auch die Notaufnahmen überlastet, die quasi die Eintrittspforte für diese Patienten sind. Und die normalen Stationen, die natürlich auch die Last der Patienten spüren, in dem sie zu Covid-Stationen umfunktioniert wurden und die anderen Stationen im Haus die Arbeit für die Fachabteilung erledigen müssen. Aber auch in einem abgesteckten Rahmen, den man sich so nicht wünscht.
Es muss eben auch klar sein, wenn ich einen Herzinfarkt erleide oder ich einen schweren Verkehrsunfall habe, dass die Klinik natürlich diese Patienten versorgen will, aber sie dadurch oftmals auch an ihre Grenzen stößt. Das macht meines Erachtens keinen Spaß mehr, so zu arbeiten. Ich arbeite jetzt seit eineinhalb Jahren immer am Limit und bin bei 100 Prozent plus, die ich geben muss damit. Und nicht nur ich, sondern meine Kollegen. Auch damit die Bevölkerung einigermaßen gut versorgt ist.
Katharina Frick: Welche Personengruppen kommen hauptsächlich mit Corona-Infektionen zu Ihnen ins Krankenhaus?
Michael Steidl: Natürlich überwiegend Ungeimpfte, muss man auch deutlich so sagen.
Katharina Frick: Haben Sie noch Verständnis für diese Leute?
Michael Steidl: In der Versorgung für den Patienten spielt es für mich keine Rolle, ob der geimpft oder ungeimpft ist, weil versorgt werden muss er trotzdem. Man hätte sich aber ersparen können, auch der Patient hätte sich sparen können, in der Klinik zu landen. Wenn er geimpft worden wäre, hätte er sich aller Voraussicht nach auch irgendwie mit Corona angesteckt, hätte aber einen leichteren Verlauf gehabt, der nicht mit einem Klinikaufenthalt einhergeht.
Es ist klar, dass es für uns in den Häusern bedeutet, dass wir mehr Arbeit haben, aber mit Patienten, die wir uns hätten sparen können, wenn sie es gewesen wären.
Es gibt natürlich die unterschiedlichsten Gründe, warum jemand ungeeignet ist. Das muss auch jeder für sich selber entscheiden. Und es ist auch gut, dass man das selbst entscheiden kann. Aber wenn es dann zu hanebüchen wird, dann wird es auch für uns ein bisschen schwierig, da noch professionell zu sein. Und dann ist es oftmals besser, man dreht um und äußert sich dazu nicht und macht seine Arbeit einfach gut, und spult sein Programm runter. Der Vorteil in der Notaufnahme ist halt auch, der (Patient) geht spätestens nach 4 Stunden auf eine Station. Und wenn man aber dann Querdenker oder Impfgegner hat, die dann auf der Station liegen und sich dann auch noch gegenüber dem Pflegepersonal und dem ärztlichen Personal mutwillig äußern und noch mal alles infrage stellen, aber dann trotzdem noch die komplette Behandlung haben wollen, ist es schwierig für uns, dann noch neutral zu bleiben.
Katharina Frick: Wie blicken Sie dem kommenden Winter entgegen?
Michael Steidl: Ich befürchte, dass es nicht bei einer vierten Welle bleiben wird, sondern dass es ein Tsunami wird, der uns da erreichen erreicht. Im pflegerischen Bereich, glaube ich, werden wir nach dieser vierten Welle noch wesentlich weniger Personal haben als vorher, weil man einfach sagt: „Ich tue mir das nicht mehr an.“ Ich bin nur am Werkeln, nur am Arbeiten und es am Ende vom Tag kommt nichts bei rum, weil keiner dadurch schlauer wird. Es gab keine ausreichende Impf-Quote. Die Versorgung der Patienten ist nicht die Versorgung der Patienten, die ich leisten möchte. Ich möchte eine adäquate Pflege durchführen. Und ich befürchte, dass es in diesem Winter noch mal ein höheres Level an Stress und Belastung geben wird als im Winter zuvor. Aufgrund dessen, dass es weniger Pflegepersonal gibt und aufgrund dessen, dass die Patienten weiterhin die Häuser stürmen und wir zusätzlich – und davor habe ich auch so ein bisschen Angst – Influenza und Novo-Virus auf uns zukommen sehen. Die gab es letztes Jahr nicht aufgrund der ganzen Hygiene-Vorgaben und Lockdown-Geschichten.
