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Serie auf TV Now Führerkult im Finanzamt – bei den Dreharbeiten zu "Faking Hitler"

"Faking Hitler"
Es ist eine tragikomische Szene deutscher Mediengeschichte. Am 25. April 1983 präsentiert der stern in Hamburg der Öffentlichkeit eine vermeintliche Sensation: Hitlers Tagebücher. Lars Eidinger (2.v.r.) spielt in der Serie "Faking Hitler" den stern-Reporter Gerd Heidemann.
© Martin Valentin Menke / RTL+
1983 verkündete der stern stolz, im Besitz der Hitler-Tagebücher zu sein. Bald zeigte sich: Sie waren gefälscht. Der vermeintliche Coup löste einen Presseskandal aus. Nun wird der Stoff als TV-Serie mit erstklassigen Schauspielerinnen und Schauspielern für RTL verfilmt. Ein Besuch am Set.

Die Kulisse für die Groteske bildet kein schickes Hamburger Verlagshaus, sondern das ehemalige Finanzamt Düsseldorf-Nord. Ein trostloser Bau: Die Büros wurden schon vor sieben Jahren geräumt. Sogar die alten Toiletten sind verschwunden. Eine Patina aus Staub hat sich auf die Wände und Fensterbänke gelegt, die Linoleumböden sind stumpf. Auf den Türschildern stehen noch die Namen der Sachbearbeiter und deren Veranlagungsbezirke. Es ist gespenstisch still.

Dann plötzlich – Tumult. Auf einem Flur im zweiten Stock drängeln sich Menschen mit Kameras und Fotoapparaten. Sie schreien wild durcheinander, feuern Blitzlichtgewitter ab. Sie tragen komische Frisuren und schräge Kleidung aus den Achtzigern: graue Kostüme, gestreifte Pullunder, taubenblaue Anzüge, beige Trenchcoats. Vor ihnen sitzen an einem langen Holztisch fünf Männer im Scheinwerferlicht und versuchen, die Meute zu besänftigen. 

Die vermeintliche Sensation kommt als Serie

An diesem Maitag 2021 wiederholt sich in dem rheinischen Bürogebäude eine tragikomische Szene deutscher Mediengeschichte: Die legendäre stern-Pressekonferenz vom 25. April 1983 wird nachgespielt. Damals präsentierten Redaktion und Verlag in Hamburg der Öffentlichkeit eine vermeintliche Sensation: Hitlers Tagebücher. Sie hatten angeblich einen Flugzeugabsturz überstanden und konnten aus der DDR in den Westen geschmuggelt werden.

Ein Filmteam der Bertelsmann-Tochter Ufa Fiction macht aus dem Stoff eine sechsteilige Serie für RTL. "Faking Hitler" wird sie heißen. Ende 2021, so der Plan, wird sie zunächst auf TV Now gestreamt, später bei RTL zu sehen sein. Die Film- und Medienstiftung NRW schießt 1,5 Millionen Euro zu.

Der Triumph mündete in ein Desaster

Star der Konferenz war Gerd Heidemann, ein preisgekrönter stern-Reporter und hartnäckiger Spürhund mit einer gewissen Faszination für den Nationalsozialismus. Er hatte die Tagebuchbände besorgt und den millionenschweren Kauf im Stillen mit den Managern seines Hamburger Arbeitgebers Gruner+Jahr abgewickelt. Mit am Pressekonferenztisch damals: die stern-Chefredakteure Peter Koch und Felix Schmidt, Thomas Walde, Ressortleiter "Zeitgeschichte", sowie der britische Historiker Hugh R. Trevor-Roper als Gutachter.

Der Triumph der Blattmacher und Verlagsmanager mündete wenige Tage später in ein Desaster – für die gesamte Marke stern. Es stellte sich heraus: Die Tagebücher sind Fälschungen eines verschrobenen Kunstmalers namens Konrad Kujau. Dreiste Fake News der Achtziger. Die Bücher sorgten für einen der größten Presseskandale der Nachkriegsgeschichte. 

"Faking Hitler"
Darum drehte sich 1983 alles: schwarze Kladden mit dem Aufdruck FH - das sollten die Hitler-Tagebücher sein.
© Martin Valentin Menke / RTL+

Am Set im Finanzamt sind bekannte Schauspieler im Einsatz: Lars Eidinger ("Babylon Berlin"), der Gerd Heidemann spielt. Richard Sammel ("Der Mordanschlag") und Hans-Jochen Wagner ("Tatort") als Chefredakteure. Ronald Kukulies ("Stralsund") als Verlagschef. Manfred Böll ("Loriot") als Gutachter. Um Authentizität geht es den Machern nicht so sehr. Es soll eine spannende, emotionsgeladene, zeitgemäße Geschichte vor realem Hintergrund entstehen. Außer Eidinger, der im Film tatsächlich Gerd Heidemann heißt, tragen alle anderen Protagonisten Kunstnamen, wie ihre Namensschilder auf dem Tisch zeigen. Heidemann gilt als Figur der Zeitgeschichte, die man medial behandeln darf – mit den anderen historischen Personen sollten Reibereien über Persönlichkeitsrechte vermieden werden.

