Drogenabhängigkeit Von der Süchtigen zur Helferin

Von Till Weingarten
Drogenabhängigkeit: Von der Süchtigen zur Helferin
© Colourbox.de
Im jährlich vorgestellten Suchtbericht stehen die Fakten. Aber welche Schicksale verbergen sich dahinter? Monika, die heute in Ostholstein Abhängige betreut, erzählt auf stern.de ihre Geschichte: Früher war sie selbst abhängig, auch ihre Tochter hing an der Spritze. Wie beide den Weg in ein normales Leben zurückfanden.

Schön soll er sein und harmonisch, der Muttertag. Monika, damals, im Jahr 1996, ist sie 41, freut sich auf ihren Ehrentag. Die ganze Familie ist beisammen, auch ihre älteste Tochter Christina, die damals 25 Jahre alt ist, ist mit ihrem Mann Markus (Namen geändert) zu Besuch. "Es war richtig Trubel im Haus", erzählt Monika. "Aber irgendwann war ich mit Christina ein paar Minuten allein in der Küche, sie half mir beim Essen machen. Da sagte sie plötzlich ganz leise: "Mama, ich bin ein Junkie, ich nehme Drogen. Bitte, sei nicht böse mit mir, verzeih mir!"

Als Monika das hört, dreht sich in ihrem Kopf alles. "Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, nur noch stammeln, ich sagte irgendwas wie 'Christina, nein, bitte nicht, was soll jetzt werden'. Ich fühlte mich so hilflos wie noch nie in meinem Leben." Monika versucht, den Tag irgendwie herumzubringen. In der Nacht schläft sie nicht: "Ich habe Stunden aus dem Fenster gestarrt und mich gefragt: Warum soll die Sonne überhaupt wieder aufgehen? Es hat doch alles keinen Sinn." Schuldgefühle plagen die Mutter, die Frage nach dem: "Was habe ich bloß falsch gemacht?"

Mit zwölf das erste Mal Drogen genommen

In dieser Nacht ist mit einem mal alles wieder da, von dem Monika geglaubt hat, sie könnte es vergessen. Sie erinnert sich an ihre eigene Sucht nach den Drogen. "Ich war damals zwölf, die Jüngste in der Clique. Ich ließ mich verführen, mal Haschisch zu probieren." Es bleibt nicht bei dem einen Mal und der einen Droge: Bald raucht Monika öfter Joints, nimmt härtere Drogen wie LSD. Sie spritzt Morphium, raucht Opium. "Ich war nur noch high, kam gar nicht mehr runter." Manchmal hat sie Horror-Trips, leidet unter Verfolgungswahn oder Depressionen.

Der Drogen- und Suchtbericht 2008

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing (SPD) hat den Drogen- und Suchtbericht 2008 vorgestellt. Demnach gefährden ungeachtet aller Appelle Millionen Menschen in Deutschland ihre Gesundheit, weil sie rauchen, zuviel Alkohol trinken oder Drogen nehmen. So rauchen noch immer 16 Millionen Erwachsene - mehr als jeder Dritte. Bei den Jugendlichen gingen die Raucherzahlen binnen sechs Jahren zwar um 10 Prozentpunkte auf 18 Prozent zurück. Allerdings nahm das Rauschtrinken "besorgniserregend" zu. Zwei Trendwenden verzeichnet der Bericht bei Cannabis: 13 Prozent der Jugendlichen probierten es zumindest einmal im Leben - drei Jahre zuvor waren es noch 22 Prozent. Deutlich höher als in den Vorjahren ist die Zahl bei den erwachsenen Konsumenten: 600.000 nahmen Cannabis. Bis zu 1,5 Millionen Menschen in Deutschland sind dem Bericht zufolge medikamentenabhängig. Die Zahl der Drogentoten stieg nach einem historischen Tiefstand 2007 um 98 auf 1394 Menschen. Der Konsum illegaler Drogen insgesamt ist rückläufig. Zuletzt nahmen noch 5,4 Prozent der 18- bis 59-Jährigen mindestens einmal im Jahr solche Rauschmittel.

Mit einem Jungen in der Clique ist Monika zusammen, sie wird schwanger. Als Christina zur Welt kommt, ist Monika erst 15 - und schon schwerstabhängig. Der Vater kümmert sich nicht um das Kind. "Ich wusste nicht mehr, was mit mir passierte." Ihr eigener Vater wendet sich an die Caritas. Dort rät man zu einer sofortigen Jugendtherapie. Monika geht freiwillig für 14 Monate in ein Frauenhaus von "Teen Challenge", einer christlichen Drogentherapieeinrichtung. Ihre Tochter darf sie nicht mitnehmen: "Aber ich dachte nur an sie. Für sie wollte ich mit den Drogen aufhören."