Katharina Frick: Sie haben ja im Frühjahr 2021 gemeinsam mit rund 250.000 anderen Menschen die stern-Pflegepetition unterschrieben, in der ein Systemwechsel und ein Ende des Profitdenken gefordert wird, damit sich die Lage in Heimen und in Krankenhäusern grundlegend bessert. Auch Jens Spahn unterstützt die Forderung der Pflegekräfte nach mehr Lohn. Ist davon schon etwas in Ihrem Alltag angekommen?
Michael Steidl: Nein, noch ist nichts angekommen. Also muss man ganz ehrlich sagen: Es wirkt auf mich immer so, wenn man die Feuerwehr braucht, dann wird sie gerufen, aber ansonsten darf sie nichts kosten. So ist es mit der Pflege. Wenn wir sie brauchen, dann schreien wir ganz laut: Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Verbesserung der Bezahlung. Aber sobald die Welle überstanden ist, gerät das Ganze wieder ins Hintertreffen und es interessiert keinen mehr. Da fühle ich mich persönlich auch so ein bisschen verarscht, weil man ja immer auf die Idee des Florence-Nightingale-Verhalten der Pflegekräfte hofft und das Helfersyndrom. Aber irgendwann ist es auch erschöpft und wir werden keine neuen Pflegekräfte generieren, wenn sie wissen, dass sie unter diesen Bedingungen arbeiten müssen.
Katharina Frick: Was erhoffen Sie sich von der neuen Bundesregierung in Bezug auf den Pflegeberuf?
Michael Steidl: Dass man sich klar wird, dass Pandemie und Profit nicht einhergehen können. Dass man die Kliniken so finanziell unterstützen muss, dass sie Pflegepersonal vernünftig bezahlen kann und dass aufgrund finanzieller Unterstützung auch die Arbeitsbedingungen besser werden. Weil Plus-Minus-Rechnungen wird dort nicht funktionieren, sondern da braucht es vernünftig finanzielle Spritzen, um den Kliniken es auch zu ermöglichen, ihre Mitarbeiter und ihre Strukturen zu verbessern.
Michael Steidl: Ich befürchte, dass es nicht bei einer vierten Welle bleiben wird, sondern dass es ein Tsunami wird, der uns da erreichen erreicht. Ich arbeite jetzt seit eineinhalb Jahren immer am Limit und bin bei 100 Prozent plus, die ich geben muss damit – und nicht nur ich, sondern meine Kollegen auch – damit die Bevölkerung einigermaßen gut versorgt ist. Es muss eben auch klar sein, wenn ich einen Herzinfarkt erleide oder ich einen schweren Verkehrsunfall habe, dass die Klinik natürlich diese Patienten versorgen will, aber sie dadurch oftmals auch an ihre Grenzen stößt.
Michael Steidl arbeitet als pflegerischer Leiter der Notaufnahme in einem Krankenhaus in Rosenheim. Vor rund einem Jahr sprach der Stern mit dem 45-Jährigen, der auch ein Buch über die Herausforderungen des Pflegeberuf geschrieben hat. Die Situation hat sich seit dem letzten Winter etwas geändert: Das Coronavirus begleitet uns noch immer. Doch rund 67 Prozent aller Deutschen sind nun vollständig geimpft. Und trotzdem: Die Infektionszahlen sind so hoch wie noch nie. Wir wollen von Herrn Steidl wissen, wie es ihm geht, wie die Situation in seinem Krankenhaus aktuell ist und was er sich von der neuen Bundesregierung erwartet.
Katharina Frick: Herr Steidl, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für das Interview genommen haben. Vor einem Jahr sagten Sie im Interview mit dem Stern, Sie seien Corona-müde. Wie geht es Ihnen heute?
Michael Steidl: Ja, jetzt ist es schon so, dass aus der Corona-Müdigkeit ein Überdruss geworden ist, muss ich ganz ehrlich sagen. Ich finde es mittlerweile sehr, sehr anstrengend, dieses Thema immer wieder durch nehmen zu müssen, sowohl privat als auch in der Arbeit.