"Absolute Ruhe!", ruft ein Regieassistent. Klappe 5-34 1/2. Die gesamte Szene der Pressekonferenz wird noch einmal von vorn gedreht. "Und los", ruft Tobi Baumann, der unter einer Stoffmütze die Szene auf zwei Bildschirmen verfolgt. Baumann ("Pastewka") führt gemeinsam mit Wolfgang Groos ("Pastewka") bei der Serie Regie.

"Ein Spielplatz für alte weiße Männer und ihre Egos"

Die fünf Pressekonferenzler kommen eine Treppe hinauf und bahnen sich den Weg durch die Menge. Lars Eidinger alias Gerd Heidemann trägt einen blauen, etwas zu weiten Zweireiher mit weißem Einstecktuch, fast schulterlanges Haar und eine schwere schwarze Brille. Er wirkt stolz und scheu zugleich, sein Blick wandert flüchtig durch die Reihen, ohne jemanden zu fixieren.

Sein Chefredakteur beginnt die Konferenz mit einem Satz voller Hochmut: "Vor genau zehn Jahren bekam die 'Washington Post' für die Aufdeckung der Watergate-Affäre den Pulitzer-Preis. Ich bin mir sehr, sehr sicher, dass der nächste Pulitzer-Preis an den stern geht." Bräsig und selbstgefällig liegen seine Kollegen derweil in den Stühlen, einige zünden sich genüsslich Zigaretten an. Regisseur Baumann sagt: "Die ganze Geschichte ist irre männerlastig. Ein Spielplatz für alte weiße Männer und ihre Egos."

Dann bringt eine Sekretärin im Kostüm – die einzige Verlagsfrau weit und breit – die Tagebücher. Eidinger nimmt drei Bände in die Hand, fächert sie auf, steht auf und zeigt sie mit ernster Miene in die Runde. Er ist Spezialist für die Rolle eines schwer einzufangenden Grenzgängers und spielt Heidemanns Mischcharakter aus Großmannssucht und Verletzlichkeit überzeugend. Das findet auch Produzent Tommy Wosch, der den echten Heidemann schon öfter getroffen hat. Er sagt: "Ich habe es bis heute nicht geschafft, mir ein abschließendes Bild von ihm zu machen." 

Ein paar Minuten später schreit der Film-Chefredakteur den hochmütigen Satz in den Raum, der sich in die Gehirne der Deutschen eingebrannt hat: "Die Geschichte des dritten Reichs muss in weiten Teilen umgeschrieben werden." Zweifel an der Echtheit der Kladden weist er barsch zurück, man habe sie "auf Herz und Nieren geprüft". Woher er die Bücher habe, will ein Reporter von Heidemann wissen. Eidinger beugt sich manieriert vor zum Mikrofon: "Wir vom stern schützen unsere Quellen." Das zumindest stimmt bis heute.

Heidemann Archiv

"Faking Hitler" verarbeitet die traurig-aberwitzigen Geschehnisse aus einer anderen Perspektive als Helmut Dietls grandios-überspitzte Kinosatire "Schtonk!" von 1992. Die neue TV-Serie fußt auf dem erfolgreichen Podcast "Faking Hitler", mit dem der stern selbst die wenig ruhmreiche Zeit historisch spannend und unterhaltsam aufbereitet hat. Darin sind unter anderem abstruse Originaldialoge zwischen Heidemann und Tagebuchfälscher Kujau zu hören. Regisseur Baumann sagt: "Die Serie ist keine lupenreine Komödie. Sie zieht ihre Komödie immer daraus, was wirklich passiert ist. Wir haben bei den Vorbereitungen gemerkt: Wir müssen gar nichts Witziges machen. Wenn Heidemann und Kujau miteinander telefonieren, ist das so absurd, dass es ganz viel Komik mit sich bringt." 

