Dass Yoga einst eine reine Männer-Domäne war, ist heute kaum noch vorstellbar. Ursprünglich von Männern für Männer entwickelt, hat sich das Verhältnis mittlerweile umgekehrt. Eine Studie des Berufsverbands der Yogalehrenden in Deutschland aus dem Jahr 2018 ergab, dass hierzulande neun Prozent aller Frauen regelmäßig auf die Matte steigen. Bei den Männern hingegen findet nur ein Prozent den Weg in die Yoga-Klasse. Dass vergleichsweise wenig Männer die indische Lehre praktizieren, liegt zum Teil an dem unausgewogenen Geschlechter-Verhältnis. Die Kurse sind mit Frauen gefüllt, Männer sind in der Unterzahl – und fühlen sich fehl am Platz. Dieser Problematik wirkt Eric Sommer, Yogalehrer und Achtsamkeitstrainer aus Hamburg, mit einer reinen Männer-Klasse – "Yogajunx" genannt – entgegen. Mit dem Kurs will Eric Sommer Männern einen Einstieg in die indische Praxis zu ermöglichen. Sein Angebot soll einen sicheren Raum schaffen, in dem sich die männlichen Teilnehmer wohlfühlen und Berührungsängste sowie Vorteile abbauen können.
(Eric Sommer und die Autorin, die ebenfalls Yoga-Lehrerin ist, kannten sich vorher noch nicht. Trotzdem waren sie gleich per Du – das ist in der Yoga-Szene üblich.)
Kannst du dich noch an den ersten Yoga-Kurs erinnern, an dem du selbst teilgenommen hast? Wie war das Verhältnis von Männern zu Frauen in der Stunde?
Ich würde sagen, es waren 90 Prozent Frauen. Meine erste richtige Yoga-Klasse war Hot Yoga. Der Stil ist sehr körperlich und hat tatsächlich einen festen Männer-Anteil. Aber auch da waren es mindestens 90 Prozent Frauen. Mir war zu dem Zeitpunkt schon klar, dass Yoga im allgemeinen Verständnis mehr ein Frauen-Thema ist, insofern wusste ich, worauf ich mich einlasse. Ich habe das gar nicht hinterfragt. Mit der Zeit wird man sensibler und als ich selbst zu unterrichten anfing, habe ich mich schnell gefragt, warum eigentlich nur Frauen in den Stunden sind.
Und, warum sind nur Frauen in den Stunden?
Yoga war früher von Männern dominiert. Das hat sich komplett gewandelt. Ich glaube, dass heutzutage eine Hemmschwelle da ist, weil es für viele Männer von außen betrachtet ein Frauen-Thema ist.
Welche Vorurteile, außer dass die Kurse zu weiblich sind, hält die Männer vom Yoga fern?
Der körperliche Aspekt ist mit die größte Hürde: "Ich muss ganz doll flexibel sein, um Yoga zu machen", "Ich muss schlank sein", "Da sind lauter Frauen, die enge Höschen anhaben und ich komme mit meinem Schlabber-Shirt und meinem Bauch". Solche Gedanken hemmen viele. Oder der Gedanke "Das ist gar kein Sport" – ja, es ist kein Sport. Es hat eine körperliche Komponente, aber es ist kein Sport. Dann gibt es noch Vorurteile wie "Yoga ist für mich zu spirituell", "Da werden Kerzen angezündet und Räucherstäbchen und das ist alles esoterisch". Auch der hohe Frauenanteil ist für viele unangenehm. Ich hatte am Samstag einen Kurs mit zwölf Frauen und einem Mann, der das erste Mal beim Yoga war. Er hat sich in der letzten Ecke verkrochen und gefragt: "Hier sind ja nur Frauen. Ist das immer so? Soll ich überhaupt kommen?" Das tat mir leid, aber das ist leider oft so. Viele fühlen sich nicht wohl.
An solchen Reaktionen hast du gemerkt, dass es einen Bedarf für reine Männer-Kurse gibt?
