Hans-Hinrich Koch hatte eine echt gute Idee. Mensch, dachte er sich, machen wir doch mal einen richtig schönen Katastrophenfilm über eine Tsunami-Flutwelle. Eine, die in der Nordsee ausgelöst wird und mal so eben nebenbei über das Urlauber-Sandstrandparadies Sylt hinwegrollt. Und das gleich volle zwölf Meter hoch. Sicherlich hat Koch vor seinem inneren Auge bereits die Menschen gesehen, die in Badehose vom Strand wegrennen, im Hintergrund die riesige Flutwelle, die sich bedrohlich aufbaut, um gleich mit nassen Zähnen zuzubeißen.
Nach anderthalb Jahren der akribischen Vorbereitung und ausreichend Kohle von der Filmförderung war die Firma avindependents 2004 endlich dazu in der Lage, ihren ersten Film zu stemmen: "Tsunami - Terror in der Nordsee". In Berlin, auf Amrum und im Studio entstand ein spannender Actionstreifen, der im Fernsehen für höchste Einschaltquoten sorgen sollte. Und dann zeigte sich, dass manchmal ganz überraschend die Realität das Heft der Handlung in die Hand nimmt und die Karten neu mischt.
Die Realität verdrängt die Fiktion
Der Film war Ende 2004 endlich fertig gestellt, nachbearbeitet und zur Ausstrahlung im Fernsehen vorgemerkt. Doch dann gab es nach Weihnachten 2004 plötzlich ein Seebeben im Indischen Ozean. Ein echter Tsunami rollte über zahlreiche Küsten in Südostasien hinweg. Am Ende sind 300.000 Menschen tot. Die Bilder der Zerstörung, des Elends und der menschlichen Not flimmerten wochenlang über die Bildschirme.
Bei Pro7 stellte man noch vor Sylvester fest: Ein Tsunami ist auf einmal gar nicht mehr so lustig. Ganz im Gegenteil: Das ist kein gutes Thema für einen Katastrophenfilm. Jetzt nicht mehr. Ein Vulkanausbruch, ja, der wäre okay. Ein Erdbeben auch. Aber kein Tsunami. Zu deutlich haben die Zuschauer noch die Bilder im Kopf, haben von deutschen Familien gelesen, die ihre kleinen Kinder in der Riesenwelle verloren haben. Der Film wandert also vorerst in den Giftschrank des Senders. Damit trifft ihn das Elend in Asien ebenso überraschend wie das Lied "Die perfekte Welle" der Gruppe Juli, das nicht mehr im Radio gespielt wird. Aus Pietätsgründen.
Neun Monate sind vergangen
Doch das ist nicht tot, was ewig liegt, bis das der Tod die Zeit besiegt. Das sagte schon der Gruseldichter H.P. Lovecraft. Im Fernsehjargon bedeutet dies: Der Film hat viel zu viel Geld gekostet, den können wir doch nicht einfach so wegwerfen. Den senden wir. Sobald eine gewisse Zeit vergangen ist. Das ist nun der Fall. Neun Monate später steht der Film wieder im Programm. Abgebrühte Zuschauer zucken mit den Schultern, andere, die sensibler sind, staunen: Das geht doch nicht. Fakt ist aber: es geht.
Und es muss gehen, denn es wäre zu schade, den Film einfach wegzuwerfen. Denn Hans-Hinrich Koch, der auch als Produzent tätig war, hat eigentlich alles richtig gemacht. Sein Drehbuch ist für einen Katastrophenfilm trotz der üblichen Klischees und der Schwarz-weiß-Zeichnung der Charaktere erstaunlich tragfähig. Die Spezialeffekte kommen gut. Sie wirken erstaunlich realistisch und lassen erkennen, warum die Computer monatelang an den Effekten gerechnet haben. Auch die Schauspieler sind bestens besetzt, sodass "Tsunami" von der Qualität meilenweit über dem grotesken "Hai-Alarm auf Mallorca" vom Vorjahr steht, der mit seinen schlechten Effekten und der hanebüchenen Story eher für Lacher denn für Angstkiekser gesorgt hatte. Und so kann er einem Leid tun, der Hans-Hinrich Koch: Er hat seinen Job mehr als gut erledigt. Und trotzdem hat man bei seinem Film einen pelzigen Geschmack auf der Zunge. So als sei es unanständig und auch ein wenig verdorben, sich diesen Film anzusehen.