Dankbar für das neue Leben

Monika schafft den Entzug. Das erste Mal in ihrem Leben nimmt die junge Frau einen Job an. In einem Freizeithaus für Jugendliche auf Fehmarn arbeitet sie als Küchenhelferin. Dort, auf der schleswig-holsteinischen Insel, in der Provinz, lernt sie Karl kennen, und mit 20 Jahren lässt sie ihre schwierige Jugend endgültig hinter sich. Der Kunsthandwerker wird ihre große Liebe. Sie heiraten, wohnen in einem idyllischen Häuschen, bekommen drei gemeinsame Kinder. Monika: "Ich war dankbar für dieses neue Leben, es ging uns gut, wir hatten nie größere Probleme." Auch wenn sie immer diese eine Sorge hat: Dass ihre Kinder irgendwann Drogen nehmen. "Über meine Vergangenheit haben wir offen gesprochen", sagt sie. "Christina entwickelte sich prächtig, ging aufs Inselgymnasium, war ein beliebtes Mädchen", erzählt die Mutter. Bis heute glaubt Monika sicher: "Meine Tochter hat früher keine Drogen genommen." Als Christina sich in der Schule in Markus verliebt, hat die Mutter das Gefühl: "Er ist gut für meine Kleine."

Die beiden werden ein Paar, bekommen drei Kinder. Markus arbeitete als Koch, war ruhig, fleißig, den Kindern ein super Papa", erzählt Monika. "Sie lebten nur 15 Kilometer von uns entfernt auf Fehmarn. Wir sahen uns viel, auch unter der Woche." Doch plötzlich merkt Monika, dass Markus sich verändert. Er ist blass, nervös, launisch, hat Kreislaufprobleme. Ihr, der Frau mit Drogenerfahrung, erscheint das verdächtig: "Mit seinen Schichtdiensten war das nicht mehr zu erklären. Ich fühlte es einfach, da ist was mit Drogen." Sie fragt Christina direkt, hakt hartnäckig nach, stellt sie immer wieder zur Rede, bis ihre Tochter zugibt, dass Markus dealt. Er handelt mit Drogen, weil er das Geld braucht, um seine eigene Drogensucht - er spritzt Heroin - zu finanzieren. Monika: "In mir spielte alles verrückt. Ich war verzweifelt, und hasste Markus für das, was er tat. Ich wollte meine Tochter beschützen, sie da rausholen." Sie will, dass ihre Tochter Markus verlässt. Aber je mehr Monika sich von ihrem Schwiegersohn abwendet, desto mehr stellt sich Christina auf dessen Seite. Und es gelingt ihr, ihn zu Therapie zu bewegen.

Christinas Sucht beginnt in der Therapie

Es ist eine Familientherapie. Das Konzept: Die Angehörigen leben mit dem Süchtigen in einer geschlossenen Einrichtung unter ärztlicher und psychotherapeutischer Aufsicht. Auch Christina und die Kinder gehen mit. Nach 17 Monaten wird Markus als geheilt entlassen. Das jedenfalls glauben alle. Auch Monika. In Wahrheit nimmt er weiter Drogen. Heute sagt Monika: "Was in dieser Therapie wirklich geschah, werde ich wohl nie herausfinden." Aber in einem ist sie sicher: "Fixer wollen immer Menschen um sich haben, die 'auf Droge' sie wie sie. Ich weiß heute, dass Christina liebeswahnsinnig war, abhängig von Markus. Vielleicht wollte sie dazu gehören, glaubte durch die Drogen auch in seine Welt eindringen, ihm näher sein zu können. Es ist unfassbar, aber dort in der Therapie ist sie in den Sog der Fixer geraten." Als Christina an jenem Muttertag ihre Sucht gesteht, setzt sie sich selbst schon zehn bis 20 Schuss täglich. Dazu spritzt und schnupft sie Kokain. Jetzt gibt auch Markus offen zu, dass er rückfällig geworden ist.

Monika: "In der Therapiesprache heißt das: Sie "machen auf", stehen zu den Drogen, lassen sich aber auch völlig gehen: "Einmal hatte Christina um ihre Einstichwunden an den Armen alte dreckige Lappen gewickelt, die Wunden waren offen, bluteten, sie hatte eitrige Abszesse. Als ich das sah, ging ich stumm in mein Schlafzimmer, schloss mich ein und weinte." Monika erkennt, dass sie, wenn sie Christina und Markus helfen will, zuerst etwas für sich selbst tun muss. "Ich war selbst in Gefahr, wenn auch ganz anders. Weil Eltern die Sucht und den Verfall nie wahrhaben wollen, sind sie immer lieb, tun alles für den Süchtigen, opfern sich auf und gehen selbst unter." Sie sucht Kontakt zu anderen betroffenen Eltern, gründet 1997 einen Elternkreis in Burg auf Fehmarn. Sie will alles über Suchtstoffe, die Folgen und die richtige Gesprächsführung mit Süchtigen lernen, lässt sich zur Suchthelferin ausbilden.

Letzter Ausweg: Methadonprogramm

Christina aber geht es immer schlechter. "Es fehlten ihr fast alle Zähne, der Körper war übersät mit Abszessen, die Haare verklebt, sie stank erbärmlich", erzählt Monika schonungslos. "Einmal saßen wir alle auf der Terrasse, da kippte Chrissi mit dem Kopf plötzlich in die Suppe." Sie muss mit dem Notarzt in die Klinik, hat einen Schlaganfall, dazu kommt Hepatitis C, eine lebensbedrohliche Leberentzündung. Sie muss sich über eine verunreinigte Spritze angesteckt haben. Monika verschafft ihre Tochter und ihrem Schwiegersohn einen Platz in einem Methadonprogramm, der ärztlich kontrollierten Ersatzdroge."

