Nichtraucher-Tagebuch Lernen fürs Leben

  • von Björn Erichsen
"Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir." So manchem dürfte dieser Satz überzeugter Vollblut-Pädagogen aus der Schulzeit noch in den Ohren schmerzen. Doch nach einem halben Jahr ohne Zigaretten habe ich tatsächlich etwas gelernt.

Rauchfreie Tage zähle ich schon länger nicht mehr. Im Laufe des Sommers, irgendwo knapp jenseits der 100 Tage, habe ich damit aufgehört. Daran, dass meine letzte Zigarette nun schon ein halbes Jahr zurückliegt, hat mich vergangene Woche ein Freund erinnern müssen. Ein positives Zeichen, das auf Normalität hindeutet. In jedem Fall ein krasser Gegensatz zu der heftigen Anfangszeit, in der noch jede Stunde ohne Zigaretten ein kleiner Sieg war.

Zu den Leuten, die den Rauchstopp im Vorübergehen schaffen, zähle ich sicher nicht. "Ich habe die letzte Zigarette ausgemacht und nie wieder daran gedacht." So oder ähnlich hat mancher User in den Kommentaren den eigenen Rauchstopp beschrieben. Das macht neidisch und ist kaum zu glauben. Meine Lebenswirklichkeit - und auch die vieler anderer Bemühter - sah und sieht ganz gewiss anders aus. Komplizierter, überhaupt nicht elegant, ziemlich holprig.

Ausnahmezustand verwandelt sich langsam in Normalität

Anspannung, Aggression und Verzweiflung in den ersten Tage sind dabei nur das Vorspiel für die wirkliche Herausforderung: das große Lernen. Wie ein Pennäler muss der ambitionierte Ex-Raucher wieder die Schulbank drücken, nur dass diesmal "Alltag" auf dem Lehrplan steht. Es gilt, all die Situationen, die bis dahin ganz selbstverständlich mit Zigaretten verbunden waren, neu, sprich rauchfrei zu durchleben. Bei mir waren das so einige, vor allem nach dem Essen, beim Kaffee, im Auto, beim Schreiben.

Rauchfreie Zone

Björn Erichsen, Jahrgang 74, lebt und arbeitet als Journalist in Hamburg. Schwerpunkte sind Politik, Kultur, Medien und Sport. Seit Mai treibt ihn die Frage um, ob man sich nach 120.000 Zigaretten noch einmal Nichtraucher nennen darf.

Die innere Programmierung, die bei all diesen Anlässen nach Nikotin giert, ist nicht leicht zu knacken, aber so langsam wandelt sich der Ausnahmezustand in Normalität. Die Prüfungen werden seltener, aber nicht weniger tückisch. Vor allem, wenn man sich in Sicherheit wiegt, bekommen sie den Charme einer unangekündigten Klassenarbeit. Schockzustand - wehe, man ist nicht vorbereitet.

Wenn gar nichts mehr geht, geht immer noch Schokolade

Bei mir sind es vor allem noch die Situationen mit beruflichem Stress, etwa wenn ein Abgabetermin drückt und ich eine Nachtschicht einlegen muss. Dann klopft die Sucht wieder an, die eben noch gut verpackt im Unterbewusstsein schlummerte. Aber auch damit lernt man zu leben und entwickelt Strategien: Spaziergänge helfen mir, oder etwas auf der Gitarre herumzupfen, zur Freude meiner Nachbarn. Und wenn gar nichts mehr geht, geht immer noch Schokolade, um das Klassenziel doch noch zu erreichen.

"Ganz aufhören werden diese Attacken niemals", erzählte mir vor kurzem ein Bekannter aus leidiger Erfahrung. Er raucht seit sieben Jahren nicht mehr, doch beim Anblick einer dampfenden Tasse Kaffee läuft ihm noch immer ein kalter Schauer über den Rücken. "Einmal Raucher, immer Raucher", so jedenfalls sein nüchternes Fazit. Das ist wohl etwas dran, ich kenne eine ganze Reihe von Leuten, die auch nach vielen abstinenten Jahren noch rückfällig geworden sind.

500 gesparte Euro als Trostpflaster

Doch wäre das alles nur Leiden, vermutlich hätte ich schon längst wieder angefangen. Doch man wird belohnt für die Mühen. Der bellende Husten ist verschwunden, das Kratzen im Hals, die Kurzatmigkeit. Ich habe mich im vergangenen halben Jahr so fit gefühlt wie schon lange nicht mehr. Die etwa 500 gesparten Euro sind ein nettes Trostpflaster für die neun Kilogramm mehr auf den Hüften.

Ich den vergangenen sechs Monaten habe ich viele Gespräche über das Thema "Nichtrauchen" geführt, vor allem auch mit Rauchern. Erstaunt war ich darüber, dass der Antrieb dabei meist von ihnen ausging. Viele bewegt das Thema, viele wollen lieber heute als morgen damit aufhören. Fast alle haben es schon einmal probiert, manche sind wirklich verzweifelt, es will einfach nicht gelingen. Ich kenne das nur zu gut, ich selbst hatte den Gedanken einige Jahre vor mir hergeschoben, habe einige bemerkenswert klägliche Versuche hingelegt.

Nach einem halben Jahr ohne Zigaretten freue ich mich vor allem darüber, die Sache endlich angepackt zu haben. Aber mehr als ein Achtungserfolg sind die 187 Tage nicht (ja, ich habe jetzt doch noch gezählt). Ich kann überhaupt nicht ausschließen, dass ich mir vielleicht irgendwann mal wieder einmal eine Zigarette anzünden werde. Das zu glauben, wäre vermessen. Aber einen großen Lernerfolg habe ich tatsächlich erreicht: Ich habe der Scheiß-Sucht etwas entgegenzusetzen.

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