Herr Kaiser, Sie haben mich, ob ich es wollte oder nicht, in meiner Jugend intensiv begleitet.
Und? War das schön? War es schlimm?
Lustig, würde ich sagen. Es gab eine Zeit in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern, wenn man da den Fernseher anmachte, tauchten Sie früher oder später auf.
Stimmt. Ich war 67mal bei Dieter Thomas Heck in der ZDF-Hitparade.
In unserer Wohngemeinschaft haben wir über diese Sendung gern gelacht und uns gewundert, wie da junge Menschen, die so alt waren wie wir, so brav, so bieder von ewiger Liebe sangen, so süßliche, klebrige Texte.
Das verstehe ich, dass man sich da wundern kann, und wenn Sie lachten: perfekt. Ich verstehe mich ja als Unterhaltungskünstler. Aber von ewiger Liebe, auf Händen tragen, spazieren gehen sang ich nie. Meine Lieder sind realitätsnah, oft landet man da im Bett.
Ich habe Sie so in Erinnerung: oft im Dreiteiler, meist im Zweiteiler, immer etwas hüftsteif, weiche Stimme und…
Das mit dem "hüftsteif" stimmt. Ich bin auch heute noch kein Tänzer. Aber trotz dieser Hüftsteifigkeit gibt es mich noch immer im Schlagergeschäft.
Seit 40 Jahren.
Seit 43 Jahren. Ich hab mal versucht, tanzen zu lernen. Und bin kläglich gescheitert. 1979 habe ich in Berlin einen Kurs bei einem Tanzlehrer aus New York belegt, ein Schwarzer, ein toller Tänzer. Da war ich vier Wochen lang, dreimal in der Woche. Und dann rief er mich in sein Büro und sagte: "Pass mal auf, hier hast du dein Geld zurück." Er schob mir ein Kuvert rüber. "Ich möchte, dass du den Kurs sofort verlässt!" Ich: Warum denn? Er: "Weil die anderen Teilnehmer sagen, solange der hier mittanzt, kommen wir nicht weiter, er macht alles falsch!"
Auch Ihr Anzug, in dem Sie immer auftraten. Für uns war der auch falsch.
Dieser Anzug war Notwehr. Das war eine schwierige Zeit damals. Wir Künstler brauchten diese ZDF-Hitparade. Es war ein wirtschaftliches Muss. Wer Platten verkaufen wollte, musste dort auftreten. Und da gab es einen Regisseur, Truck Branss hieß er. Er war der Dompteur. Der Herrscher. Er saß hoch über uns, und dann kam seine große Stimme wie aus dem Jenseits: "Wie siehst du denn aus!" Zu einer jungen Sängerin sagte er: "So kannst du im Zirkus auftreten, aber nicht hier! Geh sofort in die Stadt, kauf die was Gescheites!" Diese Sängerin war fertig. Es war Willkür pur. Zu Christian Anders, der ein Hemd mit einem Riesendackelkragen anhatte, sagte er: "Siehst aus wie Goethe!". Antwortet der Christian: "Ich bin Goethe!" Und ging. Großartig. Aber so souverän war sonst niemand. Um meine Ruhe vor diesem Herrn zu haben, habe ich mich an diese Anzüge gewöhnt.
Sie haben uns damals nicht nur zum Lachen gebracht, sondern auch zum Grübeln.
Nun bin ich gespannt.
Einer der wohl merkwürdigsten Sätze ist Teil eines Ihrer größten Erfolge. "Santa Maria, nachts an deinen schneeweißen Stränden, hielt ich ihre Jugend in Händen, Glück für das man keine Namen kennt"
Das ist doch genial.
Genial?
Genial!
Das ist gaga.
Einfach genial.
Es ist auf jeden Fall ein Ohrwurm. Diese Zeile geht zum einen Ohr rein und kommt beim anderen nicht mehr raus! Seit Jahrzehnten rauscht sie in meinem Kopf herum!
Großartig! Ich erzähl Ihnen die Geschichte. Es war 1980, zusammen mit einem Kollegen habe ich diesen Text geschrieben, "Santa Maria", das war die Geschichte des Schiffes von Christopher Columbus. Ich hab es gesungen, wir haben es abgemischt, und damit sind wir zur Plattenfirma gegangen. Die Herren dort sagen: "Um Gottes Willen! So wird das nichts!" Mehr Gefühle wollten die, sie sagten: "Ihr müsst was fürs Herz schreiben, in die Vollen gehen!" Wir sind heim, haben eine Flasche Rotwein aufgemacht…
… und waren voll.
