Es kommt selten vor, dass Tony Johnson, gespielt vom britischen Comedian Ricky Gervais, einmal die Worte fehlen. Doch als er eine 100-jährige Frau interviewt, die zu ihrem Jubiläum eine Urkunde der Queen bekommen hat, verstummt der sonst so zynische, impulsive Journalist. "Mach einfach ein Foto", sagt er zu Lenny, dem Fotografen der fiktiven Lokalzeitung "Tambury Gazette", für die beide arbeiten.
Die Frau, gespielt von der 86-jährigen britischen Schauspielerin Annette Crosbie, ist ein größerer Misanthrop als er es ist, bei ihr ist das Glas immer halb leer. Das Wort cunt (derber Ausdruck für ein weibliches Geschlechtsorgan) benutzt sie so inflationär wie ein Pastor das Amen in der Kirche. Und auf die Frage, welchen Tipp sie für andere Menschen habe, so alt wie sie zu werden, antwortet sie: "Werdet nicht so alt. Es ist verdammt schrecklich."Auch in der zweiten Staffel, die seit dem 26. April auf Netflix verfügbar ist, bleibt sich "After Life" treu. Der Humor ist schwarz. Dazu zeichnet die Serie eine Welt, in der impulsive Pessimisten und ruppige Misanthropen, die einzigen halbwegs Normalen sind. Das passt zu dem Ideengeber der Serie, Ricky Gervais himself. Der britische Comedian provoziert gerne mit grenzüberschreitenden Witzen. Das scheint ihn zu reizen – gleichwohl beruht darauf auch ein stückweit sein Erfolg.
"After Life": In Staffel zwei geht’s um die eigene Vergänglichkeit
Als "Sadcom" bezeichnen manche Kritiker und Journalisten "After Life" wegen der Handlung. Demnach ist es eine Tragödie, die immer gerade noch rechtzeitig die Kurve kriegt, bevor sie ins Rührselige abgleitet. Doch für Gervais’ Fans wirkt die Serie eher wie eine Adaption seines eigenen Lebens – mit Abweichungen. Etwa den Lebensumständen der Hauptfigur Tony.

Nachdem seine Ehefrau an Brustkrebs verstorben ist, muss Tony in Staffel eins lernen, mit der Trauer und dem Schmerz seines Verlustes umzugehen. Aus seiner Sicht scheint sein einziger Ausweg Suizid zu sein. Dazu fehlt ihm allerdings der Mut. Er beschließt deshalb, die Welt zu bestrafen, indem er nur noch das tut, was er will. Erst wenn ihm das zu viel wird, will er sterben. Das sei seine neue "Superkraft", sagt er. Am Ende hilft ihm sein persönliches Umfeld, sein Tief zu überwinden. Er findet einen Grund weiterzuleben.In der zweiten Staffel geht es nun um die eigene Vergänglichkeit. Tony scheint mittlerweile ein besserer Mensch zu sein. Er nutzt seine "Superkraft", um nun anderen zu helfen. Jedenfalls versucht er es. Allerdings wird schnell klar, dass der impulsive Zyniker immer noch in ihm schlummert. Er tritt insbesondere dann hervor, wenn ihm andere Menschen auf die Nerven gehen – so wie der Leiter eines Zen-Meditationskurses.
Tony begleitet seinen Schwager dorthin. Weil der Kursleiter Tony mit Nasehochziehen und Teeschlürfen provoziert, platzt dem die Hutschnur. "Windspiele, Schlürfen, Schniefen: Wie soll das entspannend sein? Es ist ekelhaft", sagt er. Daraufhin verlässt er den Kurs vorzeitig und beleidigt den Zenmeister abschließend noch als "ein vollgerotztes Arschloch".
"Wir sind Schimpansen mit einem gigantischen Gehirn"
In der zweiten Staffel sorgt aber nicht nur Gervais für Lacher. Auch die Nebenfiguren landen einige Gags. Als Tony in der zweiten Folge seine Freundin Roxy fragt, wie ihr das Essen schmecke, was er für sie gekocht habe, sagt sie: "Es ist das Widerlichste, was ich heute im Mund hatte. Und ich hatte heute viel zu tun." Roxy verdient ihr Geld als Sexarbeiterin. Eine typische Gervais-Pointe, so vulgär, dass man sich das Lachen nicht verkneifen kann.
Fans des Comedian machen mit der zweiten Staffel "After Life" nichts falsch. Sie kommen auf ihre Kosten – auch wegen so zynischer Monologe des Hauptcharakters Tony wie zum Thema Alkoholismus: "Alle Trinker schaden sich. Der Trick dabei ist, nicht anderen zu schaden." Und weiter: "Ich trinke, wenn ich Probleme habe. Leider ist die Welt voller Probleme. Sie ist schrecklich. Alle sind am Arsch. Auch ich. Alle haben Probleme. Geld, Gesundheit, Hunger, Krieg. Wir sind Schimpansen mit einem gigantischen Gehirn. Also besaufen wir uns und morden. Es ist komplett irre."
Mit ein wenig Pathos lässt sich die Aussage in die reale Welt übertragen: Wir sind irre und leben gerade in einer irren Zeit. Aber genau aus diesem Grund ist die zweite Staffel von "After Life" eine gute Ablenkung, um für ein paar Stunden nicht an den Virus oder die eigene Gesundheit zu denken.