Der passende Bibelvers für diese Woche ist das achte Gebot: "Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten." So steht es im zweiten Buch Mose, Kapitel 20, 16.
Friedrich Merz möchte eine nationale Notlage ausrufen. Nach dem Terroranschlag in Solingen fordert er eine Politik der harten Hand. Zu seinen Forderungen gehören die Rückweisung von Syrern und Afghanen an der deutschen Außengrenze, Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan, die Rückabwicklung der erleichterten Einbürgerungen und das Ende doppelter Staatsbürgerschaften.
Die Gleichung scheint einfach: Mehr Flüchtlinge heißt mehr Islamisten heißt mehr Messerangriffe. Die Mehrzahl der Messerangriffe geschehe, so Merz, durch Flüchtlinge. Und meist stünden, ebenfalls Merz, islamistische Motive dahinter. Deutschland habe genügend Flüchtlinge aufgenommen, vor allem Syrer und Afghanen. Die Menschen in Deutschland hätten Angst. Es müsse endlich etwas geschehen.
Aber das Meiste an dieser Gleichung ist falsch. Für die Ängste der Deutschen gibt es Gründe, die Friedrich Merz nicht gefallen dürften – weil sie mit ihm selbst zu tun haben. Und mit den strategischen Zielen des Islamischen Staats.

Zur Person
Stephan Anpalagan, geboren 1984 in Sri Lanka und aufgewachsen in Wuppertal, ist Diplom-Theologe, Autor und Musiker. Nachdem er zehn Jahre in der Wirtschaft als Manager tätig war, ist er nun Geschäftsführer einer gemeinnützigen Strategieberatung und Lehrbeauftragter an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung in NRW. In seinen Texten verhandelt er die Themen Heimat und Identität.
Der Reihe nach. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat sich gleich zweimal mit der Frage befasst, ob eine Abschiebung von straffälligen Flüchtlingen nach Syrien oder Afghanistan rechtlich möglich ist. Die Antwort in beiden Fällen: Nein. Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte stehen Merz Forderungen entgegen.
Auch politisch scheint mir diese Idee unausgegoren. Möchte Merz allen Ernstes Milliarden Euro an Taliban und Assad-Regime überweisen, damit diese ihre Staatsbürger zurücknehmen, während wir in Deutschland wegen klammer Kassen Schulspeisungen auf den Prüfstand stellen und Rentenkürzungen diskutieren? Es wäre ein doppeltes Konjunkturprogramm für die Falschen: für die Islamisten im Ausland und für die Rechtsextremisten im Inland.
Nun hat die Bundesregierung in einem Akt purer Verzweiflung 28 Afghanen per Charterflug nach Afghanistan zurückgeschickt, um kurz vor den anstehenden Landtagswahlen ihre Handlungsmacht zu demonstrieren. Die demnächst folgende juristische Klatsche wird nicht nur an eine Regierungskoalition ergehen, die ihre "feministische Außenpolitik" in Zusammenarbeit mit dem frauenfeindlichsten Regime der Welt erprobt, sondern auch an einen Oppositionsführer, der Taktgeber für dieses Trauerspiel war.
Es gibt kein Tabu – nicht einmal das Grundgesetz
Ob Merz bereit wäre, für sein Vorhaben Hand an völkerrechtliche Verträge und das Grundgesetz zu legen, wird der Volljurist in der Bundespressekonferenz gefragt. Seine Antwort: "Es gibt kein Tabu. Wir können über alle Regeln reden."
Der Oppositionsführer will also Grundgesetz und Völkerrecht auf den Prüfstand stellen. Mit Hilfe von Aussagen, die man auch mit viel gutem Willen als unwahr bezeichnen muss. Bei der öffentlichen Fragerunde in der Bundespressekonferenz erklärt Friedrich Merz, von 25 Millionen syrischen Staatsbürgern befänden sich eine Millionen in Deutschland. Und weiter: "Es gibt kein zweites Land auf der Welt, das auch nur annähernd proportional zu seiner Größe eine solch große Zahl von Flüchtlingen aus Syrien und Afghanistan aufgenommen hat wie Deutschland."
Das ist falsch. Allein die Türkei hat bei einer ähnlichen Einwohnerzahl wie Deutschland 3,2 Millionen Syrer im Land. Der Iran 3,7 Millionen Afghanen. Und der kleine Libanon hat mit einer Bevölkerung von 5,5 Millionen Menschen ganze 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen.