Katharina Frick: Aktuell liest man wieder von überfüllten Intensivstationen und einem Mangel an Intensivbetten. Wie ist die Situation in Ihrem Krankenhaus und wie hoch ist die Hospitalisierungsrate in Ihrer Region?
Michael Steidl: Ja, wir laufen über. In unserer Region ist natürlich die Coronazahl, die Inzidenz recht hoch. Und die steigt weiterhin. Und das ist ganz klar, dass dann die Patienten, die sich mit Corona infiziert haben und keinen guten Verlauf haben, bei uns in der Notaufnahme aufschlagen und dann natürlich auch im Haus betreut werden müssen. Und da liegen wir bei 80 Patienten im Haus, die wir dafür sorgen müssen. Und das ist schon eine ganze Menge.
Was mich bei der Diskussion stört, natürlich die Intensivstation ist, ich nenne es mal den Endgegner für den Patienten, weil wenn er dort landet und es geht ihm definitiv schlecht, dass er dort behandelt werden muss. Dann ist es auch, wenn der Pflegepersonal auf Intensivstationen besteht, für den Patienten natürlich kritisch, wenn es nicht genug ausreichendes Personal auf den Intensivstationen vorhanden hat, um diese Patienten auch zu betreuen. Aber das beginnt ja nicht nur auf Intensivstationen, sondern der Patient wird ja initial über die Notaufnahme aufgenommen, dort versorgt. Und wenn halt auf der Intensivstation kein Platz ist, bei Patienten, denen es schlecht geht, dann wird er erst mal unten weiter behandelt, bis man irgendwo die Möglichkeit findet, den Patienten unterzubringen und auch zu versorgen.
Und es fehlt mir so ein bisschen bei der Diskussion, weil es immer nur heißt die Intensivstationen sind überlastet. Es sind nicht nur die Intensivstationen, die überlastet sind, sondern es sind auch die Notaufnahmen überlastet, die quasi die Eintrittspforte für diese Patienten sind. Und die normalen Stationen, die natürlich auch die Last der Patienten spüren, in dem sie zu Covid-Stationen umfunktioniert wurden und die anderen Stationen im Haus die Arbeit für die Fachabteilung erledigen müssen. Aber auch in einem abgesteckten Rahmen, den man sich so nicht wünscht.
Es muss eben auch klar sein, wenn ich einen Herzinfarkt erleide oder ich einen schweren Verkehrsunfall habe, dass die Klinik natürlich diese Patienten versorgen will, aber sie dadurch oftmals auch an ihre Grenzen stößt. Das macht meines Erachtens keinen Spaß mehr, so zu arbeiten. Ich arbeite jetzt seit eineinhalb Jahren immer am Limit und bin bei 100 Prozent plus, die ich geben muss damit. Und nicht nur ich, sondern meine Kollegen. Auch damit die Bevölkerung einigermaßen gut versorgt ist.
Katharina Frick: Welche Personengruppen kommen hauptsächlich mit Corona-Infektionen zu Ihnen ins Krankenhaus?
Michael Steidl: Natürlich überwiegend Ungeimpfte, muss man auch deutlich so sagen.
Katharina Frick: Haben Sie noch Verständnis für diese Leute?
Michael Steidl: In der Versorgung für den Patienten spielt es für mich keine Rolle, ob der geimpft oder ungeimpft ist, weil versorgt werden muss er trotzdem. Man hätte sich aber ersparen können, auch der Patient hätte sich sparen können, in der Klinik zu landen. Wenn er geimpft worden wäre, hätte er sich aller Voraussicht nach auch irgendwie mit Corona angesteckt, hätte aber einen leichteren Verlauf gehabt, der nicht mit einem Klinikaufenthalt einhergeht.
Es ist klar, dass es für uns in den Häusern bedeutet, dass wir mehr Arbeit haben, aber mit Patienten, die wir uns hätten sparen können, wenn sie es gewesen wären.
