"Traumhochzeit" bei RTL Säuseln bis zur Schmerzgrenze

Von Simone Deckner
Wo ist Bobby Flitter, wenn man ihn braucht? Die Neuauflage des Showklassikers "Traumhochzeit" löst einen Zuckerschock aus. Immerhin: Moderatorin Susan Sideropoulos ist begeistert.

Schon in der ersten Minute schreit alles nach ganz großen Gefühlen bei der Neuauflage des TV-Klassikers. Eine Männerstimme kündigt aus dem Off "die schönste Show im deutschen Fernsehen" an. Tänzelnden Schrittes kommen die Moderatoren Susan Sideropoulos und Yared Dibaba ins Studio. Eine Soapdarstellerin, die sich schon qua Amt mit seifigem Schmalz auskennt. Und ein "Allround-Talent" (RTL), dadurch qualifiziert, dass er schon Bauern im NDR verkuppelte, als Inka Bause noch nicht ahnte, dass sie später mal ins atemberaubende Allgäu einfallen würde, um männliche Milchbauern zu vermählen.

Der erste Fremdschäm-Moment lässt nicht lange auf sich warten: Sideropoulos klatscht aufgekratzt Zuschauerhände ab. Dazu dröhnt Bruno Mars' "Marry You" durchs Studio. Diese mit billigem Kalkül geschriebene Nummer für alle Verliebten, denen jegliche Phantasie fehlt. Was wohl Linda de Mol zu diesem Bohei sagen würde? Die Niederländerin moderierte die Show mit pragmatischem Charme 92 Ausgaben von 1992 bis 2000, holte Sensationsquoten von bis zu 11 Millionen Zuschauern.

Davon können die Neuen nur träumen. Die erste Sendung im Dezember verfolgten 3,31 Millionen Zuschauer und blieb damit "hinter den Erwartungen zurück." Dabei hat man eigentlich nicht viel verändert: Immer noch müssen drei Paare allerlei alberne Spiele absolvieren, damit der Sender am Ende ihre horrenden Hochzeitskosten übernimmt. Als Belohnung für die überstandenen Demütigungen düfen sie live im Studio heiraten. Früher erledigte das Willi Weber, heute eine Standesbeamtin mit Ilona-Christen-Gedächtnisbrille und kecker Kurzhaarfrisur.

Susan kann nur Superlativ

Die heutigen Kandidaten: Kerstin und Patrick arbeiten in der Tanz- und Fitnessbranche, sehen aus wie Models und gehen keinen Schritt ohne ihre kleinen, weißen Wuschelhunde Kayo und Leyla. Patrick im Dialekt: "Viele verstehen das nicht, wo uns auch kennen." Bei seiner Zukünftigen hat ihn zuerst der Hintern umgehauen: "Der war Bombe!"

Isabella und Jürgen sind sich zuerst in der Luft begegnet. Sie Stewardess, er Passagier. Keine Telefonnummern. Ein Wiedersehen gab es erst dank Online-Partnerbörse. "So romantisch!", säuselt Sideropoulos. Jürgen wird später erzählen, er habe sich "aus Langeweile bei der Singlebörse angemeldet", was Sideroupolus nicht weiter in ihrer Euphorie stört. Überhaupt: Susan kann nur Superlativ. Absolut! Die heimlich gefilmten Hochzeitsanträge? Spektakulär! Die Liebeserklärungen vor laufender Kamera? Unglaublich schön! Die Teamarbeit der Paare? Einfach unfassbar! Zu jedem Satz von Sideropoulos muss man sich eine Comicblase über ihrem Kopf mit drei fetten Ausrufezeichen denken. Bei so viel Begeisterung bleibt Mitmoderator Yared Dibaba nur die Rolle des freundlichen Taschentücherbereitstellers im Hintergrund.

Schöne Grüße an die Hunde

Am sympathischten kommen noch die jüngsten Kandidaten Serina und Jens rüber. "Das Besondere ist, dass sie durchgeknallt ist", sagt er über sie. Als schönstes Erlebnis nennen sie ihren ersten gemeinsamen Urlaub auf Mallorca, "auf den wir lange gespart haben". Da ist man das erste Mal ehrlich gerührt. Sie gewinnen die meisten der größtenteils langweiligen (Schlüssel in Kissen suchen) oder vorhersehbar frivolen Spiele (von einem lebenden Buffet naschen). Die Zuschauer im Studio geben Serinas schön schiefer Karaoke-Version von Silbermonds "Das Beste" zwar weniger Stimmen als Jürgens Klischee-Auftritt als "Prinz auf dem weißen Pferd", aber sie punkten mit Natürlichkeit: Serina zu Dibaba, als der sie während eines Spiels auffordert: "Vielleicht noch mal küssen, das soll ja manchmal helfen?" - "Nö, jetzt nicht."

Nachdem die Fitness-Models in 50 Metern Höhe in den Seilen hängend diverse Fragen rund um die Liebe falsch beantwortet haben, fliegen sie als Erste. Dibaba verabschiedet sie mit dem mitfühlenden Worten: "Schönen Gruß an Leyla und Kayo!" Das sind die Hunde. Es kommt der einzig wirklich spannende Moment der langatmigen Show: die Champagnerpyramide könnte auch bei "Schlag den Raab" funktionieren. Immer wieder zoomt die Kamera auf die Familien. Sie wenden sich mit schmerzverzerrter Miene ab, sobald ihr Angehöriger ein weiteres Sektglas aus dem wackligen Gebäude zieht. Wie lange wird es halten? Eine für künftige Eheleute nicht unwichtige Frage. Bei Serina kracht die Pyramide schließlich zusammen.

"Unfassbare 20.000 Euro"

Und so gewinnt das nervigste Paar. Isabella, die es keine Minute aushält, ohne ihr "Schatzi" zu küssen und zu knuddeln, springt ihn an wie eine liebestolle Gams. Der schmallippige Jürgen bedankt sich bei seiner Familie dafür, dass diese "die Tortur der Anreise" auf sich genommen hat. Jaha! Es ist ja allgemein bekannt, dass die Fahrt von Linz nach Köln ungefähr so anstrengend ist wie eine Etappe der Rallye Dakkar.

Der Gewinn: ein Auto, "ein absolutes Traumauto" natürlich, wenn es nach Sideropoulos geht. Und 20.000 Euro. Komischerweise nicht "unfassbare 20.000 Euro". Was bleibt: Nur weil eine emotional sehr leicht zu beeindruckende Moderatorin dauernd betont, wie toll und super und unglaublich alles ist, muss das noch lange nicht stimmen. Sollten die Quoten nicht anziehen, wird der Sender ganz schnell die Scheidung einreichen.

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