Regisseur Kilian Riedhof "Gladbeck ist ein böser Mythos"

Drei Menschen auf der Rückbank eines Autos: In der Mitte sitzt Dieter Degowski und hält Silke Bischoff eine Waffe an den Kopf
Drei Menschen auf der Rückbank eines Autos: In der Mitte sitzt Dieter Degowski und hält Silke Bischoff eine Waffe an den Kopf.
© Margret Pfeil / Picture Alliance
Das Geiseldrama von Gladbeck: Am 16. August 1988 überfallen Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski eine Bank in Gladbeck-Rentfort. Sie nehmen zwei Bankangestellte als Geiseln und fordern Lösegeld und einen Fluchtwagen. Während der Geiselnahme schießen sie um sich, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Ein Polizist übergibt Lösegeld - nur in Unterhose. Trotzdem fahren Rösner und Degowski mit Geiseln und Geld davon. Ihre Komplizin Marion Löblich steigt zu. Sie fliehen Richtung Bremen. Die Polizei verfolgt sie, greift aber nicht ein. Am Abend des 17. August bringen sie in Bremen einen Linienbus mit etwa 30 Fahrgästen in ihre Gewalt. Mehrfach geben sie Journalisten Interviews. Ein Reporter steigt sogar zu ihnen in den Wagen. Gegen 23 Uhr lassen sie die beiden Bankangestellten an einer Raststätte aus dem Bus. Als Löblich von der Polizei überwältigt wird, erschießt Degowski den 15-jährigen Emanuele de Georgi. Die Polizei lässt Löblich frei, der Bus fährt Richtung Holland. Um 2.30 Uhr am 18. August fährt der Bus über die Grenze in die Niederlande. Im Austausch gegen ein neues Fluchtauto werden fast alle Geiseln freigelassen. Mit zwei jungen Frauen - Silke Bischoff und Ines Voitle - setzt das Trio seine Fahrt fort. Um 7.30 Uhr kehren sie nach Deutschland zurück, um 11 Uhr erreichen sie Köln. Wieder sprechen sie mit Journalisten, dann fahren sie Richtung Frankfurt. Um 13.50 Uhr stoppt die Polizei den Fluchtwagen auf der Autobahn A3. Rösner erschießt Bischoff, Voitle wird schwer verletzt. Die Polizei überarbeitet nach Gladbeck ihre Taktik bei Geiselnahmen. Auch die Medien überdenken ihr Verhalten angesichts des Geiseldramas. Degowski und Rösner werden zu lebenslanger Haft verurteilt. Bei Degowski wird die "besondere Schwere der Schuld" festgestellt. Trotzdem wird er im Februar 2018 auf Bewährung aus der JVA Werl entlassen. Rösner sitzt noch im Gefängnis, hofft aber auf seine baldige Entlassung.
Das Geiseldrama von Gladbeck hielt im August 1988 die Republik in Atem. 30 Jahre später schildert ein ARD-Zweiteiler die Ereignisse von damals. Es sei der emotionalste Film, den er bisher gedreht habe, sagt Regisseur Kilian Riedhof im Interview mit dem stern.

Herr Riedhof, am 16. August 1988 überfielen Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner eine Filiale der Deutschen Bank in Gladbeck. Es folgte eine 54-stündige Geiselnahme quer durch Deutschland, an dessen Ende drei Menschen ums Leben kamen. Das Geiseldrama von Gladbeck wurde damals live im Fernsehen übertragen. Sie waren damals 17. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Die Bilder von Silke Bischoff sind bei mir noch sehr präsent. Wie sie von Degowski mit einer Waffe bedroht wird und in der Fußgängerzone von Köln der Presse Interviews geben muss. Das ging mir sehr nahe. Auch weil Silke Bischoff damals fast im selben Alter war wie ich. Sie war eine von uns. Ich fühlte Ohnmacht und Wut, weil niemand ihr geholfen hat.