Wie Merz angesichts einer erhöhten Zuwanderung und überforderten Kommunen ausgerechnet auf Syrer und Afghanen kommt, ist ebenfalls unverständlich. Im Jahr 2023 sind vor allem Ukrainer (276.047), Rumänen (189.321) und Türken (126.487) eingewandert. Syrer folgten erst auf Platz fünf (101.738), Afghanen auf Platz acht (48.631).
Nach Solingen: Wer sind hier die Messermänner?
Was die Kriminalität betrifft, gibt es zwei interessante Entwicklungen, die Merz und den meisten Kommentatoren offensichtlich entgangen sind: Im Jahr 1993 verzeichnete die Bundesrepublik Deutschland 1.299 Mordfälle. Dreißig Jahre später, im Jahr 2023, sind es nur noch 729. Im selben Zeitraum verdoppelte sich die Zahl der Ausländer auf 13,9 Millionen. Mehr Ausländer, weniger Mordfälle. Das will nicht zusammenpassen, mit den politischen Forderungen der CDU.
In den vergangenen Tagen wurden Messerangriffe aus Moers, Radeberg, Recklinghausen und Dortmund öffentlich. Es sind ausnahmslos deutsche Staatsbürger, die dort auf Polizei und Umstehende losgehen und von den Einsatzkräften per Schusswaffe aufgehalten werden müssen. Wenn man über gewaltbereite Ethnien in Deutschland sprechen möchte, sollte man vielleicht aufpassen, dass man die Deutschen nicht unter Generalverdacht stellt.
Selbst dort, wo die politischen Forderungen der CDU teilweise umgesetzt wurden, lässt sich kein Rückgang der Kriminalität feststellen. Das Lieblingsbeispiel der CDU-Führung für einen gelungenen Umgang mit Migration, Dänemark, wurde mit einer restriktiven Einwanderungspolitik zum Vorbild für viele Konservative in Europa. Wer des Dänischen mächtig ist, kann nun auf der Webseite der dänischen Statistikbehörde nachlesen, dass die Zahl der Menschen, die Opfer einer Straftat wurden, im vergangenen Jahr um vier Prozent gestiegen ist. Die Zahl der angezeigten Sexualdelikte steigt seit Jahren rasant. Eine restriktive Migrationspolitik führt, das mag manche überraschen, nicht automatisch zu weniger Kriminalität.
Wohin mit der Angst?
All die Zahlen ändern natürlich nichts daran, dass Menschen in Deutschland Angst haben. Insbesondere nach Anschlägen wie in Solingen. Ich habe Verständnis dafür, dass Politiker und Journalisten ratlos sind, wie damit umzugehen ist.
Diese Angst mit Lügen und Verleumdungen zu schüren, ist allerdings der falsche Weg. Nach dem Anschlag in Solingen erklärt der Polizeipräsident Markus Röhrl auf einer Pressekonferenz, dass die Städte Wuppertal, Remscheid und Solingen sicher seien. Alle Redebeiträge lassen sich in voller Länge auf den Kanälen des Fernsehsenders "Phoenix" anschauen. Im Anschluss an die Pressekonferenz geht in den sozialen Medien stattdessen ein 17-sekündiger Videoschnipsel viral, in dem es sich anhört, als sage Röhrl das genaue Gegenteil. Die Desinformation wird tausendfach geteilt. Der Chefredakteur der "Welt"-Gruppe beteiligt sich an dessen Verbreitung, im "Focus" erscheint ein Beitrag, der auf dieser Unwahrheit beruht. Der Tenor überall: Die Polizei habe kapituliert! Die Menschen seien nun in Sachen Innere Sicherheit auf sich allein gestellt!
Nach der Tat folgt die Lüge. Auf die Lüge folgt die Angst. Genau diese Angst ist das strategische Ziel des Islamischen Staates. In einem Artikel aus dem Jahr 2015 mit dem Titel "The Extinction of the Grayzone" in der IS-eigenen Zeitschrift "Dabiq", erläutern die Autoren ihren Plan. Mit terroristischen Anschlägen soll die friedliche Koexistenz zwischen Muslimen und Nichtmuslimen verhindert werden. Auch wenn es paradox klingen mag: Der IS will eine staatliche Repression provozieren, die ausnahmslos alle Muslime mit dem Terror des IS in Verbindung bringt. Am Ende sollen sich Muslime in westlichen Gesellschaften entscheiden müssen – für eine Abkehr vom Islam oder für die Anhängerschaft beim IS. Islam oder Europa. Keine Integration, keine Grauzone. Der Islamische Staat möchte, dass Sie, liebe Leser, Flüchtlinge und Terroristen gleichsetzen. Dass Sie in jedem von ihnen einen Messermann vermuten.
Diesen Gefallen sollten wir dem IS nicht tun.