Wir haben angefangen zu schreiben, überdreht zu schreiben, immer ein bisschen zu viel. Jugend in den Händen. Irgendwie eine Frechheit. Der eine denkt dabei dies, der andere das.
Alle denken an das Eine.
Weiß ich nicht, wie auch immer. Wir sind also wieder zur Plattenfirma, "sensationell!" sagen die. Ich: "Stopp, das ist ein Scherz!" "Nein, nein, das ist sensationell. Ein Riesenhit!" Ich war damals 28, unerfahren, dachte, der Mann kennt sich aus, also sing ich das mal. Und bums, es wurde ein großer Hit, hat sich millionenfach verkauft, verkauft sich heute noch.
So kennt man Sie, Herr Kaiser, also seit Jahrzehnten als einen Sänger, bei dem es um Liebesdinge geht. Und dann blickt man heute auf Ihre Facebookseite und dort ist: Hass.
Da toben sich, seitdem ich vor gut einem Jahr bei einer Anti-Pegida-Veranstaltung in Dresden gesprochen habe und um Verständnis für die Flüchtlinge warb, immer wieder Heckenschützen aus.
Als "Volksverräter" werden Sie dort beschimpft, als "Heuchler", Hofnarr" verspottet, als…
Es ist mir wirklich wurscht, wenn da Leute meinen, Sie müssten gegen mich pöbeln! Mich interessiert das nicht, das lässt mich kalt. Ich habe, was für mich selbstverständlich ist, bei diesem Auftritt in Dresden für Toleranz und Dialog geworben, mich gegen eine inhumane Flüchtlingspolitik ausgesprochen. Diesen Auftritt war ich der Stadt Dresden, die ich sehr mag, schuldig. Denn Dresden ist viel mehr als Pegida.
Vielleicht regen sich auch deswegen so viele auf, weil Sie als Schlagerfuzzy sich plötzlich politisch äußerten.
Schlagerfuzzy? Sagten Sie Schlagerfuzzy?
Okay, Schnulzensänger.
Warum sagen Sie das? Sie würden niemals von einem Rockfuzzy sprechen. Ich verstehe auch den Zungenschlag mit "Schnulze" nicht. In Frankreich heißt das, was ich ich mache Chanson. Die Themen, die ich in meinen Liedern anspreche, das sind Themen der Weltliteratur. In 90 Prozent der Literatur, bei Shakespeare, Goethe, der Kunst im allgemeinen, geht es doch darum, wie es zwischen Mann und Frau klappt – und ob es klappt.
Glauben Sie, dass Ihre Rede etwas bewirkt hat?
Ich habe zumindest einige verunsichert. Und manche haben sich so aufgeregt, dass sie hämisch reagierten. Sie mussten sich also plötzlich mit mir und meinen Gedanken auseinandersetzen. Ist doch gut.
Bei Ihren Auftritten in Dresden, vor fast 50.000 Menschen in diesem Sommer, haben Sie nichts gegen Pegida gesagt. Aus Angst, Ihre Fans doch zu sehr zu verschrecken?
Quatsch. Wenn ich auf der Bühne als Sänger auftrete, habe ich mit meinem Publikum eine Vereinbarung: Ich werde jetzt zweieinhalb Stunden Unterhaltung abliefern, ich werde so gut wie möglich sein, und ich werde euch helfen, euch mal zu entspannen. Für die Dauer eines Konzerts spielt die Welt draußen keine Rolle. Alles Kalte ist verbannt, jetzt tanzt, singt, lacht! Ich will, dass die Leute beglückt und zufrieden weggehen und sagen: Es war ein schöner Abend. Punkt.
Sie hätten mit Ihrer schönen Stimme ein Barde für den Aufstand, die Revolution werden können – so einer wie Degenhardt, Wader, Wecker.
Wieso denn?
Sie sind ja in den 50ern, 60ern aufgewachsen in Berlin-Wedding, wirklich arm waren Sie, ein echter Proletarier.