Parallel-Story mit Sinje Irslinger und Daniel Donskoy

Produzent Wosch, der auch die Drehbücher für "Faking Hitler" federführend schrieb, hat zudem eine Parallel-Story eingebaut: Die stern-Jungredakteurin Elisabeth Stöckel (Sinje Irslinger) wird von Leo Gold (Daniel Donskoy), einem jungen jüdischen Aktivisten, mit der NS-Vergangenheit ihres Vaters (Ulrich Tukur) erpresst. Am Ende wollen die beiden gemeinsam die Veröffentlichung der Tagebücher verhindern. Die Erzählstränge laufen in einer Hamburger Gaststätte zusammen, wo Heidemann und Fälscher Kujau (Moritz Bleibtreu) Geburtstag feiern und sich Elisabeth gleichzeitig mit ihrem Vater trifft. 

Warum kann der Stoff Hitler-Tagebücher heute noch zünden? Weil der dunkle Schatten des Führers bis in die Gegenwart reicht? So ähnlich sieht es nicht nur Baumann: "Der Stoff ist moderner denn je. Fake News und verantwortlicher Journalismus sind ein großes Thema. Und die Faszination für den Nationalsozialismus, die Schrecken ausblendet und die damalige Zeit als großes Abenteuer sieht, ist nicht ausgestorben." 

Produzent Wosch findet: "Viele Leute haben noch immer keinen angeborenen Berührungsekel vor Rechtsradikalismus, siehe Pegida-Bewegung. Abgesehen davon ist 'Faking Hitler' eine Serie über Verführung – und das Thema Verführung betrifft uns alle." Dass sie für ein großes TV-Publikum geeignet ist, bezweifelt er nicht: "Wenn man den Zuschauerinnen und Zuschauern die Möglichkeit gibt, sich zu bilden, ohne dass es weh tut, dann greifen sie auch gern zu." 

"Faking Hitler"
Stolz hält stern-Reporter Gerd Heidemann (Lars Eidinger) die angeblichen Hitler-Tagebücher in die Kamera.
© Martin Valentin Menke / RTL+

"Los geht's!" Alles wieder auf Null. Lars Eidinger alias Gerd Heidemann dreht die Pressekonferenz nun zum fünften Mal. Diesmal mit einer neuen Kameraeinstellung. Warum Heidemann? Warum Hitler-Tagebücher? Er sagt: "Mich sprechen Figuren und Geschichten an." Er ist mit dem stern aufgewachsen, seine Eltern hatten ihn abonniert, manchmal überkommt ihn das Gefühl, den Skandal selbst mitbekommen zu haben, obwohl er 1983 erst sieben Jahre alt war. Heidemann zu spielen habe ihn besonders gereizt: "Die Figur ist in alle Richtungen offen, komisch wabernd, flirrend. Man kann sie nicht eindeutig charakterisieren. Sie schränkt mich nicht ein. Lässt sich nicht einfangen." 

Was er liebt: "Ich kann die Figur in jeder Szene neu erfinden. Sie überrascht einen ständig. Ein unstimmiger Charakter, der, wenn man es nicht besser wüsste, kaum Realität atmet." Er hofft, dass die Zuschauer die Serie nicht für allzu bare Münze nehmen: "Berthold Brecht hat gefordert, immer analytisch auf einen Film zu gucken in dem Bewusstsein, dass es sich um Fiktion handelt." 

"Schtonk!" hat Lars Eidinger nie gesehen

Medien nutzt Eidinger persönlich zunehmend mit Vorsicht: "Ich gehe nicht selbstverständlich davon aus, dass das, was in der Zeitung steht, immer stimmt. Nicht weil mutwillig jemand etwas Falsches schreibt, sondern es passieren ja auch Fehler. Das Konstrukt Wahrheit ist wahnsinnig fragil." Bedenklich findet er das "Social Dilemma" der sozialen Netzwerke. Der Algorithmus stelle sich irgendwann fast gegen einen: "Dann werden mir nur noch die Nachrichten angeboten, die ich lesen will, die mich in meiner Meinung bestätigen. Daraus speisen sich Bewegungen wie die Querdenker." 

"Schtonk!" hat Eidinger übrigens nie gesehen und weiß somit auch nicht, wie Götz George die Reporterrolle angelegt hat. Den echten Heidemann, der, 89-jährig, in Hamburg-Altona lebt, will Eidinger erst in einigen Tagen zum ersten Mal besuchen: "Allein, dass ich den Podcast kenne, hemmt mich in gewisser Weise. Ich bin schlecht darin, Leute zu imitieren. Mit Drehbeginn verlasse ich mich nur noch auf das Drehbuch und löse mich von der historischen Vorlage."

Er wird das an diesem Tag noch öfter tun. Und später auch im Erdgeschoss des Finanzamts. Dort wurde eine komplette stern-Redaktion inklusive Konferenzraums haarfein nachgebaut.

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