"Du hörst einen sächsischen Dialekt im Radio. Es kommt garantiert irgendeine Scheiße. Echt. Ohne Polemik."
Das, was ein Freund von mir die Tage mit einer gewissen Ermattung zu Protokoll gab, trifft es exakt.
Sachsen ist das große Fragezeichen auf der Deutschlandkarte.
Sachsen, das Land von Kästner, Luther, Nietzsche, Wagner, Lessing.
Dieses stolze Bundesland. Ehemals Filetstück in der Frischetheke Ostdeutschland.
Jetzt nur noch eine Aneinanderreihung von Verwerfungen und des Versagens.
Clausnitz, Freital, Bautzen, Chemnitz, Leipzig, Dresden.
Dresden. Eine wunderschöne Stadt, von deren Besuch man ausländischen Freunden mehr und mehr abrät und die am Einheitstag zum x-ten Mal zum Zentrum der emotionalen deutschen Teilung wurde.
Dann dieses Festival der Dilettanz um die Verhaftung von Al-Bakr, seinen Selbstmord, dann geht der Polizei auch mal eben so eine MP5-Maschinepistole flöten - wäre es nicht alles so traurig, man müsste das Benny-Hill-Thema unter die Vorfälle legen.
Sachsen muss für Gags herhalten - und das ist nicht unsere Schuld
Und immer wieder dieser braune Muff. Mal wünscht die Polizei den Pegida-Demonstranten "einen erfolgreichen Tag", dann wieder werden linke Gegendemonstranten widerrechtlich gefilmt, weil... ja, warum eigentlich? Weil man in Sachsen vor allem die Linken im Auge behalten muss?
Ist es da unsere Schuld, dass Sachsen immer wieder für Gags herhalten muss, zum beliebten Ausflugsziel für erhobene Zeigefinger wird?
Nein.
Natürlich ist es schön, mit dem eingerasteten Finger auf die doofen Sachsen zu zeigen, weil die dort immer ein bisschen rechter und gewöhnlicher sind, während man selbst dem inneren CSUler höchstens in Gedanken oder nach sechs Halben auf dem Stadtfest freien Lauf lässt.
Ein bisschen so, wie man auch gerne DSDS oder "Schwiegertochter gesucht" guckt, weil man weiß, dass da ein paar sind, noch hässlicher und dümmer als man selbst. Das Scheitern der anderen hat ja auch immer etwas zutiefst Beruhigendes.
Wir spotten über die anderen, froh, uns selbst besser im Griff zu haben.
In jeder Gesellschaft gibt es dieses dumpf grollende rassistische Es. Das Über-Ich, das zivilisierte Gros der Gesellschaft hat dieses Es in der Regel recht gut im Griff. Zwischen Torgau und Adorf wiederum scheint dieses Über-Ich nicht allzu stark zu sein.
Ist es westdeutsche Arroganz, die da mitschwingt?
Ganz sicher. Es liegt in der Natur der Sache, dass Nachbarn sich argwöhnisch oder gar herablassend beäugen.
Und wo sind eigentlich Silbermond?
Ich komme aus NRW - was denken Sie, wie Gespräche mit, na, sagen wir mal Bayern, ablaufen?
Aber, und jetzt kommt ein ABER von der Größe eines brennenden Flüchtlingsheimes: Muss man sich denn gleich SO zum Otto machen? Warum kommen die Schweinereien in so hoher Taktung?
Warum nur höre ich so wenig Distanzierung von denen, die es angeht?
Es sind ein paar tausend Idioten, die das Image von rund vier Millionen Menschen ruinieren.
Ekelhafte Minusmenschen, die zum zweiten Geburtstag ihrer Idioten-Polonaise Pegida allen Ernstes Feuerzeuge verteilen.
Feuerzeuge, ganz recht.
Das muss doch unfassbar nerven.
Ist das fair, dass wir die Sachsen so behandeln?
Ja.
Weil uns "die Dunkelheutigen" nur deshalb so laut vorkommen, da die anderen so verdammt leise sind.
Wo sind sie denn, die ganzen Sachsen?
Die wütende Mehrheit, die keine Lust hat, mit diesen Vollidioten in einen Kessel Braunes geworfen zu werden?
Wo ist die intellektuelle Elite?
Oder wenigstens mal ein Michael Ballack, der sagt, dass er keinen Bock hat auf diese Scheiße.
Wo ist das "Rock gegen Rechts"?
Wo ist zum Beispiel Silbermond? Gerade in diesem Moment wimmert sich die Sängerin durch die Radios, heult, dass sie nur noch mit Schlafmitteln pennen kann, weil ihr Kerl sie verlassen hat.
Sie kommt aus Bautzen - da fielen mir gerade deutlich bessere Gründe für Psychopharmaka ein.
Nicht die rechte Minderheit ist das Problem, sondern die untätige Mehrheit
Gestern gab es ein "Arsch hoch, Zähne auseinander" in Dresden. Tausende Menschen, die sich endlich mal gewehrt haben und die Deutungshoheit über ihre Stadt, ihr Land zurück wollen.
Ein Anfang, immerhin.
Nicht die rechte Minderheit ist das Problem, sondern die untätige Mehrheit, die entweder schweigt oder sogar (indirekt) zustimmt und somit ihren Erziehungsauftrag sträflich vernachlässigt.
Identität entsteht immer aus dem Gespiegeltwerden durch das Gegenüber.
Duldung oder gar Bestätigung erlaubt den Dumpfdeutschen, sich immer weiter vorzuwagen, sämtliche zivilisatorische Errungenschaften über Bord zu werfen, um dem (still beklatschten) Hass freien Lauf zu lassen.
Das darf nicht sein.
Und ein guter Gag wird erst dann zum blöden Witz, wenn er nicht pausenlos mit traurigen Realitäten betankt wird.
Was ist Deine Identität, Sachsen?