Ich habe am Anfang gar nicht gemerkt, dass es einen Bedarf gibt. Es war mir eher ein Bedürfnis, mehr Jungs auf die Matte zu bringen. Ich habe gesehen, dass zu wenig Männer beim Yoga sind und mich gefragt, wie man diese Hemmungen abbauen könnte. Dann kam die Idee zu reinen Männerklassen. Ich habe vor Corona mit Workshops angefangen und sie explizit so beworben, dass das Esoterische rausbleibt. Männer finden den Zugang zum Yoga eher über das Körperliche. Nach und nach kamen die Jungs – oft motiviert von der Frau oder Freundin, die bereits zum Yoga geht und den Partner überredet. Die Hemmschwelle ist deutlich geringer, wenn nur Männer im Raum sind. Die feste Klasse biete ich seit September an, seitdem ich mein Yoga-Studio eröffnet habe. Das Angebot wird super angenommen, die Stunde ist in der Regel ausgebucht.
Was motiviert Männer, in den Kurs zu kommen – außer der Ansporn der Partnerin?
Das ist ähnlich wie bei den Frauen. Es geht zum einen um das Körperliche. Man will sich mehr bewegen und dehnbarer werden oder Rückenschmerzen reduzieren. Das ist immer ein Punkt, der mitschwingt. In letzter Zeit kommt öfter der Wunsch nach Entspannung dazu. Die Teilnehmer wollen runterkommen und das Gedanken-Karussell anhalten. Bei den Leuten, die regelmäßig kommen, merkt man, dass sich eine Gemeinschaft entwickelt. Es kommen Menschen zusammen, die sich vorher nicht kannten und die sich beruflich oder privat nie treffen würden, weil sie aus so unterschiedlichen Ecken kommen. Hier finden sie sich, verstehen sich und tauschen sich vielleicht auch über Themen aus, über die sie sonst nicht reden – Männer machen Probleme sonst oft mit sich selbst aus. Hier ergibt sich die Möglichkeit, solche Themen offen anzusprechen. Vor oder nach der Stunde wird ein bisschen gequatscht, vielleicht trinken wir dann auch noch ein Bier zusammen.

Bemerken die Männer, die regelmäßig bei dir üben, auch körperliche und mentale Veränderungen?
Total. Neulich kam einer zu mir und sagte, er wolle mehr über Meditation lernen. Die Männer spüren, wie Yoga ihnen auf verschiedenen Ebenen guttut.
Das klingt, als ob die Männer den spirituellen und emotionalen Aspekten des Yoga doch nicht so abgeneigt sind.
Über den körperlichen Aspekt führe ich die Männer ans Yoga ran. Wenn sie damit vertraut sind, kommt die Offenheit für andere Themen von allein. Wir gehen dann auch mal an die spirituellen Seiten des Yoga. Ich baue zum Beispiel Atemübungen oder Philosophie aus der Yoga-Geschichte ein, manchmal wird meditiert. Gerade sind wir die sieben Chakren durchgegangen, die habe ich immer kurz angeteasert. Spannenderweise waren die Jungs sehr interessiert und haben jede Woche gefragt, welches Chakra heute dran ist. Es ist also keine rein körperliche Klasse. Die Stunde an sich unterscheidet sich kaum von einer gemischten Klasse.
Yoga für Männer: Hüftöffner sind eine anatomische Herausforderung
Dennoch ist ein Männerkörper anatomisch anders als ein Frauenkörper. Gibt bestimmte Haltungen, die eher für Männerkörper geeignet sind oder Haltungen, die du in der reinen Männerstunde eher weglässt?
Allgemein sieht man, dass Männer unbeweglicher als Frauen sind. Trotzdem lasse ich nichts weg, aber es gibt andere Schwerpunkte. Beispielsweise beim Thema Hüfte. Bei Männern ist das in der Regel eher steif und eng. Wenn wir Hüftöffner praktizieren, muss man an die Haltungen anders herangehen. Männer brauchen ein bisschen mehr Zeit, um die Stellen aufzuwärmen. Frauen haben in der Regel tendenziell mehr Kraft in den Beinen, während Männer eher einen stärkeren Oberkörper haben. Armbalancen fallen Männer deshalb leichter, stehende Balancen sind für Frauen wiederum einfacher. Es gibt auch andere Übungen, bei denen die Anatomie eine Rolle spielt. Wenn ich auf dem Bauch liege, sind bei einer Frau andere Körperteile im Weg als bei einem Mann. Er muss dann vielleicht mit einem beherzten Griff kurz etwas wegsortieren, was er sich sonst abklemmen würde. Das sind Sachen, die in einer gemischten Klasse manchmal schwierig sind.