Ja. Ich hätte einen anderen Weg nehmen können, habe ich aber nicht. Ich mach das, was ich mache sehr gerne, und ich bin das, was ich mache.
Man könnte Ihr Leben so zusammen fassen: Das Findelkind hat es vom Außenklo zum Innenklo, vom Hinterhof zum mehrfachen Hausbesitzer, vom Underdog zum millionenschweren Sänger gebracht.
Das ist ein bisschen sehr verkürzt. Aber Außenklo stimmt. Ich weiß schon, woher ich komme, aber diese Zeit ist weit weg. Nur jetzt, wenn Sie mich direkt darauf ansprechen, kommen Erinnerungen zurück: Im Winter war es kalt, es gab kein Warmwasser. Einmal in der Woche hat man mich gebadet, in einer Wanne, in der vorher Wäsche gewaschen wurde. Einmal in der Woche, am Freitag, gab es statt Brot ein Brötchen – das war Luxus.
Sie kannten Ihren Vater nicht, Ihre Mutter auch nicht.
Erst als Erwachsener habe ich erfahren, dass meine Mutter 17 Jahre alt war, als ich auf die Welt kam. Für sie war es damals unmöglich als Alleinstehende, mich zu erziehen.
Das muss furchtbar sein, ohne Eltern aufzuwachsen.
Ich hatte eine schöne Kindheit. Ich kam ins Waisenhaus und dann zu meiner Pflegemutter. Eine tolle Frau. Sie hat als Putzfrau gearbeitet, ihre Geradlinigkeit war großartig. Sie hat mir vermittelt, was wirklich wichtig ist: zu wissen was Recht, was Unrecht ist. Sie hat mich gelehrt, aufrecht zu gehen. Und nie nach unten zu treten.
Sie waren ja bei den Falken, der Jugendorganisation der SPD.
Das ist lange her.
Aber Sie kennen doch sicherlich noch das Lied der Falken: "Rote Banner raus, Freiheit ist unser Ziel".
Das kann ich unterschreiben, "Freiheit" – dahinter stehe ich.
Weiter heißt es in dem Lied: "Nie wollen wir Waffen tragen, nie, nie wollen wir wieder Krieg".
Da kann man nichts dagegen sagen.
Es heißt dann noch: "Lasst die hohen Herren sich selber schlagen, wir machen da nicht länger mit."
Eine kluge und hoch philosophische Erkenntnis. Wir lassen uns nicht mehr in Kriege schicken! Wenn man sich die Geschichte der Menschheit anschaut, wie oft sind junge Menschen dazu gebracht worden, mit Begeisterung "ins Feld" zu ziehen – und was waren sie am Schluss? Verletzte, Verkrüppelte, Tote.
Gibt es noch etwas, was den politischen Bürger Kaiser aufregt?
Ich bin ein großer Freund der Sozialen Marktwirtschaft – so wie es die Gründerväter der Bundesrepublik wollten: sozial also groß geschrieben. Es bedrückt mich, wie heute die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergeht. Da versagt die Politik.
Was meinen Sie damit?
Mit Steuern kann man steuern, was für eine Gesellschaft man bekommt, ob es gerecht oder ungerecht zugeht. Fast überall gibt es die Vermögenssteuer, bei uns nicht, da macht man darum ein Mordsgewese. Ich bin bereit, mehr Steuern zu bezahlen – um gute Schulen zu haben, gute Krankenhäuser, funktionierende Feuerwehren. Ich bin auf der Sonnenseite des Lebens. Aber ich weiß, dass mein Erfolg auch ein Verdienst dieser Gesellschaft ist. Ich will ihr also auch etwas zurückgeben.
Sie sind ja der Schirmherr der Cottbuser Tafel und…
… es ist erschreckend, was ich da sehe. Da kommen Menschen, die Jobs haben, aber trotzdem nicht genügend verdienen. Da sind Rentner, die nicht über die Runden kommen, da kommen junge Menschen, die perspektivlos sind. Sie alle müssen die Scham überwinden zur Tafel zu kommen, um dort Essen zu holen, das verletzt ihren Stolz, ihr Selbstwertgefühl, das beschädigt ihre Würde. Wenn die etablierten Parteien auf diesen sozialen Zerfall keine Antwort finden, wenn sie die Abgehängten, die immer mehr werden, abgehängt lassen – dann kriegen Parteien Zulauf, die Scheinlösungen bieten, die einem nicht gefallen können, die gefährlich sind.
