Frau Roche, wer kann sich eigentlich mehr über Ihren neuen Job freuen: Sie, weil Sie von Ihrem Skandal-Image wegkommen, oder Ihr neuer Arbeitgeber, der gerade davon profitiert?
Anfangs habe ich mich wahnsinnig gefreut, dass man mir anscheinend bei Radio Bremen mein Buch "Feuchtgebiete" nicht übel nimmt. Das war naiv. Mittlerweile ist mir natürlich auch klar geworden, warum mir hauptsächlich der Job angeboten wurde.
Um die jungen Zuschauer ranzuholen.
Die denken, dass das meine Aufgabe ist, junge Zuschauer ans Programm zu binden. Man darf aber nicht den Fehler machen und mich für besonders jung und flippig halten, nur weil ich vor zehn Jahren gepierct und stark geschminkt Musikfernsehen gemacht habe. Wenn sie frischen Wind wollen, können sie den gerne haben. Aber ich denke - und das werden die "3nach9"-Leute jetzt nicht gerne hören - ich bin unfähig, Quote zu machen. Ganz ehrlich: Ich weiß nicht, wie das geht. Die meisten Sachen, die ich bisher gemacht habe, waren extrem erfolglos. Bei Viva hatte ich jeden Tag die schlechteste Quote. Ich habe mir ein Leben lang eingeredet, dass die Sachen, die ich mache, zu schlau für die Masse sind. Die dümmsten Sachen haben die höchste Quote.
Ihr Buch wurde über eine Million Mal verkauft.
Was das jetzt über "Feuchtgebiete" sagt, sei dahingestellt.
Sie sehen die Verjüngung der Öffentlich-Rechtlichen also nicht als Ihren Auftrag?
Ich wüsste nicht, wie das funktionieren soll. Ich bin ja nicht der Pocher von Giovanni di Lorenzo. Und die Verjüngung der ARD hat mit Pocher auch überhaupt nicht geklappt. Zu denken, wenn man da jemand Junges hinsetzt, würde man das Problem lösen, ist ein Trugschluss. Die Teenager, die ich kenne, die gucken gar kein Fernsehen. Die sind nur im Internet. Ich frage mich, ob man die Jugend nicht lieber als verloren erklären sollte, anstatt sich ihr anzubiedern.
Inwiefern passen Sie denn zu den Öffentlich-Rechtlichen?
Schon bei Viva war ich total öffentlich-rechtlich. Ich habe mich ganz strebermäßig auf die Gäste vorbereitet. Es war immer meine größte Stärke, meine Gäste in Sicherheit zu wiegen. Ich komme mir selber wahnsinnig seriös und spießig vor. Meine Freunde lachen sich immer kaputt und sagen: Wenn das die Leute wüssten, was du für eine Spießerin bist. Wenn zum Beispiel jemand bei uns vor dem Haus auf unserem Parkplatz steht, dann renne ich raus und schreie rum.
Die Bremer Bürgerschaftsabgeordnete Elisabeth Motschmann hält Sie nicht für spießig, sondern kritisiert seit Wochen, Sie wären zu obszön für die Sendung.
Ach, mir ist egal, was diese Frau über mich sagt. Ich weiß ja, wie sympathisch und zart und einfühlsam ich bin. Viele haben Angst, dass ich aus "3nach9" jetzt eine perverse Sendung mache. Da kann ich nur drüber schmunzeln. Ich bin nicht so schamlos, ich bin total schamhaft, sonst gäbe es dieses Buch auch nicht. In dem Buch geht es um Sachen, die mir total peinlich sind und mit denen ich sexuell und körperlich massive Probleme habe.
Radio Bremen würden Sie einen Gefallen tun, wenn Sie nicht zu spießig wären ...
Auf jeden Fall sind Sexthemen jetzt Giovanni di Lorenzos Ding. Ich habe genug geleistet für die sexuelle Befreiung Deutschlands.
Das sagen Sie jetzt, Sie haben aber auch vor einem Jahr gesagt, dass Sie nie wieder zum Fernsehen wollen.