Sie haben fast drei Jahre an Ihrem Film "Gladbeck" gearbeitet, der die Geschehnisse von damals mit großer Behutsamkeit und Faktengenauigkeit rekonstruiert. Was hat Sie daran als Regisseur gereizt?

Gladbeck ist nun 30 Jahre her, aber es ist ein nationales Trauma geblieben. Man spürt das in der Intensität und Unmittelbarkeit, mit der die Öffentlichkeit auch heute noch auf dieses Thema reagiert. Gladbeck erschüttert und erschreckt uns, fasziniert uns leider aber auch in seiner grausamen Sensation. Wir würden gerne zu einer ethisch einwandfreien Position finden, schaffen es aber nicht. Wir können uns nicht aus diesem Dilemma lösen. Das verstört uns, muss aber als Erfahrung ausgehalten werden. Wir durchleben Gladbeck in seinem gesamten Ausmaß. Vielleicht hilft das, das Trauma zu verarbeiten.

Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski waren skrupellose Berufsverbrecher, denen gegenüber die Presse, die Polizei und die Opfer geradezu ohnmächtig wirkten.

Es war die Begegnung mit dem Animalischen Das traf die Bonner Republik unvorbereitet, weil nach dem Dritten Reich die direkte Auseinandersetzung mit dem Bösen weitgehend verdrängt worden war. Aber nun saß das Monster mitten in einer Fußgängerzone, dem Inbegriff bundesdeutscher Alltäglichkeit. Polizei und Staat standen ihm gelähmt gegenüber. Presse und Schaulustige ließen sich rauschhaft von ihm verführen. Und die Geiseln waren seiner Willkür schutzlos ausgeliefert. Der Reporter Udo Röbel, der sich sogar mit Gangstern und Geiseln ins Fluchtauto setzte, um ihnen zu helfen aus der Kölner Innenstadt heraus zu fahren, bezeichnete sich später selbst einmal als "Reporter des Satans". Das ist für mich der zentrale Aspekt von Gladbeck. Wir vertrauen ja immer auf unsere humanistischen Werte, aber dieser zivilisatorische Schutzfilm ist doch sehr dünn, wie Gladbeck gezeigt hat. Damals ließ sich ein ganzes Land vom Sog des Animalischen mitreißen. Am Ende wusste sich auch die Polizei nicht mehr anders zu helfen als mit einer chaotischen Schießerei auf der Autobahn, bei der Silke Bischoff ums Leben kam. Die Polizei übernahm die Sprache der Täter und reagierte mit derselben blinden animalischen Gewalt.

Wäre Gladbeck heute immer noch möglich oder haben wir aus unseren Fehlern gelernt?
Ich befürchte, es wurde wenig gelernt. Ich wohne mit meiner Familie im Hamburger Schanzenviertel. Beim G20-Gipfel im vergangenen Jahr herrschte dort für mehrere Stunden Anarchie. Die Anwohner riefen beim Notruf um Hilfe, doch die Polizei traute sich nicht mehr ins Viertel hinein. Und auf der Straße standen Leute mit ihren Handys und filmten die Schlägereien, die brennenden Barrikaden, Ladenplünderungen und sich selbst.

War Gladbeck der Film, der Sie bisher emotional am meisten gefordert hat?
Ja, weil die Geschehnisse von Gladbeck ein Kontinuum von Grausamkeit waren. Wir haben 60 Tage gedreht und jeder einzelne Tag war eine emotionale Herausforderung für alle Beteiligten. In vielen Szenen ging es um Menschen in Todesangst, um die Zerstörung von Familien. Das kriecht ins Innere. Man kriegt ein sehr deutliches Gefühl davon, was die Geiseln und ihre Angehörigen aushalten und erleiden mussten. Für mich als Vater einer Tochter war das wie eine Heimsuchung. Gladbeck ist ein böser Mythos.

Die ARD zeigt den Zweiteiler "Gladbeck" am Mittwoch, 7. März und Donnerstag, 8. März, jeweils um 20.15 Uhr.

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