So wie Sie reden, so wie Sie denken, wohin Sie auch blicken: Es gibt für Sie genügend Stoff für hochpolitische Lieder.
Ach, Mann. Das mag ja sein. Aber mein Geschäft ist das nicht. Ich will einfach unterhalten, so wie es Udo Jürgens sagte: "Mit Haltung".
Aber auch Udo Jürgens war es wichtig, dass er neben dem Besingen von Herz, Schmerz, Liebe, Verzehren auch kritische Lieder im Repertoire hatte.
Das ist okay. Ich mache aber keine Geschichtsstunden auf der Bühne. Allerdings, weil Sie so hartnäckig sind: Es ist viele Jahre her, in den Neunzigern des vorigen Jahrhunderts, da hatte ich eine Chorsängerin, Anke Schweitzer, die war damals aktiv in Köln in der Bewegung "Arsch huh, Zäng ussenander", also Arsch hoch, Zähne auseinander"…
… die mit Konzerten, Lesungen, Demonstrationen gegen Fremdenhass und rechte Gewalt sich einsetzte – in der Zeit als wie heute wieder Brandsätze auf Asylunterkünfte, Häuser von Asylsuchenden flogen.
Ja. Sie hatte gemeinsam mit Wolfgang Niedecken ein tolles Lied gegen diese um sich greifende Verrohung gemacht: "Nit mit uns!"
Ich erinnere mich an das Lied, es geht so los: "Nur mit'nem Koffer/Steh'n sie dann hier in dem reichen Land/Vor 'ner Mauer/ Aus Hass und Ignoranz"
Ja. Das Lied ist immer noch, leider, hochaktuell. Ich sagte bei einem Konzert zu ihr: "Lass uns heute dieses Lied singen!" Wir haben es dann gesungen, und plötzlich hat einer aus dem Publikum gebrüllt: "Sozischwein!".
Und? Wie haben Sie darauf reagiert?
Ich sagte: "Können wir mal das Licht im Saal anmachen? Sie, der das gerufen hat – können Sie bitte aufstehen? Die Leute sollen sehen, wer so etwas brüllt." Er blieb sitzen. Ich sagte: "Kommen Sie bitte mal hoch. Da vorne an der Kasse können Sie Ihr Eintrittsgeld abholen. Für Leute wie Sie möchte ich nicht singen." Danach ging er.
Seit 40 Jahren, Herr Kaiser, sind Sie im Schlagergeschäft…
Seit 43 Jahren.
… in einem Geschäft, von dem Insider wie der Musikmanager Hans Beierlein sagte, "keine Branche ist härter als das Showgeschäft. Außer vielleicht Menschen- und Waffenschmuggel."
Naja, ob Herr Beierlein das so gesagt hat? Es ist auf jeden Fall übertrieben.
Ähnlich sah es der ehemalige Chef der Plattenfirma Ariola, Jörg Hellwig: "Im Schlagergeschäft", meinte er, "braucht es Wahnsinn oder am Besten völlige Hemmungslosigkeit, um ein Star zu werden".
Ich glaube, dass ich weder wahnsinnig noch hemmungslos bin. Ich glaube auch nicht, dass Helene Fischer, Andy Borg dies sind. Ich habe Udo Jürgens gut gekannt, auch Peter Alexander – und auch die waren weder hemmungslos noch wahnsinnig. Sie alle haben einfach gute Arbeit gemacht, sie waren sorgfältig, diszipliniert, haben sich angestrengt – deswegen blieben sie so lange oben.
Udo Jürgens scheint schon recht hemmungslos gewesen zu sein, wenn man seinen eigenen Worten glauben darf: "Da bin ich eine Disko gekommen", erzählte er mal, "und die Frauen haben mir zwischen die Beine gegriffen, ohne ein Sekunde abzuwarten. Eine dicke Zigarre im Mund, das Whiskyglas in der Hand, eine Blonde im Arm – Sinatra! Das war mein gesellschaftliches Vorbild."
Ach, Quatsch!
Und, weiter Jürgens: "Ich hab gesoffen. Zwei Flaschen Wodka vor dem Auftritt und vierzig Zigaretten am Tag."
