Als ich Dan Smith das erste Mal sah, schien er sich krampfhaft an sein Keyboard zu klammern. Mit seinen schwarzen Sneakers, seinem schwarzen Shirt und seiner schwarzen Haartolle verschmolz er mit dem düsteren Bühnen-Hintergrund. Damals, das war 2014 in Oberhausen. Das erste Album von Bastille, "Bad Blood", inklusive der weltbekannten Single "Pompeii", hatte wenige Monate zuvor die Charts gestürmt. Dass dem Frontmann der Erfolg irgendwie unangenehm ist und er sich auf der Bühne nicht unbedingt zuhause fühlt, sah man ihm an. Damals war er 27 Jahre alt.
Dass er heute immer noch vor jedem Gig mit Angst und Nervosität zu kämpfen hat, kann man kaum glauben, wenn man zusieht, wie der energiegeladene Musiker über die Bühne im Hamburger Stadtpark wirbelt. Er springt, er lacht, er redet und erzählt aus den Anfangstagen der Band. Der graue Hoodie mit dem aufgedruckten Wolf und die weinroten Chucks, die der Frontmann damals immer trug, schmücken die Bühne zur Jubiläumstour, bei der die Band das "Bad Blood"-Album nach zehn Jahren wieder spielt.
Die Musik von Bastille begleitet mich seit zehn Jahren
Trotz all der Zeit, die vergangen ist und trotz all der Touren, die die Band in ausverkaufte Stadien und Hallen auf der ganzen Welt geführt hat, gehören Sätze wie "Ich kann nicht so gut reden" und "Ich bin die peinlichste Person hier" immer noch zum Standard-Repertoire von Dan Smith. Der Frontmann ist zwar erwachsen(er) geworden, im Grunde ist er aber immer noch derselbe: Ein leidenschaftlicher Musiker, der seine Songs der Welt zeigen will, dabei aber immer etwas schüchtern, befangen und sehr demütig wirkt.
Als Fan der ersten Stunde kannte ich die britische Indie-Rock-Band, noch bevor alle Welt "Eh eh oh eh oh" sang. Bei meinem ersten Konzert in Oberhausen war ich 16 Jahre alt, heute bin ich 25 und über all die Jahre haben Bastille – ihre vier Alben und die vielen, vielen musikalischen Nebenprojekte – mich begleitet. Ihre Lieder sind in meine Geschichte gewoben, erzählen auch von meinem Erwachsenwerden, meinen Hochs und Tiefs und meinen wichtigsten Freundschaften.
Wie passend, dass ausgerechnet das erste Album, das Dan Smith damals in seinem Schlafzimmer geschrieben hatte, davon handelt, "einen Schritt zurückzutreten und sich anzusehen, was für eine Person man geworden ist", wie der Musiker bereits 2013 im "NME"-Interview erläuterte. Wie passend, dass die Band gleich zu Beginn ihren Welt-Hit "Pompeii" durch den Stadtpark schmettert, gefolgt vom ebenfalls sehr erfolgreichen "Things we lost in the Fire".
Die Texte sind zeitlos und könnten sich nicht besser eignen für den Rückblick auf die vergangenen zehn Jahre, einen Rückblick aufs Erwachsenwerden. "Does it almost feel like nothing has changed at all?" und "Do you understand that we will never be the same again?", singt Dan Smith. Ich stehe dabei neben meiner ehemaligen Mitbewohnerin, bis heute eine meiner engsten Freundinnen und ebenfalls Bastille-Fan. Mit ihr habe ich nicht nur die Wohnung und die Freude an jedem neuen Bastille-Song geteilt, sondern auch entscheidende Abschnitte auf unserem Lebensweg: der Umzug nach Hamburg, das Studium, der Einstieg ins Berufsleben.
Videomaterial zeigt die Anfangszeit der Band
"Es ist verrückt, dass es schon zehn Jahre her ist", sagt Dan Smith nach den ersten Songs. Im Hintergrund läuft während der gesamten Show Videomaterial aus der Anfangszeit der Band, das ein befreundeter Filmemacher damals aufgenommen hat. Es sei etwas beschämend, sich all die Clips anzuschauen, gibt der Sänger zu. "Sie zeigt, wie dumm und unreif wir waren – und nichts daran hat sich jemals geändert." Manche Dinge ändern sich eben nie.
Die Videos zeigen, wie die vier Bandmitglieder einen Reifen wechseln müssen, weil der kleine Van, mit dem sie vor dem Welt-Erfolg durch die Lande tourten, einen Platten hatte. Wie Bassist Will Farquarson sich in den USA spontan ein Tattoo stechen lässt. Wie die Jungs plötzlich durch Asien und Südamerika touren. Wie Keyboarder Kyle Simmons eine noch nicht ganz leere Flasche Whiskey aus dem Müll fischt. Wie Drummer Chris "Woody" Wood drei Gläser Bier auf einmal zu trinken versucht.
"We were young and drinking in the park, there was nowhere else to go", stimmt Dan Smith den Titel-Song des Albums an. Eine Zeile, die mein 16-jähriges Ich, das damals noch in einem Bayerischen Dorf lebte, nur zu gut nachfühlen konnte. Den Song hörten meine beste Freundin und ich besonders oft, als wir unsere ersten Erfahrungen mit Alkohol – klebrig-süßem Hugo – machten. Noch lieber mochten wir damals aber "These Streets". Den Refrain ("I won’t show my face here anymore") stimmten wir immer dann an, wenn wir von der großen, weiten Welt träumten und davon, nie mehr zurückzukehren.
