Herr Professor Lübbert, mit der Klimakrise treten neue Infektionskrankheiten in Deutschland auf. Das Robert Koch-Institut meldete vor kurzem, dass in diesem Sommer mindestens zwölf Menschen hierzulande am West-Nil-Virus erkrankt sind. Was ist das für eine Krankheit?
Das West-Nil-Virus ist ein Erreger, der ursprünglich aus Afrika stammt, 1937 wurde das Virus das erste Mal in einer Probe aus dem West-Nil-Distrikt in Uganda beschrieben. Inzwischen ist es auf allen Kontinenten zu finden. Neun der bislang bekannten deutschen Patienten kommen aus dem Großraum Leipzig, wir haben sie innerhalb der vergangenen vier Wochen am Uniklinikum betreut. Drei waren schwer krank mit Beteiligung der Hirnhäute oder des Gehirns. Einer der Patienten, ein älterer Mann, liegt noch auf der Intensivstation, er wird beatmet und ist komatös. Das Besondere jetzt ist: Die Patienten, die bei uns in Behandlung sind, waren vorher nicht auf Reisen. Sie haben sich also innerhalb Deutschlands angesteckt.
Wie kann man sich anstecken?
Das Virus wird durch den Stich einer Mücke übertragen. Der Zusammenhang ist wie folgt: Infizierte Zugvögel bringen den Erreger auf andere Kontinente, auch nach Europa. Die Mücke saugt Blut beim Vogel und überträgt das Virus beim nächsten Stich unter Umständen auch auf sogenannte Fehlwirte wie Pferde oder den Menschen. Dieser Erreger ist ein gutes Beispiel dafür, wie der Klimawandel die Ausbreitung von Krankheiten vorantreibt. Denn: Zur Übertragung in unseren Breitengraden auf den Menschen kommt es nur, wenn sehr hohe Temperaturen herrschen. Erst wenn längere Zeit eine Durchschnittstemperatur von 20 Grad oder mehr erreicht wird, wird der biologische Zyklus des Virus in der Mücke komplett durchlaufen. So warm war es bei uns im August und auch in der vorvergangenen Woche.
Braucht es für die Ansteckung eine besondere, exotisch eingewanderte Mücken-Art?
Nein, das Virus wird auch durch Mücken übertragen, die hier in Deutschland heimisch sind. Das ist bei uns vor allem "Culex pipiens", die Gemeine Stechmücke oder Nördliche Hausmücke. Es muss nur warm genug sein.
Erkrankt jeder, der von einer infizierten Mücke gestochen wird?
Nein, etwa 80 Prozent der Betroffenen merken von der Infektion gar nichts. Circa 20 Prozent bekommen grippale Symptome, Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen oder Hautausschlag. Ein Prozent erkrankt schwer, es kommt zur Entzündung der Hirnhäute oder des Gehirns, es können Gedächtnisstörungen und Lähmungen zurückbleiben. Die Krankheit kann in seltenen Fällen tödlich verlaufen. Diejenigen, bei denen es zu solch starken Beschwerden kommt, haben meist Vorerkrankungen, die das Immunsystem schwächen, oder sie sind hochbetagt. Rein rechnerisch bedeutet das im Moment: Wahrscheinlich haben sich im Großraum Leipzig ein paar hundert Menschen infiziert, die das zum Großteil gar nicht bemerken – eben weil sie keine oder nur leichte Symptome haben.
Ist das West-Nil-Virus komplett neu in Deutschland?
Seit wenigen Jahren gibt es immer wieder medizinische Fallberichte von Menschen, die sich bei einer Reise in einem anderen Land angesteckt hatten und bei denen die Symptome nach der Rückkehr hier in Deutschland auftraten. Wir haben im Jahr 2018 selbst so einen Fall an der Uniklinik Leipzig behandelt, die Patientin hatte sich in Österreich angesteckt. Das Neue jetzt ist, dass sich die Menschen innerhalb Deutschlands mit dem West-Nil-Virus infiziert haben. Eben durch diese besondere Mischung: Zugvögel, Überwinterung des Virus in der Hausmücke und Wärme.
Wie behandelt man die Krankheit?
Es gibt kein spezielles Medikament gegen das Virus. Man versorgt die Patienten nach dem Schema "best supportive care", also bestmögliche begleitende Behandlung. Letztlich müssen der Körper und das Abwehrsystem selbst das Virus bekämpfen.
Wird es einen Impfstoff geben?