Das glaub ich nicht. Das ist doch völliger Blödsinn. Solche Situationen kenne ich nicht – und wer so etwas erzählt, will sich halt interessanter machen, vielleicht auch den Journalisten nur etwas Futter geben, ihre Phantasie anregen. Also ich kenne niemanden in dem Beruf, der sich mit Whiskey oder Wodka und Räuschen lange oben halten könnte. Alle, fast alle, die oben sind, würde ich sagen, arbeiten sehr zielgerichtet.
In einem Interview nannten Sie sich mal "ein ziemliches Arschloch, das sehr bewusst seine Macht ausgenutzt, Leute manipuliert hat".
Ja, das war der aufgeklärte Blick zurück auf einen jungen Mann, der in Gefahr war, ein echtes Arschloch zu werden. Es gab ja eine Zeit, da gab es von mir einen Hit nachdem anderen. Das macht was mit dir. Man hält sich für den Größten. Man hebt ab. Man lässt sich nicht mehr kritisieren. Irgendwann, Gott sei dank, habe ich gemerkt, ich muss wieder normal werden.
In den Neunzigern gab es ja eine Zeit, da machte man sich Sorgen um Ihr Seelenheil.
Jetzt überdramatisieren Sie.
Es gab es viele Schlagzeilen über Sie: Alkohol, Affären, Allüren, Huren, Puff – so Zeug.
Da ist viel übertrieben worden. Aber ich denke schon, dass ich heute ein viel angenehmerer Mensch bin als früher.
Hängt es auch damit zusammen, dass es überhaupt ein Zufall ist, dass sie noch leben.
Vielleicht.
Am 23. Januar 2010 sind Sie auf der Bühne, der Westfalen-Halle in Dortmund, beinahe gestorben.
Fast gestorben – so war es nicht. Sie übertreiben.
In Ihrem vor einigen Jahren erschienenen Buch "Atempause" beschreiben Sie den Moment so: "Es war ungefähr 20 Uhr 45. Die Pause stand unmittelbar bevor, doch so lange sollte meine Kraft nicht mehr reichen. Ich bekam nicht genügend Luft."
Zehn Jahre lang hatte ich diese Krankheit COPD in mir.
Im Volksmund: Raucherlunge.
Und fast täglich hatte ich das Gefühl, viel zu wenig Luft zu bekommen. Sie leben nicht in ständiger Todesangst, sondern sind getrieben von dem Kampfeswillen, das zu überwinden. Aber das geht nicht, unmöglich.
Man sah damals Bilder von Ihnen: getönte Brille, bläuliche Haut. Man dachte an Suff, Zerfall.
Jaja, fürchterlich. Das waren die Symptome der Krankheit: Der Gasaustausch in der Lunge hat nicht mehr funktioniert. Mein größter Fehler meines Lebens ist, dass ich so viel geraucht habe. Dumm von mir war auch, nicht über diese Krankheit zu reden. Keine Schwäche zu zeigen. Immer wieder bat mich meine Frau, es öffentlich zu machen. "Sag den Leuten, was los ist. Damit diese blöden Spekulationen aufhören!" Irgendwann habe ich es gemacht, dann ging es besser. Und dann kam dieser Auftritt in Dortmund.
Gut einen Monat später wurde Ihnen damals eine Lunge transplantiert.
Und mein zweites Leben begann.
Dass Sie jetzt noch leben – das ist für Sie ein Bonustrack?
So kann man es nennen. Ich bin dafür einfach unendlich dankbar. Meinem Schöpfer, den Ärzten, dem Spender. Ich lebe jetzt bewusster, entspannter. ich muss mir nichts mehr beweisen. Ich war auf der Wartebank des Todes, ich hab sie verlassen dürfen. Es ist faszinierend, wie sehr ich mein zweites Leben genieße.
Sie sind wohl der einzige Sänger weltweit, der bei Open-Air-Konzerten vor Zehntausenden mit einem Spenderlunge auftritt.
Vermutlich.
Und Sie erleben ja einen unfassbaren Erfolg in Ihrem zweiten Leben, größere Erfolge als in Ihrem ersten Leben.
Das ist einfach ein großes Glück.
Ihr Video "Warum hast du nicht nein gesagt" ist bei Youtube 22-millionenfach angeklickt worden. Kein deutscher Interpret hat so etwas bisher geschafft, und Sie haben überdies fast 100 Millionen Platten verkauft – das sind Dimensionen wie bei Neil Diamond, Deep Purple.
