Nur drei Worte könne er auf Englisch sagen: "Yes, no und sex", in der DDR habe er schließlich Russisch gelernt. Das erzählte Christian "Flake" Lorenz im Jahr 2019, da trat er gerade in der MDR-Sendung "Spaßzone" auf. Das Publikum lachte.
Wenn auch vielleicht nicht ganz ernst gemeint, ist es eine Aussage, die gut zusammenfasst, was der Rammstein-Keyboarder, 56, immer wieder von sich ausplaudert.
Sex zum Beispiel. Seine Aussagen provozieren, ein Stilmittel, das er sich angeeignet hat: "Nüchtern erlebte ich kein sexuelles Abenteuer." Oder: "Betrunken waren mir die Konsequenzen, die Sex hat, egal", sagte er 2016 der "Märkischen Allgemeine".
Rammstein-Keyboarder Flake: Er gibt sich gern schüchtern
Sieben Jahre später wirken diese Worte angesichts der aktuellen Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann mindestens verstörend. Inzwischen haben zwei weitere Frauen mutmaßliche sexuelle Übergriffe im Umfeld der Band geschildert. Dabei fällt auch der Name Flake.
Der Rammstein-Keyboarder ließ die Anschuldigungen über seine Anwälte zurückweisen. Zuvor hatte er in zwei Büchern und zahlreichen Interviews Einblicke in das Leben eines Rockstars gegeben. Seine Biografie "Der Tastenficker" trägt den Untertitel: "An was ich mich so erinnern kann" und kokettiert mit den Themen Rausch und Kontrollverlust. Alkohol helfe ihm dabei, nicht mehr schüchtern, nicht mehr verklemmt zu sein. "Für Leute wie mich ideal."
Schüchtern ist ein Adjektiv, das Lorenz gern für sich reklamiert. Als Kind sei es so schlimm gewesen, dass er gestottert habe. Es sei erst besser geworden, als der Erfolg mit der Band kam. Bestätigung von außen habe ihn geheilt, so erzählt er es gern.
Doch innen drin, da seien noch zahlreiche Ängste, die an ihm nagen. Die Angst vor Krebs. "Die ganze Zeit, in der ich darüber nachdenke, ob ich Krebs habe, könnte ich auch etwas Schönes machen." Er sei ein Hypochonder, das nehme ihm "viel Lebensqualität".
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Auch in seiner Biografie widmet er zahlreiche Seiten seinen Ängsten. Auf jeder S-Bahn-Fahrt habe er früher darauf gewartet, dass ihm übel werde, dass er sich erbrechen müsse. Passiert sei ihm das nie.
Allein sechs Seiten lang erzählt er von seiner Flugangst. Doch nicht alles davon glaubt man ihm auch wirklich. Dass ihm der Freund seines Bruders ein Trümmerteil eines abgestürzten Flugzeugs besorgt habe, das er eine zeitlang immer im Handgepäck dabei hatte, "weil es statistisch so gut wie unmöglich ist, dass ein Stück Flugzeug zweimal abstürzt."
Dass er die scharfen Kanten des Trümmerteils "in meinen Ersatzschlüpfer gewickelt" habe, damit sie nicht seine anderen Sachen beschädigen. Wirklich? Naja.
Flake verdichtet sein Leben gern zu Anekdoten, so wirkt es zumindest. Manchmal scheint ihm dabei die Pointe wichtiger zu sein als der Wahrheitsgehalt.
In seinem Buch schreibt er, er habe Angst vor "lauten Geräuschen", was nicht so ganz zu seiner Karriere als Rammstein-Musiker passen will. Auch vor Autos habe er große Angst, er erklärt aber nicht, wie das mit seiner Sammelleidenschaft für Oldtimer zusammenpasst.
Denn ein klares "Yes" gibt er alten VW-Bussen. Betont edgy erzählte er der "Welt", dass er auch bei drei Grad Außentemperatur an der Ostsee campt und sich drinnen im Bulli einfach eine Kerze anzündet. Zack, gemütlich.
Wenn er sich entspannen, einfach mal an nichts denken wolle, gehe er wandern. Stundenlang, dabei bekommt er den Kopf frei. Das erinnere ihn an seine Kindheit, mit seinen Eltern hat er im Wald Blaubeeren gesammelt.
In fremden Städten gehe er am liebsten an den Fluss. Dort setzte er sich hin. Und lese Bücher. "Normalerweise meide ich ohnehin Orte, an denen so viele Menschen sind." Lieber mag er Orte, die marode, die am Verfallen sind, das sagte er mal im MAZ-Interview.