Im Mindset bemerke ich auch Unterschiede. Wir sagen in den Männer-Klassen – wie bei allen anderen Kursen auch – man soll nicht nach links und rechts schauen, Yoga sieht bei jedem anders aus. Trotzdem machen wir das natürlich alle. Frauen haben tatsächlich einen anderen Ehrgeiz und sind oft geneigt, sich trotz ihrer körperlichen Grenzen in die Posen zu zwängen. Männer akzeptieren es eher, wenn sie etwas nicht können. Man würde vielleicht denken, dass Männer kompetitiver sind, beim Yoga erlebe ich es aber nicht so. Sie nehmen ihre körperlichen Grenzen eher an.
Wie würdest du die Stimmung in den Männer-Stunden beschreiben?
Die grundsätzliche Atmosphäre in Männer-Klassen ist komplett anders als in gemischten Klassen. Das ist für mich das Highlight. Es geht nicht darum, dass die Männer die Praxis nicht ernst nehmen – im Gegenteil. Sie sind fokussiert, aber es wird unglaublich viel gelacht. Und auch geflucht. Die Konzentration ist da, aber mit weniger Stille. Es wird zwischendurch gestöhnt und es wird viel öfter nachgefragt. Das trauen Männer sich in dem Rahmen eher als in gemischten Klassen.
Du hast es bereits erwähnt: Kerzen und Räucherstäbchen sind eher verschrien. Passt du die Atmosphäre im Yoga-Studio auf die Männer an?
So ein beherztes Om würden wir zum Beispiel eher nicht singen. Auch das kann man nach und nach einschleichen, wenn die Männer merken, dass Yoga auf verschiedenen Ebenen wirken kann, aber ansonsten ist mein Studio, der "Mattenplatz", ohnehin nicht verspielt, sondern eher schlicht eingerichtet. Das ist auch ein wichtiges Thema. Wenn ich als Mann in einen Raum kommen, in dem überall fliederfarbene Tücher herumliegen und Fähnchen an den Wänden wehen komme ich in eine fremde Welt und sehe meine Vorurteile direkt bestätigt. Da ist die Hemmschwelle anders, als in einem Raum, der relativ schlicht ist. Auch wir haben einen kleinen Altar in der Ecke und zünden Räucherstäbchen an, aber es ist alles sehr dezent.
Bei den Männern kommt dein Kurs gut an, einigen Frauen aber stößt das Angebot auf, wie du in einem Podcast-Interview berichtet hast. Wie reagierst du auf solche Kritik?
Das waren Einzelfälle. Ich hatte das zum Beispiel bei einem Workshop, wo sich zwei Frauen angemeldet haben. Als ich ihnen mitgeteilt habe, dass der Kurs nur für Jungs ist, kam als Antwort, dass das sexistisch und diskriminierend sei. Das muss man schlicht wegatmen. Andererseits haben mir Teilnehmer der Männer-Klassen erzählt, dass sie schon von Frauen in gemischten Klassen angesprochen wurden, nach dem Motto "finden wir gar nicht gut, dass ein Mann dabei ist und mir ständig auf den Hintern guckt". Mein Kurs hat nichts mit Ausgrenzung zu tun oder damit, dass wir Geschlechter auf einer sexualisierten Basis trennen. Es geht darum, einen Raum zu schaffen, in dem sich die Jungs wohlfühlen und Lust auf Yoga haben. Ich merke, wie gut das Konzept angenommen wird, also hat es eine Daseinsberechtigung.
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Welche drei Tipps würdest du einem Mann, der mit Yoga beginnen will, mit auf den Weg geben?
Mein Tipp Nummer eins ist: Einfach machen! Und im Zweifel zu unterschiedlichen Lehrern gehen, um zu schauen, wo mir die Atmosphäre gefällt und mir die Person, die die Klasse leitet, sympathisch ist. Das ist bei Frauen aber nicht anders. Das Zweite wäre, sich dann darauf einzulassen. Yoga ist kein Sport, es kann auf verschiedensten Ebenen etwas auslösen – sich darauf einzulassen und auch Atemübungen oder Meditationen eine Chance zu geben. Und der dritte Tipp wäre, keine Angst zu haben. Weder davor, sich zum Idioten zu machen, noch davor, nicht fit genug zu sein. Es geht beim Yoga nicht darum, ob du mit den Händen auf den Boden kommst, sondern was auf dem Weg dahin passiert. Yoga ist für jeden möglich und kann jedem etwas bringen, auf der körperlichen und auf der geistigen Ebene.
Quellen: Berufsverband der Yogalehrenden