Meine Alterskarriere bekommt eine verblüffende Dimension, da haben Sie recht. Plötzlich bin ich wieder angesagt.
Und auch ich bin verblüfft: Ich dachte, zu Ihren Konzerten gehen Frauen, die mit Ihnen alt geworden sind.
Danke.
Aber bei Ihrem Konzert etwa in Hürth bei Köln, neulich, da waren sehr viele junge Frauen und Männer, die ihre Lieder mitsangen. Und diese Lieder sind alle auf Deutsch.
Ja, das freut mich. Ich mag meine Muttersprache. Ich träume auf Deutsch, fluche auf Deutsch, also singe ich auf Deutsch. Das ist eine tolle Sprache, wortgewaltig, wenn man weiß, wie man sie einsetzt.
Und Sie wissen, wie man sie einsetzt?
Ich denke schon, dass mir manche Sätze gelungen sind. Ich versuche, Dinge zu texten, die einen Gebrauchswert haben.
Was meinen Sie damit?
Das sind Zeilen, die die Menschen im Bauch treffen, so Sätze wie: "Ich glaub’, es geht schon wieder los!", oder: "Manchmal möchte ich schon mit dir", oder: "Lieb mich ein letztes Mal". Das sind Superzeilen.
Viel Andeutung, wenig Vollzug – meinen Sie das?
Da ist schon Vollzug dabei. Manchmal sagte der Produzent, das geht jetzt zu weit, das geht nicht. Ich sag dann: Wie bitte? Mann, guck doch mal in die 30er, die waren doch schon viel weiter, etwa die "Comedian Harmonists" mit "Veronika, der Lenz ist da, der Spargel wächst”. Das ist großartig.
Wieso denn?
Es ist eindeutig, ohne zu sagen, was man möchte, aber jeder weiß, was man möchte und um was es geht.
Wie oft haben Sie den Gebrauchswert Ihrer Lieder benutzt, also ein Lied von Ihnen aufgelegt, um damit Frauen ins Bett zu bekommen?
Sind Sie verrückt? Noch nie.
Wie ist es für Ihre Kinder, einen Schlagerstar zum Vater zu haben?
Für sie bin ich kein Star. Da bin ich Vater. Meine Tochter fragt mich nicht, wie der letzte Auftritt war. Sie will, dass ich ihr bei den Hausaufgaben helfe. Dass ich einkaufe. So Dinge.
Hören sich Ihre Kinder Ihre Lieder an?
Ja, aber sie sind keine Fans. Wenn ein Album fertig ist, wollen sie es hören. Dann sagen sie: okay. Sie haben noch nie abwertend gesagt: Kann man so machen. Neulich bin ich mit meiner 17-jährigen Tochter nach Dresden gefahren. Wenn sie ins Auto einsteigt, schaltet sie meinen WDR 3 oder WDR 5 sofort aus. Sie steigt also ein, will sich das neue Album von Justin Bieber anhören. Ich denke, oh Gott, da musst du jetzt durch.
Es war ein Härtetest.
Nein, es war eine angenehme Überraschung. Ich habe mir das dreimal angehört. Der neue Bieber ist gut. Kompliment, würde ich gern zu ihm sagen. Tolle Mischung, cool gemacht, exzellenter Klang, gutes Timing, perfekter Bass, schön, wie die auf diesem Album seine Stimme anfassen, alles perfekt.
Ohne Ihre Kinder…
… würde ich so vieles nicht erfahren, sie eröffnen mir neue Welten. Kinder sind toll, weil sie sagen, was sie denken. Einer der coolsten Sprüche meiner Tochter, die sie je gebracht hat, war neulich in Dresden kurz vor dem Konzert. Um mich herum Leute, die zu mir sagen: "Das wird jetzt gleich super!" Dann aber kommt meine Tochter zu mir und sagt ganz leise: "Verkack es nicht!"
Verkack es nicht?
Ja. Großartig. Sie hat meine ganze Arbeit auf das reduziert, worauf es ankommt. Mit drei Worten hat sie aber auch gesagt, um was es im Leben geht: Verkack es nicht.
Das stern-Gespräch ist dem aktuellen stern entnommen