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"Ich bin ein Star" Der Kampf gegen den Brechreiz

Dschungelcamp, Tag 2: Lorielle bekam bei ihrer Dschungelprüfung Penis-Cocktails serviert und musste ihren Würgereflex unterdrücken. Ganz ähnlich wie die Zuschauer, die sich zuvor schon in die RTL-Jubiläumsshow eingeschaltet hatten.
Von Mark Stöhr

RTL feierte sich gestern Abend im ersten Teil der großen Jubiläumsshow selbst. Und das standesgemäß: Ein Mann öffnete in einer Minute 65 Frauen den Büstenhalter. 70 wären zum Eintrag ins "Guinness-Buch der Rekorde" nötig gewesen. Waren es die Nerven? Nein, die Hände. Die waren noch zu kalt. Der Polarwinter kriecht selbst in die Plastikwelt der Kölner Kulissenbauer. Viele derer, die sich dort gestern auf der Couch mit sattem Grinsen breit machten, würde man gerne schwitzend und stinkend vor dem australischen Lagerfeuer sitzen sehen. Die Dieter Bohlens und Atze Schröders. Vornweg Moderator Oliver Geissen, diesen Duz-Roboter für jeden Anlass, der in seinem Fernsehleben noch nicht einen interessanten Satz gesagt hat. Man wünschte ihm eine Geburtstagstorte ins Gesicht, deren Crème aus dem Eigelb eines ranzigen Straußeneis angerührt worden ist.

Doch es ist leider nur dem Promi-Prekariat vorbehalten, sich vor den Augen der Nation zum Affen zu machen. Und das tat es auch am zweiten Tag mit heiligem Ernst. Die zehn Kandidaten haben die Vorgängerstaffeln genau studiert und wissen, was von ihnen erwartet wird. Giulia Siegel und Mausi Lugner lieferten sich ein ansehnliches Zickenscharmützel wegen eines ausgelaufenen Shampoo-Fläschchens und werden demnächst sicher öfter im Bikini auftauchen. Darin war Gundis Zámbó mehr als einmal zu bestaunen, die gute Camping-Fee mit der Stimme von Thekla Carola Wied. Michael Meziani duschte gar ganz ohne textilen Sichtschutz. Sein einziger nennenswerter Auftritt. Er blieb bislang den Nachweis schuldig, ob er überhaupt sprechen kann.

Nico Schwanz, der blonde Friseur aus Jena, hingegen zeigte sich außerordentlich geschäftstüchtig und trällerte auf der Schatzsuche den Titelsong seines demnächst erscheinenden Albums. Costa Cordalis hatte sich so vor fünf Jahren das eine oder andere Gesichtslifting finanziert. Damit kennt sich auch Ingrid van Bergen ganz gut aus, die mit der Austria-Lugner einen Dialekt-Diskurs von geradezu Beckettschen Ausmaßen führte. Van Bergen: "Ich versteh‘ kein Österreichisch." - Lugner: "Was hast du nicht verstanden?" - Van Bergen: "Weiß ich nicht, ich hab‘s ja nicht verstanden."

Lorielle London ("Ich habe in meinem Leben so oft versagt") strafte alle Skeptiker Lügen und schluckte in der Dschungelprüfung anstandslos einen geschredderten Känguru-Penis mit Milch. Zum Beweis streckte sie die Zunge ganz weit heraus wie eine Pornodarstellerin nach dem Cumshot. Diese Branche wird ihr hoffentlich auch nach endgültig vollendeter Weiblichkeit erspart bleiben. Ansonsten könnte ihr bestimmt Urwaldkollege Peter Bond mit Rat und Tat zur Seite stehen, der in seinem früheren Leben unter dem Pseudonym "Null Null Sex" schon so manche Nummer geschoben hat. Davon ist er im Camp jedoch meilenweit entfernt. Die meiste Zeit liegt er bräsig auf seinem Feldbett. Wahrscheinlich denkt er darüber nach, wie er seine Gage möglichst elegant an seinen Gläubigern vorbeibringt.

Man mag den Voyeurismus beklagen, man mag das alles für entwürdigend und hanebüchenen Quatsch halten: "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" ist trotzdem das Komischste, was RTL zur Zeit zu bieten hat. Die Show erinnert an die anarchischen Anfänge des Senders, als er noch aus der Luxemburger "Garage" sendete und den öffentlich-rechtlichen Platzhirschen bestenfalls ein müdes Stirnrunzeln abrang. Wie ehedem Hugo Egon Balder und Hella von Sinnen in "Alles nichts oder?!" führen Dirk Bach und Sonja Zietlow rotzfrech und erfrischend respektlos durchs Programm. Da hat Ingrid van Bergen, die wegen Totschlags bekanntlich fünf Jahre einsaß, "Erfahrung mit engen Räumen", Lorielle London ist "ein bisschen Pocahontas, und Brigitte Nielsen ist auch noch mit drin", Ingrid van Bergen "Bonnie im Kleid" und "Herr Ossi" alias Nico Schwanz "sucht das Glück". Wer immer den Beiden solche Kalauer in den Mund legt - er ist sein Geld wert. Und sie machen mit ihrem Spott auch vor dem eigenen Arbeitgeber nicht Halt, wenn sie sein "Näschen für innovatives Fernsehen" rühmen und sich fragen, warum die Show noch nicht auf Arte läuft. Wenn schon Trash, dann lustig.

Oliver "Hallo, ich grüße dich" Geissen, der Prototyp der Unterhaltungsbehörde, zu der RTL inzwischen geworden ist, wird das erst verstehen, wenn er irgendwann selbst an einer "Penis Colada" genippt hat. Die macht, wie wir seit gestern wissen, nur ein bisschen Verstopfung.

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