Für Pferde, die auch daran erkranken können, gibt es bereits mehrere Impfstoffe. Ich denke, wenn das Virus sich weiter in wohlhabenden, westlichen Industrie-Nationen verbreitet und sich die Bereitstellung von Impfstoffen für die pharmazeutische Industrie lohnt, wird demnächst auch ein Impfstoff für den Menschen in klinischen Studien geprüft. Entsprechende Kandidaten gibt es bereits.
Kann es auch zu einer Übertragung von Mensch zu Mensch kommen?
Nein, das passiert zum Glück nicht, das ist die gute Nachricht. Wenn eine Mücke einen infizierten Menschen sticht und Blut saugt, reicht die Virusmenge nicht, dass beim nächsten Stich der nächste Mensch angesteckt wird.
Was raten Sie?
Vor allem Menschen, die nicht mehr kerngesund sind, mehrere Vorerkrankungen haben oder ein geschwächtes Immunsystem, sollten sich hierzulande besonders bei großer Hitze sorgfältig vor Mückenstichen schützen. Durch Mückenschutzmittel, lange Kleidung und feinmaschige Gittern vor den Fenstern.
Inzwischen erreichen auch exotische Mückenarten Europa und Deutschland. Welche Krankheiten können sie übertragen?
Das europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) in Stockholm veröffentlicht regelmäßig Verbreitungskarten von unterschiedlichen Mückenarten. Die asiatische Tigermücke beispielsweise, Aedes albopictus, kann das Dengue-Fieber und auch das ähnlich verlaufende Chikungunya-Fieber übertragen. Diese Mückenart ist vor allem in den südostasiatischen Tropen und Subtropen heimisch, hat aber inzwischen auch in Europa und im Süden Deutschlands Fuß gefasst. Sie breitet sich langsam nach Norden aus. Noch gab es keinen Fall von Dengue-Fieber in Deutschland, bei dem sich ein Mensch hierzulande angesteckt hat. Aber die Tigermücke ist da. Für eine Übertragung des Virus muss es allerdings wirklich heiß sein. Infektionen innerhalb des Landes gab es bereits in Teilen Spaniens, Kroatiens, Südfrankreich und Portugal; darunter war ein großer Ausbruch mit mehr als 2000 Betroffenen im Jahr 2012 / 2013 auf der Insel Madeira.

West-Nil-Virus, Dengue-Fieber, Chikungunya – was behalten Infektiologen noch im Auge?
Die "viszerale Leishmaniose", auch genannt "Kala Azar". Das ist eine Krankheit, die vor allem in Ostafrika, Indien, Bangladesch und Brasilien häufig ist, die es aber auch im Mittelmeerraum gibt. Überträger sind sogenannte Schmetterlingsmücken. Sie kommen inzwischen auch in einzelnen, wärmeren Regionen in Deutschland vor, im Oberrheintal beispielsweise. Es gab erste Leishmaniose-Erkrankungsfälle hierzulande, bei denen man nicht mehr einwandfrei sagen konnte: Der Patient hat sich im Ausland angesteckt. Ein Problem in Zukunft könnte sein: Infizierte Tiere wie Hunde aus südlichen Ländern, die den Erreger in sich tragen, kommen nach Deutschland – ob auf offiziellen Wegen oder geschmuggelt. Die Überträger, die Schmetterlingsmücken, sind bereits hier. Da muss man aufpassen, wie sich das entwickelt.
Kann es theoretisch auch Malaria hier geben?
Zum einen haben wir natürlich Fälle von Reiserückkehrern, die sich im Ausland angesteckt haben, insbesondere in Subsahara-Afrika. Aber, es gibt auch Fälle, bei denen eine infizierte Mücke aus den Tropen hierhergekommen ist, im Flugzeug oder im Gepäck. Und wenn diese Mücke bei warmen Temperaturen hier nicht gleich stirbt und jemanden sticht, kann es zu einer Malaria-Erkrankung kommen. Das nennt man Airport- oder Baggage-Malaria, also Flughafen-Malaria oder Gepäck-Malaria. Das gibt es. Es sind aber in ganz Europa nur Einzelfälle. In Deutschland gab es meines Wissens zuletzt zwei derartige Fälle im Oktober 2019 bei Mitarbeitern des Frankfurter Flughafens.
Sie raten den Menschen zu einem guten Schutz vor Mücken. Worauf sollten Ärzte besonders achten?
Das West-Nil-Virus ist jetzt leider Teil der Medizin in Deutschland geworden. Es ist davon auszugehen, dass die Erkrankungsfälle bei sehr heißen Sommern in den nächsten Jahren zunehmen. Ärzte, besonders Hausärzte, Internisten und Neurologen, sollten an diese Infektion denken, wenn sie Patienten mit unklaren Hirnhaut- oder Gehirnentzündungen betreuen.