Anna Netrebko und Co. Keine Bühne für Putin-Kuschler – das späte Erwachen des Konzertbetriebs

Anna Netrebko
Anna Netrebko wurde von der Bayerischen Staatsoper wieder ausgeladen. Ihren Auftritt in der Hamburger Elbphilharmonie für diesen Mittwoch hat sie abgesagt.
© Barbara Gindl/APA / DPA
Russlands Überfall auf die Ukraine zwingt auch den deutschen Konzertbetrieb, Position zu beziehen. Putin-treue Künstler, die sich von dem Präsidenten nicht distanzieren, sind nicht mehr willkommen. Diese Konsequenzen sind richtig – aber sie kommen spät.

Kunst ist wichtig. Umso wichtiger in Zeiten, in denen in Europa Krieg herrscht, Städte bombardiert werden und Menschen sterben. Kunst spendet Trost und bringt uns für ein paar Stunden auf andere Gedanken. Das gilt insbesondere für klassische Musiktradition, der schon immer ein humanistischer Geist innewohnte: von der Renaissance bis in die Gegenwart. "Alle Menschen werden Brüder" - Schillers Worte aus Beethovens 9. Symphonie gelten für die gesamte Musikgeschichte.

Dennoch hat der Krieg in der Ukraine auch in der Klassik-Szene für Misstöne gesorgt. Probleme bereitet nicht die Musik an sich – sondern die Künstler, die sie zur Aufführung bringen. Es sind Menschen wie der Dirigent Valery Gergiev und die Sängerin Anna Netrebko, die viel zu lange damit durchgekommen sind, sich als reine Künstler zu inszenieren, die mit Politik nichts zu tun haben.

Gergiev war bis Dienstag Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. Der 68-Jährige ist bekennender Freund Wladimir Putins und verteidigte stets dessen Politik. 2014 rechtfertigte er die homophoben Gesetze in Russland, später befürwortete er den russischen Einmarsch in die Krim. 2016 gab er ein Konzert in Palmyra zu Ehren des syrischen Diktators Assad. Spätestens da war Gergiev eigentlich nicht mehr tragbar für ein mit staatlichen Mitteln finanziertes Orchester wie die Münchner Philharmoniker.

Anna Netrebko warb für Putins Wiederwahl

Kritik wurde von deren Intendanten jedoch lange Zeit damit abgetan, es handele sich um die "private Meinung" Gergievs, die man nicht kommentieren wolle. Es bedurfte eines Ultimatums des Münchner Oberbürgermeisters Dieter Reiter, um dem Trauerspiel ein Ende zu bereiten. 

Auch Anna Netrebko gilt als Freundin des russischen Präsidenten. 2012 warb sie für Putins Wiederwahl. Zwei Jahre später ließ sie sich mit einem Donezker Separatistenführer ablichten, der die neurussische Fahne schwenkt.

Trotzdem inszeniert sie sich nun als unpolitische Künstlerin. Am Samstag veröffentlichte sie ein Statement auf Facebook, in dem sie plötzlich ihre Unschuld entdeckte: "Ich bin kein politischer Mensch", schrieb die Frau, die noch vor wenigen Monaten ihren 50. Geburtstag im Kreml gefeiert hatte. "Ich bin eine Künstlerin", stimmte sie das altbekannte Lied der Regime-Diener an, "und meine Aufgabe ist es, Menschen jenseits politischer Grenzen zu vereinigen." Und natürlich sei sie gegen den Krieg.

Bayerische Staatsoper kündigt Netrebko und Gergiev

Diese bestenfalls halbherzige Erklärung nützte ihr nichts: Am Dienstag sagte die Bayerische Staatsoper in München Engagements von Anna Netrebko und Gergiev ab – "aufgrund des schrecklichen Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine und einer fehlenden ausreichenden Distanzierung", wie es in der Begründung hieß.

Die Hamburger Elbphilharmonie bewies weniger Rückgrat - und sagte das für den 2. März geplante Konzert in der Hansestadt nicht ab. Nur Anna Netrebkos eigener Rückzug bewahrte das Konzerthaus vor einem Eklat: Die Sängerin gab am Dienstag bekannt, sich "bis auf Weiteres aus dem Konzertleben zurückzuziehen". Es sei nicht die richtige Zeit für sie aufzutreten und zu musizieren.

So begrüßenswert es ist, dass der Konzertbetrieb mittlerweile aufgewacht ist: Die Einsicht kommt vielerorts spät, wie in München. Wenn sie denn überhaupt kommt: Das Verhalten der Elbphilharmonie in Hamburg zeigt, dass man in der Branche noch immer keine klare Haltung entwickelt hat, wie man mit Putin-Kuschlern umgehen soll. 

Dabei sollte spätestens seit dem vergangenen Donnerstag klar sein: Wer sich nicht klipp und klar von Wladimir Putin und seinem verbrecherischen Angriffskrieg auf die Ukraine distanziert, hat auf vom Steuerzahler finanzierten Bühnen nichts zu suchen. 

Denn die humanistische Botschaft der 9. Symphonie kann glaubhaft nur ein Künstler vortragen, der sich von einem Aggressor wie Putin distanziert. Nur dann können die von Beethoven vertonten Worte Schillers noch heute ihre Wirkung entfalten: "Seid umschlungen Millionen!"

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