Es ist dieser Hintergrund, der die ganze Leinwand ausfüllt. Eine surreale Mischung aus Himmel und Meer, ein türkises Wellenfeld mit weißen, geschwungenen Streifen. Batya steht still davor und verabschiedet sich von ihrem Freund, der noch einen Rest Hoffnung hat, dass das vielleicht doch nicht das Ende ist. Ob sie nicht etwas sagen möchte? "Bleib" vielleicht? Aber sie ist viel zu traurig und träge. Vor der künstlich-fröhlichen Himmelmeerwand wirkt sie unglaublich verloren. Dann fährt die Leinwand weg. Es ist die Plane des Umzugswagens. Als schlichter Hintergrund hat sie die Szene in eine Art Tagtraum verwandelt, ganz unwirklich gemacht. Ohne ist plötzlich alles erschreckend real: Batya starrt mit hängenden Schultern dem Wagen, dem Himmelmeer, hinterher. "Bleib", sagt sie ganz leise.
Schon in der allerersten Einstellung von "Jellyfish" nutzen Shira Geffen und Etgar Keret einen ganz alltäglichen Gegenstand als Traumweltkulisse. Diesen Blick bewahren sie sich während des ganzen Films. So geraten die Szenen oft ins Schweben. Passiert das gerade wirklich? Oder ist es nur eine weitere Fiktion innerhalb der erfundenen Leinwandwirklichkeit? Das israelische Paar spricht diese Bildsprache fließend, obwohl sie vorher noch nicht Regie geführt haben. Geffen arbeitet vor allem als Drehbuchautorin und Schauspielerin, Keret als Schriftsteller und Comicschreiber. Aber als sie mit Regisseuren über das Projekt sprachen, hatten sie das Gefühl, dass sie es doch selber machen müssen. Und das haben sie dann so wunderbar getan, dass sie in Cannes dafür die goldene Kamera für den besten Debütfilm erhielten.
Zerfledderte Selbstmordattentäter und geile "Exittussis"
Vielleicht ist "Jellyfish" auch deshalb ein so besonderer Film geworden, weil die Autoren am Set eine andere Perspektive hatten. Etgar Keret verkauft seine Erzählungen und Kurzgeschichten seit einigen Jahren erfolgreich in alle Welt. Auch darin entwickelt er einen sehr speziellen Blick auf die Dinge. In seinem Roman "Pizza Kamikaze", der mit Tom Waits verfilmt worden ist, hat er ein tristes Nachtod-Universum für Selbstmörder geschaffen. Dort vertreibt sich Uzi Galfand, der Mann mit dem Schläfeneinschussloch, die Zeit damit, dass er zwischen zerfledderten palästinensischen Selbstmordattentätern geile "Exittussis" sucht, denen man den Suizid nicht ansieht. Ähnlich wie die Figuren in diesem kurzen Roman sind die drei Protagonisten von "Jellyfish" hilflos-sehnsüchtig: die philippinische Pflegehilfe fern von ihrem Sohn in der Heimat, die verlassene Braut im lauten, stinkenden Hotelzimmer und Batya, die nach der Trennung verwirrt umherirrt. Sie alle treiben durch diesen Film wie Quallen.
Zwischendurch rauscht das Meer an den Strand von Tel Aviv. Geffen und Keret finden entrückte, schöne Bilder für die Geschichte. Wie der Bräutigam die Braut am Straßenrand im Arm hält, beide ganz klein, der Gips ragt in die Luft. Die Braut hat sich inmitten der Hochzeitsfeier das Bein gebrochen. Und wie Batya ein kleines, versonnen lächelndes Mädchen mit weiß-rotem Schwimmreif trifft, dem sie so weit ins Meer folgt, bis sie im Tiefblauen fast ertrinkt. Eine Halluzination? Vielleicht. Sie hätten den Zuschauer nicht in einen "vorgegebenen Gefühlsrahmen" stecken wollen, sagt Keret. Er mag es unstet, unsicher. Seine Geschichten sollen mehrdeutig sein.
Das Unstete als Lebensgefühl
Für ihn, den Sohn von Holocaust-Überlebenden, ist das Unstete ein bestimmendes Lebensgefühl. Er mache ständig Listen mit Ländern, die ihn zur Not aufnehmen würden, hat Keret einmal erzählt. Beim Taxifahren fürchtet er jedes Mal, der Fahrer könnte behaupten, er habe gar nicht bezahlt, obwohl er es schon getan hat. Gleichzeitig weiß er, wie seltsam das ist, weil er immer die Außenperspektive mitdenkt. Er hält das für eine jüdische Eigenschaft, genauso wie er es für jüdischen Humor hält, dass man sich eher über Menschen lustig macht, die man mag. Der Ton seiner Erzählungen ist eher derb, das macht - zusammen mit den absurden Einfällen - oft ihren Witz aus. Die Dialoge für "Jellyfish" hat Kerets Frau geschrieben. Es steckt mehr Wahrheit als Witz in ihnen. Als das Brautpaar die Flitterwochen wegen des Beinbruchs in tristen Hotelzimmern statt in der Karibik fristet, lernt der Mann eine Schriftstellerin kennen, die auch dort wohnt. "Hast du mit ihr geschlafen", fragt seine Frau Keren. Worauf dieser die Geschichte erzählt, wie sie ins Theater gehen und von Platz zu Platz wechseln, weil Keren keiner gut genug ist.
Eismann und Erlösung
Obwohl der Film in Tel Aviv spielt, ist von der Stadt nicht allzu viel zu sehen. Man habe die Kulisse bewusst neutral halten wollen, um das Thema Nahostkonflikt zu vermeiden, sagt Keret. Auch in seinen Geschichten geht der Autor meist nur am Rande darauf ein. Seine Story "Rabin ist tot" handelt nicht etwa vom ermordeten israelischen Premierminister, sondern von einer Katze.
Vor zwei Jahren hat er dann doch ein Zeichen gesetzt und zusammen mit dem palästinensischen Autor Samir El-Youssef ein Buch veröffentlicht: "Alles Gaza - geteilte Geschichten." Darin betrachten die beiden Schriftsteller die Situation in Israel aus zwei Perspektiven. Der Strand erscheint Keret in dieser Region mit ihren Kriegen und täglichen Krisen als großer Gleichmacher. In dem Text "Der Strand-Staat" hat er die paradiesischen Zustände am Meer beschrieben, wo israelische und palästinensische Soldaten sich nur durch ihren Bräunungsgrad unterscheiden. Am Strand trifft Batya schließlich auch die Sehnsuchtsfigur ihrer Kindheit, den Eismann. Seit dem schlimmen Streit ihrer Eltern damals, bei dem sie auf später vertröstet wurde, hat sie auf ihn gewartet. Darauf, dass alles wieder gut wird. Jetzt lächelt der Eismann, und es ist wie eine Erlösung. Aber es ist kein Schauspieler, sondern Kerets Vater.