Es gibt natürlich die unterschiedlichsten Gründe, warum jemand ungeeignet ist. Das muss auch jeder für sich selber entscheiden. Und es ist auch gut, dass man das selbst entscheiden kann. Aber wenn es dann zu hanebüchen wird, dann wird es auch für uns ein bisschen schwierig, da noch professionell zu sein. Und dann ist es oftmals besser, man dreht um und äußert sich dazu nicht und macht seine Arbeit einfach gut, und spult sein Programm runter. Der Vorteil in der Notaufnahme ist halt auch, der (Patient) geht spätestens nach 4 Stunden auf eine Station. Und wenn man aber dann Querdenker oder Impfgegner hat, die dann auf der Station liegen und sich dann auch noch gegenüber dem Pflegepersonal und dem ärztlichen Personal mutwillig äußern und noch mal alles infrage stellen, aber dann trotzdem noch die komplette Behandlung haben wollen, ist es schwierig für uns, dann noch neutral zu bleiben.
Katharina Frick: Wie blicken Sie dem kommenden Winter entgegen?
Michael Steidl: Ich befürchte, dass es nicht bei einer vierten Welle bleiben wird, sondern dass es ein Tsunami wird, der uns da erreichen erreicht. Im pflegerischen Bereich, glaube ich, werden wir nach dieser vierten Welle noch wesentlich weniger Personal haben als vorher, weil man einfach sagt: „Ich tue mir das nicht mehr an.“ Ich bin nur am Werkeln, nur am Arbeiten und es am Ende vom Tag kommt nichts bei rum, weil keiner dadurch schlauer wird. Es gab keine ausreichende Impf-Quote. Die Versorgung der Patienten ist nicht die Versorgung der Patienten, die ich leisten möchte. Ich möchte eine adäquate Pflege durchführen. Und ich befürchte, dass es in diesem Winter noch mal ein höheres Level an Stress und Belastung geben wird als im Winter zuvor. Aufgrund dessen, dass es weniger Pflegepersonal gibt und aufgrund dessen, dass die Patienten weiterhin die Häuser stürmen und wir zusätzlich – und davor habe ich auch so ein bisschen Angst – Influenza und Novo-Virus auf uns zukommen sehen. Die gab es letztes Jahr nicht aufgrund der ganzen Hygiene-Vorgaben und Lockdown-Geschichten.
Katharina Frick: Sie haben ja im Frühjahr 2021 gemeinsam mit rund 250.000 anderen Menschen die stern-Pflegepetition unterschrieben, in der ein Systemwechsel und ein Ende des Profitdenken gefordert wird, damit sich die Lage in Heimen und in Krankenhäusern grundlegend bessert. Auch Jens Spahn unterstützt die Forderung der Pflegekräfte nach mehr Lohn. Ist davon schon etwas in Ihrem Alltag angekommen?
Michael Steidl: Nein, noch ist nichts angekommen. Also muss man ganz ehrlich sagen: Es wirkt auf mich immer so, wenn man die Feuerwehr braucht, dann wird sie gerufen, aber ansonsten darf sie nichts kosten. So ist es mit der Pflege. Wenn wir sie brauchen, dann schreien wir ganz laut: Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Verbesserung der Bezahlung. Aber sobald die Welle überstanden ist, gerät das Ganze wieder ins Hintertreffen und es interessiert keinen mehr. Da fühle ich mich persönlich auch so ein bisschen verarscht, weil man ja immer auf die Idee des Florence-Nightingale-Verhalten der Pflegekräfte hofft und das Helfersyndrom. Aber irgendwann ist es auch erschöpft und wir werden keine neuen Pflegekräfte generieren, wenn sie wissen, dass sie unter diesen Bedingungen arbeiten müssen.
Katharina Frick: Was erhoffen Sie sich von der neuen Bundesregierung in Bezug auf den Pflegeberuf?
Michael Steidl: Dass man sich klar wird, dass Pandemie und Profit nicht einhergehen können. Dass man die Kliniken so finanziell unterstützen muss, dass sie Pflegepersonal vernünftig bezahlen kann und dass aufgrund finanzieller Unterstützung auch die Arbeitsbedingungen besser werden. Weil Plus-Minus-Rechnungen wird dort nicht funktionieren, sondern da braucht es vernünftig finanzielle Spritzen, um den Kliniken es auch zu ermöglichen, ihre Mitarbeiter und ihre Strukturen zu verbessern.