Charlotte Roche weiß, was sie ihren Fans schuldig ist: "Wer dachte, 'Feuchtgebiete' ist krass, muss sich hierbei richtig anschnallen", kündigt die Autorin in einem vorab produzierten Video, mit dem sie ihr neues Buch "Schoßgebete" bewirbt. Dass sich die Titel ähneln, ist kein Zufall: Nach dem Überraschungserfolg ihres Debüts soll der Nachfolger ein ähnlicher Verkaufsschlager werden. Damit das klappt, wird nichts dem Zufall überlassen.
Während der Erstling bei Dumont erschienen ist, kommt das neue Buch bei Piper heraus. Die Autorin ist ihrem Verleger Marcel Hartges gefolgt. Piper flankiert die Veröffentlichung mit einer gründlich geplanten Pressestrategie. Der Verlag wollte sich auf stern.de-Anfrage nicht zu Details äußern. Und auch der Verleger stand für kein Gespräch zur Verfügung. Doch eines ist klar: Die Strategie beruht auf größtmöglicher Geheimhaltung. Erst zwei Tage vor dem offiziellen Erscheinungstermin am 12. August werden Rezensionsexemplare an Journalisten herausgeschickt. Niemand soll schon vorher Details ausplaudern.
Für die Vorabberichterstattung wurden Medien gezielt ausgewählt: Der "Spiegel" bekommt ein Exklusiv-Interview, der "Brigitte" stellte sich Roche für ein großes Porträt zur Verfügung. Ansonsten kommt offenbar dem Internet eine bedeutende Rolle zu: Unter anderem werden Youtube und Facebook als Kanäle einbezogen. Im September geht Charlotte Roche dann auf große Tournee: In 13 Großstädten wird sie aus "Schoßgebete" lesen. Dabei steigt sie nur in großen Hallen ab, etwa das Schmidt Theater in Hamburg oder der Schlachthof in Bremen.
Startauflage: 500.000
Roche muss in gigantischen Kategorien denken, denn die Startauflage wird mit einer halben Million angekündigt. Eine gewaltige Zahl - vor allem, wenn es um eine deutsche Autorin geht. Das heißt nicht unbedingt, dass tatsächlich so viele Exemplare gedruckt werden. "Mit solche Zahlen signalisieren Verlage dem Buchhandel, wie wichtig die Veröffentlichung ist", sagt ein Brancheninsider. Im Fall von "Schoßgebete" können es aber tatsächlich so viele Bücher werden. Denn eine Faustregel der Buchbranche besagt: Der Nachfolger eines Bestsellers schafft mindestens ein Drittel der Verkäufe. Angesichts von 1,7 Millionen verkauften "Feuchtgebieten" sollte das also möglich sein.
Der Handel ist jedenfalls für den Ansturm gerüstet: Man erwarte, dass "Schoßgebiete" einer der stärksten Titel des Herbstes wird, sagt ein Sprecher der Buchhandelskette Hugendubel auf Anfrage. Und auch Thalia verspricht, das Buch "in ausreichenden Mengen und gut auffindbar" bereit zu halten.
Doch die beste Werbekampagne nützt nichts, wenn das Buch selbst nicht kickt. Und so bemüht sich der Verlag schon mal vorab, mächtig Wind zu machen: "Schoßgebete" widme sich einem unserer letzten Tabus heißt es auf der Homepage von Piper. Wie schon in "Feuchtgebiete" - das die Autorin einmal als "Fik-tion mit Betonung auf der ersten Silbe" bezeichnet hat -, geht wieder es auch hier um Sex. Doch wer bei dem Wort Tabu an etwas Abartiges wie Pädophilie oder Geschlechtsverkehr mit einem Esel denkt, liegt komplett daneben. Es geht um: ehelichen Sex.
Deutliche Parallelen zur Autorin
Darauf muss man erst mal kommen, dass es sich bei diesem Thema um ein Tabu handelt. Wenn man allerdings die Verlagsankündigung genau liest, dann wird klar, worin der Aufreger liegen könnte: Elizabeth, die Protagonistin des Buches, weist deutliche Parallelen zur Autorin auf: Sie ist Mutter einer Tochter, lebt aber mit einem anderen Mann zusammen. Und es ist die Rede von einem schrecklichen Unfall.
Das alles trifft auch auf Charlotte Roche zu: Von dem Musikjournalisten Eric Pfeil, dem Vater ihrer achtjährigen Tochter Polly, ist sie getrennt und seit 2007 mit dem Brainpool-Mitbegründer Martin Keß verheiratet. Und ihre drei Brüder kamen 2001 auf dem Weg zu ihrer Hochzeit nach London bei einem Autounfall ums Leben, bei dem ihre Mutter zudem schwer verletzt wurde. Der Kitzel könnte also darin liegen, dass Roche immer wieder die Grenze zwischen Fiktion und Realität überschreitet und der Leser intime Einblicke in Charlotte Roches Leben erhält - oder zumindest glaubt, sie zu erhalten.
Wie viel Intimes darf eine Autorin verraten?
Es könnte eine Debatte ins Haus stehen, wie viel Autoren über ihr Privat- und Intimleben preisgeben dürfen. Sollte das so kommen, dürfte Charlotte Roche die Feuilletons ähnlich beherrschen wie damals, als die deutsche Presse als Reaktion auf "Feuchtgebiete" über Geschmacksgrenzen und Hygienewahn disktutierte. In jedem Fall scheint Charlotte Roche vergessen zu haben, was sie 2009 angekündigt hatte: "Ich war eine verbale Sau, aber ich bin es nicht mehr. Das ist vorbei", sagte sie damals dem "Spiegel".
Der Leser darf sich also auf einiges einstellen: "Es ist eine richtige Achterbahn der Gefühle. Ich schwöre", sagt Roche zum Ende ihrer Videobotschaft. Der Piper-Verlag hat jedenfalls gründlich daran gearbeitet, dass die Veröffentlichung für ihn keine Achterbahnfahrt wird.