Wir haben ihn bereits gesehen. Er ist gut. Wir lernen den jungen Surfer Jaan (Kristian Erik Kiehling) kennen, der seine Freundin in einer Riesenwelle vor Hawaii verloren hat und sich seitdem die Schuld an ihrem Tod gibt. Er kriegt sein Leben nicht mehr gebacken, säuft sich um den Verstand und enttäuscht alle Freunde und Verwandten, die sich noch um ihn sorgen. Aber wie heißt es so schön: Erst bei schlechtem Wetter zeigt sich die wahre Klasse eines Kapitäns. Ganz in diesem Sinn bekommt auch noch Jaan seine Chance.
Jaans Freund Wieland arbeitet als Sicherheitsbeauftragter auf einer Bohrinsel vor Sylt. Hier ist der völlig durchgeknallte Projektleiter Kramlick dabei, völlig illegal ein riesiges Methanhydratfeld am Meeresboden zu erforschen. Wie in Frank Schätzings Bestseller "Der Schwarm" kommt es zur Explosion des Hydratfeldes, hier ausgelöst durch Probesprengungen. Der Meeresboden sinkt ab, es kommt zu einer Tsunamiwelle, die 12 Meter hoch über Sylt hinwegbrandet. Diese Szenen sorgen für den ersten Höhepunkt im Film. Doch es kann noch schlimmer kommen, denn bislang ist nur ein winziger Bereich des Hydratfeldes hochgegangen.
Eine Riesenwelle bedroht Sylt
Jaans Freund Wieland wird ermordet, spielt seinem Freund aber vorher noch seine gesammelten Daten zu. Der misstrauisch gewordene Surfer nimmt sich zusammen mit der Hydrologin Svenja (hübsch und taff: Anja Knauer) der Sache an. Gemeinsam mit einem frauenfeindlichen Hubschrauberpiloten (Ingo Naujoks in einer sehr schönen Rolle) fliegen sie zur Plattform. Die wurde von Kramlick längst übernommen. Er droht, das ganze Hydratfeld zu sprengen, wenn er nicht 10 Millionen Euro und freien Abzug gewährt bekommt. Drückt Kramlick aufs Knöpfchen, würde eine 50 Meter hohe Welle über Sylt hinwegbrausen.
TV-Tipp
"Tsunami - Terror in der Nordsee"
Donnerstag, 29. September
20.15 Uhr auf Pro Sieben
Der Film "Tsunami" erzählt die Geschichte in verschiedenen Handlungssträngen. Dabei geht es immer wieder hin und her zwischen der heilen Sommerwelt auf Sylt und dem harten Gangsterakt auf der Boohrinsel. Zwischendurch darf gefachsimpelt werden, was die Fachwörter nur so hergeben. Zwischen Jaan und Svenja bahnt sich etwas an, das nach Liebe klingt. Und am Ende geht auch noch ein kleines Mädchen in den Dünen verloren, gerade als die finale Riesenwelle heranrauscht. Zugegeben, das ist kein Kino à la Hollywood und kein Kandidat für den Oscar. Fürs Fernsehen ist das aber Popcorn-Action auf höchstem Niveau. So manchem Zuschauer wird das Popcorn dabei vor Spannung glatt im Hals stecken bleiben. Ein Katastrophenfilm Made in Germany, das ist eben noch immer etwas Besonderes.
Wegschauen nicht möglich
Nach 90 Minuten, die ein Wegschauen nicht möglich machen, wundert sich der Zuschauer nur, dass trotz des ganzen Wassers eigentlich alles heile geblieben ist. Hier gibt es trotz Flutwelle keine Leichen, keine zerstörten Häuser, keine schreienden Kinder. Vielleicht ist das der segensreiche Unterschied zwischen Filmwelt und realer Welt.
Warner bietet den Film übrigens bereits ungekürzt im 16:9-Format und im Dolby-Digital-5.1-Format auf einer Video-DVD an. Auf der DVD finden sich auch diverse Extras, so ein Blick hinter die Kulissen, ein Bericht über die Dreharbeiten im Wasserstudio, ein Bericht über die visuellen Effekte sowie Teaser und Trailer.