Die Medienkolumne Gutes Coaching, schlechtes Coaching

  • von Bernd Gäbler
Für nahezu jeden Lebensbereich bietet das Fernsehen Hilfe an, "Coaching-Formate" boomen: Egal, ob Schnitzelbuden zum Laufen gebracht, störrische Kinder zivilisiert oder arme Menschen aus der Schuldenfalle geführt werden - Hauptsache es werden Geschichten erzählt.

Wann ist Service altbacken?

Im Studio wird ein Experte befragt. Der erzählt etwas: wie man Fußpilz behandelt oder sich gesund ernährt. Das war gestern. Das ist altbacken. Statischer Service mit einem tiefen Graben zwischen Kennerschaft und Bedürftigem. Das Medium selbst soll ihn angeblich überbrücken. Der ein oder andere Traditionalist sitzt noch mit Block und Bleistift vor dem Bildschirm. Interaktion ist ein Fremdwort. Das ist das Ratgeber-Fernsehen von gestern: altbacken, als würde noch in schwarz-weiß gesendet.

Wann ist Service banal?

Als krasse Gegenbewegung und schrille Verjüngung der televisionären Dienstleistersparte traten alsbald die gängigen TV-Größen auf den Plan und boten allerlei Hilfsdienst an - mal als "Verona mit Herz", mal als "Vera nicht mehr nur am Mittag". Oft geben sie gar keine Tipps, sondern verschenken einfach etwas. Das Fernsehen als Wunschautomat. Hier lauert die Falle des Banalen. Den Veronas uns Veras sieht man an, was ihnen das allerliebste ist: Sich selbst ans Fernsehen zu verschenken. Von Herzen egal ist es, ob sie dabei Häuser einrichten, Familienzwist kitten oder Schulden tilgen. Zu offenkundig zeigt das Fernsehen, dass es den Service nur braucht, um sich selbst in Gang zu halten. Das trägt nicht auf Dauer.

Zur Person

Bernd Gäbler, geboren 1953 in Velbert/Rheinland, ist Publizist und Dozent für Journalistik. Er studierte Soziologie, Politologie, Geschichte und Pädagogik in Marburg. Bis 1997 arbeitete er beim WDR (u.a. "ZAK"), beim Hessischen Rundfunk ("Dienstags - das starke Stück der Woche"), bei VOX ("Sports-TV"), bei SAT.1 ("Schreinemakers live", "No Sports"), beim ARD-Presseclub und in der Fernseh-Chefredaktion des Hessischen Rundfunks. Bis zur Einstellung des Magazins leitete er das Medienressort der "Woche". Von 2001 bis Ende 2004 fungierte er als Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts in Marl.

Achtung: Choaching-Tsunami

Benutzt man für die hiesige Wirklichkeit ein geflügeltes Wort wie "Servicewüste Deutschland", so findet im Fernsehen das Gegenteil statt: fast schon ein Service-Tsunami. Eigentlich kann der Mensch ja auch immerzu Hilfe gebrauchen - von der Wiege bis zur Bahre, von "Laufen lernen für Anfänger" über "Schuhe zubinden leichtgemacht" bis zum "funeral-planner" ist alles denkbar. Aber es ist wie bei der Basis für einen guten Plot. Ein evidentes "Selber Atmen für jedermann" taugt nicht viel. Es kommt nicht allein auf das massenhafte Bedürfnis oder den "Stoff" an, sondern ernsthafte Konflikte müssen schon sein.

Gute Experten - gutes Coaching

Bereits seit drei Jahren - anfangs mit heftigen Anfeindungen über das Zurschaustellen ungezogener Kinder nebst anschließender Verbannung auf die Schweigetreppe - werkelt die zur "Super-Nanny" promovierte Katharina Saalfrank engagiert am Familienfrieden vornehmlich im unteren Drittel der Gesellschaft herum. Sterne-Koch Christian Rach hat sich mit dem ein oder anderen TV-Auftritt schon selber fast in "Teufels-Küche" gebracht. Jetzt hat er eine Mischung aus hart und herzlich gefunden und lebt als sonntäglicher "Restaurant-Tester" auf. Es ist zwar nicht jedermanns Problem, eine verlotterte Jägerstube wieder auf Kurs zu bringen, aber zusehen kann man gut.

Der Star aber ist Peter Zwegat. Im Hauptberuf ist er Schuldnerberater in Berlin-Friedrichshain. Er ist deshalb Star, weil man ihm zutraut, dass er dies gewiss nicht sein will. Mit buchhalterischer Akribie führt er seine Schützlinge streng heraus aus dem Schuldenloch. Wie ein echter Cowboy tut er Gutes nicht aus moralischen Gründen, sondern weil sein solides Handwerk es verlangt. Er ist nicht zu verwechseln mit Michael Requardt, der bereits einmal quer durch alle Sender tingelte: von Pro Sieben zum WDR ("Der große Finanzcheck") zu Dmax ("Moneycoach"), um jetzt endlich von RTL II eine Sendung seines Namens zu bekommen. Das wirkt eitel. Service aber hat selbstlos zu sein.

Die Dramaturgie

Jede gute Erzählung hat eine einleuchtende Handlung. Die Coaching-Geschichte handelt von tiefem Fall und zäher Auferstehung. Zunächst ist da ein gefallener, ein Bedürftiger, der einsieht: Ich brauche Hilfe. Dann zeigt die schonungslose Analyse: Die Lage ist noch viel schlimmer als geahnt. Aber Rettung naht. In einer Mischung aus Dialog und Oktroi, Diktat und Selbstveränderung werden mit dem Retter Tipps, Maßnahmen und notwendige Verhaltensänderungen erarbeitet. Schon geht es aufwärts, befolgt man diese nur.

Dann aber kommt der Rückschlag, das retardierende Element - sei es aus mangelnder Einsicht, aus Disziplinlosigkeit oder durch fremden Einfluss. Alles steht auf der Kippe. Die Erlösung kann scheitern. Es geht gut aus - aber längst ist nicht alles eitel Sonnenschein. Nur eine Basis ist gelegt - in Zukunft kommt es auf den Probanden selber an. Auch das ist bemerkenswert an der Neu-Inszenierung des TV-Coaching. Nicht um kurzatmigen TV-Zauber soll es gehen, sondern um "Hilfe zur Selbsthilfe", ja "Nachhaltigkeit".

Warum haben Coaching-Formate Erfolg?

Es geht nicht um Unterschichten-Fernsehen. Eher ist diese Art der Sendungen typisch für eine Gesellschaft, in der Angst vor sozialem Abstieg bis weit in die Mittelschichten gekrochen ist. Hier darf man mit Schauder in Abgründe eines verpfuschten Lebens schauen, aber weiß doch, dass Rettung naht. Abgrenzung ist möglich, aber trostlos ist die Lage eben zum Glück auch nicht. Nachbarschaftshilfe und kollegiale Solidarität mögen abnehmen, aber sogar wenn man ganz unten angekommen ist - so sagen diese Formate - gibt es Hoffnung. Sie bergen die Gefahr, den Abstieg nicht frühzeitig einzudämmen. Wer 8000 Euro Schulden hat, wird diese Summe sicher zurückzahlen müssen. Wer 80.000 Euro Schulden hat, kann hoffen, dass der Experte mit der Bank mindestens einen Vergleich ausdealt.

Die Juroren für den Deutschen Fernsehpreis haben in diesem Jahr eine spezielle Kategorie "Coaching-Formate" eingerichtet. Den Preis wird RTL holen.

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