Er muss es gestern schon gewusst haben. "Frage nicht, was dein Sender für dich tun kann, sondern frage dich, was du für deinen Sender tun kannst", stichelt Harald Schmidt am späten Dienstagabend in seiner Late Night Show. Für seinen "Champions-League-Erfolgssender" hatte er als kleines Präsent ein Maskottchen kreiert: das "Sat.1-elmännchen". Ein Spot zeigt ein fettes, altes Mainzelmännchen mit Halbglatze (Schmidt: "der typische, knuddelige Wohlfühlzuschauer von Sat.1"), das sich vor dem Fernseher mit Bier betrinkt und sich auf seinen eigenen Körper übergibt - woraufhin sich sein kugelrunder, nackter Bauch in Sat.1-Ballfarben verfärbt. Der Slogan: "Sat.1: Wenn die anderen feiern". Selten war Schmidt so treffend - und gut.
Gefeiert wurde immer nur bei den anderen. Sat.1 ist schon seit Jahren in der Krise. Nun wird mit der "Harald Schmidt Show" die letzte Sendung von Format abgesetzt. Am 3. Mai läuft die letzte Ausgabe. Trotz intensiver Gespräche konnten sich der Sender, Schmidt und der Show-Produzent Fred Kogel nicht auf eine gemeinsame Zukunft einigen. "Eine tägliche Late Night Show braucht entsprechende Rahmenbedingungen und vor allem Zeit. Wenn man darüber keine Einigung erzielen kann, hört man besser auf", so Kogel. Es klingt nicht nach einer Trennung im Guten.
"Völlige Fehlüberlegung aller Beteiligten"
Das Ende kommt überraschend. In einer Zeit, in der sich die Abgesänge auf Thomas Gottschalk in der ARD häuften, lief Harald Schmidt bei Sat.1 unbeachtet zur absoluten Höchstform auf. Von der Lustlosigkeit, mit der sich Schmidt Anfang 2011 von der ARD verabschiedet hatte, war nichts mehr zu spüren. Allein die Zuschauer, die blieben aus. Seine Marktanteile hatten Gottschalk-Niveau.
Für Roger Schawinski ist das Ende der "Harald Schmidt Show" keine Überraschung. Schawinski, der Sat.1 2003 als Chef übernahm, kurz bevor Schmidt beim Sender kündigte, weiß, dass sich eine derart schlechte Quote auf dem Sendeplatz um 23.15 Uhr "im Leben nicht finanzieren lässt". "Es war weder kommerziell noch kreativ. Thomas Ebeling (Vorstandschef von ProSiebenSat.1, Anm. d. Red.) musste die Reißleine ziehen", so Schawinski im Gespräch mit stern.de. Der Schweizer Medienunternehmer, der von 2003 bis 2006 den Sender leitete, war verwundert, dass Sat.1 Harald Schmidt überhaupt im September 2011 wieder eingestellt hatte: "Als Schmidt Sat.1 verlassen hatte, lästerte er über das Unterschichtenfernsehen. Nach seinem Scheitern in der ARD kam er dann trotzdem zurück zu Sat.1, um noch mal abzukassieren. Das halte ich nicht für stilvoll", so das kritische Urteil des ehemaligen Sat.1-Chefs.
Schawinski begründet das Problem Schmidt mit der "völligen Fehlüberlegung aller Beteiligten", als Harald Schmidt 2003, auf dem Höhepunkt seiner Karriere für eine kreative Pause bei Sat.1 hinschmiss. "Bei den Late Night Shows in den USA halten sich die Talker 20 Jahre oder länger. So baut man sich eine Community auf. Nur mit Kontinuität hat man eine Chance", erzählt der Medienpionier.
Aber es gibt auch andere Stimmen: Anke Engelke, die 2004 bei Sat.1 mit "Anke Late Night" versuchte, die Lücke, die Harald Schmidt hinterlassen hatte, zu stopfen, reagiert fassunglos auf das Aus der "Harald Schmidt Show": "F***, sie nehmen mir das Fernsehen, das ich sehen will!", sagt sie stern.de.
Das Ende einer Late-Night-Ära
Doch wie geht es jetzt weiter? Was wird aus dem Sender, der vor drei Jahren in die Offensive ging und mit Namen wie Kerner, Pocher und schließlich auch Harald Schmidt sein Profil stärken wollte - und dann doch eine Niederlage nach der anderen kassierte? Nach einem katastrophalen Januar und dem Rauswurf von ProSiebenSat.1-Fernsehvorstand Andreas Bartl steckt der Sender tiefer denn je in einer Identitätskrise. Immerhin: "Sat.1 wird ohne Schmidt viel Geld sparen", sagt Roger Schawinski. Die "Harald Schmidt Show" findet er zurzeit sogar ganz gut, aber: "Ein Aushängeschild, das keine Quote bringt, ist kein Aushängeschild".
Und trotzdem: Sat.1 verliert mit Schmidt nicht nur eine Marke, sondern auch das letzte bisschen Profil. Wenn im kommenden Sommer nun auch noch die Champions League zum ZDF überwandert, dürfte das einstige Aufbäumen des Bällchensenders endgültig in absolute Bedeutungslosigkeit verpuffen. "Die Wanderhure" mag alle paar Jahre mit Rekordquoten begeistern, den qualitativen Verlust der selbst ernannten "Medien-Nutte" Schmidt wird sie nie auffangen können.
"Schade" kommentierte Harald Schmidt kurz und knapp das Aus. Doch es ist weitaus mehr als das. Auch um die TV-Zukunft von Harald Schmidt steht es schlecht. Zu seinem Neubeginn bei Sat.1 verkündete er vollmundig, dass er den Late-Night-Platz nie wieder verlassen wird. Wenn das vorbei ist, sagte er damals in einem Interview, "dann ist es aus mit dem Fernsehen, denn alles andere hatte ich schon". Das Ende der "Harald Schmidt Show" dürfte somit das Ende einer TV-Karriere sein, die das deutsche Fernsehen geprägt hat. Die Illusion, für immer Late Night zu machen, ist laut Schawinski die "kapitale Fehleinschätzung" Schmidts gewesen. Der Ex-Sat.1-Mann ist sich sicher, dass Harald Schmidts große Zeiten am späten Abend vorbei sind: "Jetzt wird sich sicher kein Senderchef mehr finden, der dieses Risiko eingeht. Late Night mit Harald Schmidt wird es nie wieder geben".