Es ist eines dieser typischen Bastille-Lieder, mit epischen Drums und melancholischem Text. Weil die Band den Track seit Jahren aber nicht gespielt hat, musste sie ihn für die aktuelle Tour wieder neu lernen. Ein Großteil des ersten Albums sei "very depressing", auch wenn manche Lieder fröhlich klingen, sagt der Frontmann. Genau diese Kombination ist es, die bis heute den Sound der Band kennzeichnet. Manche Dinge ändern sich eben nie.
Dan Smith versteht, wie schwer die Last des Lebens manchmal wiegt
Auf der ersten Platte gibt es gleich zwei Lieder, die den Titel "Weight of Living" tragen. Beide spielt die Band an dem Abend im Hamburger Stadtpark. Und beide transportieren das Thema des ersten Albums wie kaum ein anderer Song: "Es ist diese dämmernde Erkenntnis, dass sich alles auf dir angehäuft hat und es an dir als Erwachsenem liegt, dich selbst zu sortieren", beschrieb der Frontmann es 2013 im "NME"-Gespräch. Diese Erkenntnis hat mich in den letzten zehn Jahren mehr als einmal getroffen. Aber jedes Mal, wenn mir die "Last des Lebens" zu schwer schien, haben mich die zwei Songs aufgeheitert.
Die vertraute Stimme von Dan Smith, die mir versichert, dass er genau weiß, wie ich mich fühle. Manche Dinge ändern sich eben nie. Schon seit jeher nutzt der Frontmann den Song "Flaws", der es noch vor "Pompeii" in die UK-Charts geschafft hatte, um durch das Publikum zu laufen. Begleitet von mehreren Security-Kräften geht Dan Smith über den schlammigen, vom Regen aufgeweichten Boden durch die hintersten Reihen. Später, als Bastille ihren Chart-Hit "Happier" spielen, wiederholt er das Ganze – und kommt dieses Mal auch an uns vorbei. Das Fan-Herz hüpft in diesem Moment besonders hoch.
Als er wieder auf der Bühne steht, nimmt er ein Handy, das ihm ein Fan in der ersten Reihe entgegenhält. Grinsend macht er damit einige Fotos – und steckt es dann ein, nur um es wenig später wieder hervorzuholen. Bevor er es dem Zuschauer zurückgibt, nimmt er eine kurze, persönliche Videobotschaft auf. Weil auf dem Plakat des Handy-Besitzers zu lesen ist, dass seine Begleitung, ein riesiger Bastille-Fan, heute nicht mitkommen konnte.
"Thanks for supporting us Idiots"
Die letzten Songs des ersten Albums sind ruhiger, langsamer. Die Fans werden leiser, die Gänsehaut intensiver. Als der Frontmann "How am I gonna get myself back home" singt, muss ich schmunzeln. Ich erinnere mich nicht nur an all die Abende, die ich als Teenager mangels öffentlichen Nahverkehrs nur schwerlich nach Hause kam, sondern auch an meinen aktuellen Malta-Urlaub mit meiner Bastille-WG-Freundin, als die Busse am Abend oft nicht mehr kamen und wir scherzhaft dieses Lied trällerten.
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"Thanks for supporting us Idiots", steht am Ende der ersten Show-Hälfe in roten Lettern auf dem Bildschirm. In der zweiten Hälfte wolle die Band noch ein paar andere Sachen spielen, kündigt der Frontmann an. Davor flimmert kurz das Dreieck, das seit jeher das "A" im Bastille-Logo ersetzt und seit 2019 als kleines Tattoo mein Handgelenk ziert, über den Bildschirm. Das Dreieck hat sich bei jedem Album verändert – ebenso wie Dan Smiths Haare, die er mal abrasiert und mal blondiert hatte.
Bastille kehren immer wieder zu ihrem Sound zurück
Dass er inzwischen wieder bei seinem schwarzen Original-Haarschnitt ist, hat irgendwie auch etwas Symbolisches: Trotz aller Experimente und Wege, die man beim Erwachsenwerden einschlägt, kehrt man am Ende doch oft zurück. Wie Bastille zur Essenz ihrer Musik, die trotz aller Projekte stets erhalten geblieben ist. Ein paar ihrer musikalischen Ausflüge geben sie am Ende zum Besten: Den Rock-Song "What you gonna do?" und ein Cover des TLC-Songs "No Scrubs", der in das Bastille-Version "No Angels" heißt und zu den ersten jemals veröffentlichten Liedern der Indie-Band zählt.
Zu einem der frühesten Tracks gehört auch das Mash-up "Of the Night". Der Mix aus den beiden 90er-Klassikern "Rhythm is a Dancer" und "The Rhythm of the Night" schaffte es sowohl in Großbritannien als auch hierzulande 2013 in die Top Ten der Charts. Mit dem Track bringt Bastille den Stadtpark, den "Hobbit-Garten", wie Dan Smith die Location mehrmals nennt, zum Ende hin noch einmal richtig zum Beben. Zuletzt gibt es noch einen Track aus dem aktuellen Album.
Bastille stimmt den einzigen rundum unbeschwerten und freudigen Song der neuesten Platte an. Der Text führt weg von den düsteren Seiten des Lebens, vom nostalgischen Schwelgen in der Vergangenheit und ruft dazu auf, den Moment zu genießen: "No talk of the future now, dark thoughts you’re taking them, shaking them out." Eine Songzeile, die ich mir an diesem Abend sehr zu Herzen genommen habe.