Anna Netrebko Die Zeichen der Venus

Die junge Russin Anna Netrebko hat nicht nur eine glockenreine Stimme - sie erobert ihr Publikum mit Schönheit, Charme und sprühender Lebenslust. So sexy war Oper lange nicht.
Von Christine Claussen und Volker Hinz (Fotos)

Die Verführung hat ein Gesicht wie eine Herzkirsche und schwarze Augen, die jedem alles versprechen. Trägt ein Schlauchkleid mit Erdbeeren auf schwarzem Grund und Sandaletten von Manolo Blahnik. Auf den Blahniks schreitet sie wie eine Ballerina zur Zarenzeit, das Schlauchkleid trägt sie sinnlich wie eine Katze. Plötzlich hat sie die Faxen dicke: "Dieser Job ist viel zu ernsthaft für mich. Ich habe oft Lust, einfach etwas Blödes zu tun." Gestern etwa habe sie "Jackass" gesehen, "und es war so fantastisch idiotisch!" Und als sie sich halb totlacht dabei - da liegen ihr wieder alle zu Füßen: der Stylist, der fürs Haar, die Berichterstatterin und der Fotograf.

Fototermin im Münchner Hotel "Vier Jahreszeiten". Die Verführung heißt Anna Netrebko, ist 32 Jahre alt und die heißeste Sensation am Opernhimmel seit langem. Eine neue Callas? Sie kann nicht bloß singen, sie kann auch gurren und flirten. Sie birst vor Lebenslust, und wer ihr begegnet, verfällt ihr. Gerade 18 Monate ist es her, da eroberte die Newcomerin Salzburg im Sturm, als sie die Donna Anna in "Don Giovanni" sang - im Seidenunterröckchen und so mädchenhaft-kühn und glockenhell, dass all die Thomas Hampsons und Melanie Dieners einpacken konnten. "Eine solche Donna Anna hat es Jahre nicht gegeben", staunten die "Salzburger Nachrichten", stellvertretend für alle.

Wo immer die Schöne aus dem südrussischen Krasnodar seitdem auftrat - in "La Clemenza di Tito" in Covent Garden, als Zerlina an der Met, als Violetta in München und Wien -, stets fliegen Rosen, reißt sie die Leute hoch von den Sitzen. Plattenvertrag mit der Deutschen Grammophon, Medienrummel ohnegleichen. Beim Namen Netrebko kriegen selbst solche Leute einen flackernden Blick, denen sonst bei Oper bloß Schließung einfällt.

Als sie im Sommer

in München die "Traviata" sang - eine Rolle, mit der sie Ende Januar wieder an die Bayerische Staatsoper zurückkehrt -, war das Heer der "Suche eine Karte"-Bettler so mitleiderregend, dass man sich widerlich vorkam, eine zu haben. Der Gottschalk saß im Parkett, Mosi Moshammer kanarienvogelte in Reihe eins, im Foyer tauschten sich ein Abendkleid und ein Smoking mit einem anderen Abendkleid/Smoking aus: "Wir sind bloß wegen dieser Netrebko gekommen. Muss ja ein toller Feger sein." Und als die Sopranistin unter Brava-Rufen in einen der anbetungswürdigsten Knickse der Operngeschichte versank, da schnellte die Zahl ihrer Verehrer wieder steil in die Höhe.

Sie ist eine Sängerin, die alles hat: eine erstaunliche Stimme, Dynamik, Witz, Fantasie und ein sinnverwirrendes Charisma. Hier singt Venus, und sie ist überwältigend sexy. Die Netrebko weiß das und schürt es. Mancher ist schon errötet, wenn sie fröhlich erzählt, in "Don Giovanni" versuche sie mit Thomas Hampson im Duett einen Orgasmus zu singen. Oder wenn sie sagt, ihre Leidenschaft auf der Bühne sei so stark, dass sie Lust habe zu schreien, "und manchmal brennt dieses Feuer auch nach der Vorstellung noch".

Hält sich darum so hartnäckig das Gerücht, Valery Gergiev, der Star-Intendant des St. Petersburger Mariinsky-Theaters, habe die Studentin entdeckt, als sie dort den Fußboden schrubbte? "Bullshit", sagt Netrebko, sie habe im Mariinsky geputzt, um dem ersehnten Musentempel so nahe wie möglich zu sein. Gergiev habe sie später engagiert, nachdem sie ihm - da war sie 21 - die Arie der Königin der Nacht vorgesungen habe. Überhaupt ödet es sie an, über Vergangenes Auskunft zu geben. Sollen die Leute doch nachlesen über die Tochter eines Chirurgen in Krasnodar mit einer singenden Ururoma in Sibirien und einem halben Zigeuner als Großvater. Dass sie damals Oper hasste, weil Oper für sie kreischende alte Vetteln in Wallegewändern waren. Anna wollte Schauspielerin werden. Und bloß weil die Aufnahmeprüfung so schwer war, bewarb sie sich am Konservatorium in St. Petersburg.

Viel aufregender findet sie die Frage, wo der große Manolo-Blahnik-Laden in Paris ist und ob Aveva auch Make-up macht. Zu Hause hört sie Popmusik und sieht MTV. Früher hat sie Bücher verschlungen. Jetzt, mit dem Erfolg, liebt sie das Shoppen. Und Ausgehen: "Man sollte in seinem Leben so viel Spaß haben wie möglich", sagt sie und lacht.

Dann muss sie gehen. Zu ihrem Freund Simone Alberghini, dem italienischen Bass. Der Stylist, der fürs Haar, die Berichterstatterin und der Fotograf bleiben zurück - betört, verführt, besiegt. Dabei hat die Netrebko nicht eine Note gesungen.

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