Monika geht jetzt immer öfter auch in die Szene, an Bahnhöfe, in Parks, spricht Junkies direkt an. Je mehr persönliche Schicksale sie kennenlernt, desto klarer wird ihr: Eigentlich hilft hier niemand diesen verlorenen Seelen. Ganz langsam beginnen die Junkies, Monika zu vertrauen. 1999 kennt und betreut sie 120 junge Süchtige, die jüngsten sind erst 15. Sie will das Suchtproblem in Ostholstein endlich öffentlich machen. Daher schreibt sie Gesuche an Kommunalpolitiker und an alle Landtagsfraktionen, sammelt Spenden. Ihr Ziel: Es soll endlich eine Beratungsstelle eingerichtet werden. "Aber erst als ich drohte, alle Junkies zusammen zu trommeln und mit ihnen vors Kreishaus mit den Abgeordneten zu ziehen, reagierten sie." Nach neun Monaten wird ihr Antrag einstimmig genehmigt.

Parallel dazu gründet sie am 4. Mai 2000 den Verein LichtBlick Drogenhilfe OH, arbeitet ehrenamtlich für betroffene Familien. Ihre Arbeit spricht sich herum. Die Gemeinden Ratekau und Lensahn engagieren sie. Der Drogenbeauftragte von Schleswig Holstein sponsert eine Büroeinrichtung. Monika zieht mit einem Büro in einen Kellerraum im Nebeneingang des Rathauses: mit Telefon, Faxgerät und einer gebrauchten Sofaecke. Das Land Schleswig Holstein und zwei Kommunen zahlen sie mit einer viertel Stelle. Sie entwickelt ein Suchtentstehungsmodell, das schon Kinder verstehen sollen. 2004 bekommt sie über den Dachverband des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Kiel eine Zusage des Projektes und kann mit einer halben Stelle bei ihrem Verein angestellt werden. Der Kreis Ostholstein und Fehmarn finanzieren das Projekt seit 2007 mit. "Ich bin dankbar, dass inzwischen Politiker ein Bewusstsein für Prävention entwickelt haben und sich nicht aus der Verantwortung stehlen." Dennoch, ohne Sponsoren geht es nicht, die Lions- und Rotary Clubs beteiligen sich.

Die gefährlichste Droge

Sie fährt in Schulen, um Aufklärungsarbeit zu leisten. Wieder und wieder. Da lernt man die Monika kennen, die immer einen lockeren Ton am Leibe hat, zum Scherzen aufgelegt ist. Sie tritt weder mit übertriebenem Ernst noch mit erhobenem Zeigefinger vor die Schulklassen. "Haut euch das Zeug in den Kopf, passiert nix, heißt es", sagt sie flapsig - ruhig fügt sie hinzu: "Alles gelogen!" Und erzählt ihre eigene Geschichte. Die Jugendlichen spüren: Sie weiß, wovon sie redet. "Es ist gut zu wissen, was passiert, wenn man abhängig ist", meint ein Junge aus der 8. Klasse, und ein Mädchen gibt zu: "Ich hätte nicht gedacht, dass das so ausarten kann." Welche Drogen sind denn eigentlich so gefährlich? Monika: "Die gefährlichste Droge ist die, auf die du abfährst."

Zweimal pro Woche berät sie Drogenabhängige, offiziell hat sie Bürozeiten: Montag und Mittwoch von 14.30 bis 17.30 Uhr. "Aber Junkies halten sich nicht an so was", sagt sie. Wenn einer Hilfe braucht, fährt sie auch nachts zu ihm. "Einmal sagte ein Junkie, der es geschafft hat: "Wir sind der Lohn dafür, dass du den Kampf des Entzugs mit uns durchstehst." Für all ihr Engagement hat sie schon Preise bekommen: die Ehrennadel des Kreises Ostholstein und den Amy Trapp Preis für "außergewöhnliches soziales Engagement."

Tochter Christina hat es auch geschafft - doch fünf aus ihrer damaligen Clique leben nicht mehr. Zeitweilig hatte Monika während der Therapie Kontaktsperre, weil Außenkontakte den Erfolg der Therapie gefährden können. "Das war hart, aber ich weiß, es war nötig." Christina hat ihr Briefe geschrieben. "Sie hat mir auch ein Bild gemalt so wie sie mich aus frühester Kindheit in Erinnerung hat." Es hängt in Monikas Büro über dem Beratungssofa. Gerade die eigene Vita, alle Dramen in der Familie machen Monika Mut für ihre Arbeit. Inzwischen lebt Christina von Markus getrennt. "Markus hat es nicht geschafft, noch nicht." Doch Monika wird weiter kämpfen, jeden Tag aufs Neue um "Eltern und Betroffenen immer wieder Mut zu machen, gegen die Krankheit der Drogensucht mit ihrer hässlichen Fratze vorzugehen".

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