Dass er mit manchen Aussagen bisweilen naiv rüberkommt, scheint dabei zu seinem Konzept der Selbstinszenierung zu gehören. Und die betreibt er. Dinge von sich preis geben, die zu einem Lacher führen: Yes! Wirklich nahbar sein: No. "Ich mag meine Naivität. Wäre ich nicht naiv, würde ich mich viel weniger freuen", sagte er der "MAZ". Wird er auf das Thema Geld angesprochen, etwa vom "Standard", sagt er: "Das Geld, das uns privat bleibt, kann uns eigentlich kaum schaden, weil es sich so im Rahmen hält."
Seine Fans scheinen das an ihm zu mögen. In den sozialen Medien finden sich gleich mehrere Fanseiten über ihn. Immer wieder tauchen darauf Fotos seines vielleicht bekanntesten Bühnen-Outfits auf. Goldene Pilotenmütze, Brille, enge Hose, Jacke mit großen Pailletten, natürlich auch alles in Gold. Flake, der im Gegensatz zu Till Lindemann recht schmal gebaut ist, wird oft für seine auffälligen Outfits gefeiert. Flake, der öfter von Lindemann auf der Bühne geschubst und provoziert wird, der als "der Schwache" der Band inszeniert wird. Flake, der manchmal abwertend "das Strichmännchen" genannt wird, möchte auf sich aufmerksam machen.
Nicht nur optisch. Auch mit politischen Aussagen polarisiert er. Er, der 1966 in Ost-Berlin geboren wurde, älterer Bruder, der Vater Ingenieur, die Mutter Publizistin. Als Kind habe er oft "in der Wohnung gehockt" und wenig mit anderen Kinder gespielt. Erst mit 23 Jahren ist er zu Hause ausgezogen.
Flake versteckt nicht, dass er nach wie vor eine gewisse Sympathie für die DDR hat, von einigen sogar als "Ostalgiker" bezeichnet wird. "Wir sind so sehr zurückgesetzt worden, dass sich ein Groll und eine Enttäuschung aufgebaut haben, die bis jetzt anhalten. Im Großen und Ganzen war die Wiedervereinigung in dieser Form eine Sauerei", sagte er in einem Interview mit dem "Standard". Die AfD würde er trotzdem nicht wählen.
Dass er so über die DDR denkt, sie einmal ein "Spielzeugland" nannte, überrascht trotzdem. Bereits in den 80er Jahren ist er mit seiner Punkband Feeling B durch die DDR getourt, später erfuhr er, dass er in der Zeit von der Stasi überwacht wurde, dass es informelle Mitarbeiter in seinem Umfeld gab, nicht nur einen.
Eine ganze Akte füllten die Berichte. Wie die "B.Z." berichtet, ermittelte die Staatssicherheit gegen Flake wegen "sozialismusfeindlicher Lebensweise" und "Beeinträchtigung der Tätigkeit staatlicher Organe". So wurde sein Lehrmeister befragt, bei dem Flake als Facharbeiter für Fertigungsmittel arbeitete. Den Beruf hat er zugunsten seiner Musik aufgegeben, verdient nun mit seinem einstigen Hobby das Geld.
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Flakes Vater sei "immer noch ein bisschen enttäuscht, dass ich meine Werkzeugmacherkarriere nicht weiterverfolgt habe", sagte Flake dem "Tagesspiegel". Im Jahr 2017 schrieb er sein zweites Buch, in "Heute hat die Welt Geburtstag" erzählt er von seiner Zeit als Rammstein-Mitglied, wobei das dort nicht steht. Er schreibt immer nur von "der Band" und seinem Rockstar-Life à la: "Ich habe kein Gefühl mehr, wie spät es eigentlich ist. Wir sind heute Vormittag irgendwo losgeflogen, und mein Handy stellt selbständig die Uhr um."
Bei seinem Auftritt in der "MDR-Spaßzone" las Flake auch aus dem Buch. Er beschreibt eine Szene, Backstage, er wollte sich auf einem Sofa ausruhen, hatte sich gerade bei der Show zwei Brandblasen zugezogen. Doch dort saßen "aufgeregt schreiende Frauen", Till sei gerade dabei "Sekt und Vodka" zu verteilen. "'Hallo, let's fuck', rufe ich als Begrüßung, um die Stimmung etwas aufzulockern", sagt Flake. Doch er werde ignoriert, die Frauen konzentrierten sich auf Till. Das Publikum der "Spaßzone" lacht wieder und wieder bei der Lesung.
Übereinstimmungen mit realen Personen und Vorkommnissen seien nicht beabsichtigt, schreibt Flake zu Beginn seines Buches. Noch so ein Satz, der heutige Leser womöglich irritiert zurücklässt.
Quellen: "MDR Spaßzone", Buch "Der Tastenficker", "Märkische Allgemeine Zeitung", "Die Welt", "Der Standard", "Der Tagesspiegel", "B.Z.", Buch "Heute hat die Welt Geburtstag"