Ich weiß auch nicht, warum ich so blöd bin und so etwas immer unüberlegt und vor allem auch unaufgefordert sagen muss. Wenn die "3nach9"-Leute mich da ernst genommen hätten, wäre ich jetzt echt am Arsch.
Warum wollten Sie nichts mehr mit Fernsehen zu tun haben?
Das war so eine Art Erschöpfung vom Fernsehen. Und eine Wut: Warum muss das immer alles so anstrengend sein, warum wird man da immer so gegängelt? Ich bin ja von Viva noch so eine wahnsinnig verwöhnte Fernseh-Diva. Ich durfte da machen, was ich wollte. Das war natürlich nie wieder in so einem Ausmaß möglich.
Lesen Sie weiter auf Seite 2: Charlotte Roche über wichtigtuende Fernseh-Fuzzis und "Feuchtgebiete" ...
Haben Sie sich deswegen von allen Ihren bisherigen Arbeitgebern im Streit getrennt?
Ja, Teamwork und so kann ich einfach nicht. Es war bisher immer so, dass ältere Männer meinten, mir sagen zu müssen, wie ich meine Fragen zu stellen habe.
Denken Sie, dass das bei "3nach9" anders wird?
Die bei "3nach9" haben mich geholt, weil ich bin, wie ich bin. Die wissen ganz genau, was für ein Monstrum sie sich ins Haus geholt haben. Damit muss man dann auch leben können und nicht versuchen, mich zu bremsen. Die Gäste sind nicht die Herausforderung für mich, sondern mit Giovanni klarzukommen und der Redaktion. Ich habe aber große Hoffnung, dass es diesmal klappt. Ich fände es wahnsinnig peinlich, wenn ich diesmal wieder nach ein paar Sendungen sagen müsste, wir sind im Streit auseinandergegangen. Ich will es wirklich versuchen. Zur Not gehe ich auch zu einem Mediator. Ich will den Streit nicht wieder so eskalieren lassen, dass ich dann kündigen muss. Das ist ja fast schon ein psychischer Schaden bei mir.
Was wollen Sie anders machen bei "3nach9"?
Zumindest soll es etwas lustiger werden. In Talkshows nehmen sich viele Fernseh-Fuzzis viel zu wichtig und ernst. Talkshows sollen unterhalten.
Abgesehen davon, dass Sie jetzt "3nach9"-Gastgeberin werden, wie hat sich der Erfolg von "Feuchtgebiete" auf Ihr Leben ausgewirkt?
Es hat mich total durchgeschüttelt. Nicht nur für Außenstehende, auch für mich ist das Buch monströs und riesig. Wahrscheinlich brauche ich acht Jahre, um das Ganze zu verarbeiten. Es gibt für mich ganz klar ein Leben vor dem Buch und eins danach. Auf der Straße bin ich die "Feuchtgebieterin", die Tussi, die das obszöne Buch geschrieben hat. Aber ich bin kein Opfer, ich habe das Buch ja selber gemacht. Ich kann darüber lachen. Ich habe es halt so unfassbar geil gemacht, dass die Leute denken, dass ich wirklich so bin, dass ich immer nur voll auf die Kacke haue.
Und die echte Charlotte Roche?
Die guckt sich jetzt das Buch-Cover an und kann immer noch nicht glauben, dass das was mit ihr zu tun hat. Ich grusele mich vor dem Buch und vor mir selbst. Ich fühle mich ein bisschen wie George Michael mit "Last Christmas". Ich kann es nicht mehr hören, es war aber mein größter Erfolg. "Feuchtgebiete" hat mich unabhängig gemacht. Von allem. Vor allem finanziell. Ich kann es mir jetzt erlauben, mir meine Jobs auszusuchen. Und bei kleinen Sendern zu arbeiten, die wenig zahlen.
Die erste Ausgabe von "3nach9" mit Charlotte Roche läuft am 11. September um 22 Uhr im NDR
Ein ausführliches Porträt von Charlotte Roche finden Sie im neuen stern.
Will nicht der Pocher von Giovanni sein: Charlotte Roche