Nach politischem Tweet Die BBC setzt Gary Lineker ab – und fast alle Sportmoderatoren treten in den Streik

Gary Lineker verlässt am Samstag sein Haus in London.
Gary Lineker verlässt am Samstag sein Haus in London. Statt am Abend bei der BBC seine Sendung zu moderieren, schaut er sich die Partie des FC Chelsea live an.
© James Manning / DPA
Die Absetzung von Gary Lineker bei der BBC löst ein Erdbeben aus. Zahlreiche Moderatoren solidarisieren sich mit dem Sport-Moderator und weigern sich, für den Sender zu arbeiten. Doch nicht nur wegen der Absetzung steht die BBC in der Kritik.

"Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen immer die Deutschen" – Gary Linekers Zitat nach dem englischen Aus bei der Fußball-WM 1990 gegen den späteren Weltmeister Deutschland genießt auch nach 32 Jahren noch Kultstatus. Während das DFB-Team diesen Status bei den vergangenen beiden Weltmeisterschaften verspielt hat, geht es auch im englischen Fußball gerade drunter und drüber. Die Hauptperson in einem Drama, das für die BBC drastische Folgen hat: Gary Lineker.

Nach seinem Karriereende wurde der britische Star-Stürmer so etwas wie das Aushängeschild der BBC. Bereits seit 1999 präsentiert der mittlerweile 52-Jährige die Fußballsendung "Match of the Day". Das britische Pendant zur Sportschau ist auf der Insel eine Institution. Seit 59 Jahren werden in der Sendung Höhepunkte der höchsten britischen Liga und der Pokalwettbewerbe gezeigt, an diesem Wochenende aber gibt es ein Novum: Es gibt keinen Moderatoren für die Sendung. Am Freitagabend teilt die BBC mit, dass Gary Lineker vorerst von der Moderation beim Sender abgesetzt worden sei. 

Tweet von Gary Lineker empört BBC

Grund dafür war eine Äußerung des Moderators, die der Sender als "Verstoß gegen unsere Richtlinien" wertete. Lineker hatte am Dienstag scharfe Kritik an der Rhetorik der verschärften Migrationspolitik unter Premierminister Rishi Sunak und Innenministerin Suella Bravermann geübt. Die Sprache, mit der die konservative Regierung für ihre umstrittene Asylgesetzgebung werbe, sei "Deutschland in den 1930er Jahren nicht unähnlich", schrieb Lineker bei Twitter und löste bei der Regierung und konservativen Politikern einen Sturm der Entrüstung aus.

Drei Tage nach dem Tweet reagierte die BBC am Freitag und löste damit eine weitere Protestwelle aus – diesmal jedoch bei den eigenen Moderatoren und Fußballclubs im ganzen Land. Ian Wright, Linekers Co-Moderator, schrieb nach der Entscheidung in einem Tweet, dass er zwar die Moderation von "Match of the Day" liebe, er aus Solidarität mit Lineker am Samstag die Show nicht moderieren werde. Der Tweet sei die "perfekte Ablenkung" für die Regierung, mutmaßte Wright in dem Podcast "Wrighty’s House". "Er hat einen Tweet abgesetzt, in dem er die Regierung für alles kritisiert, was gerade passiert, wie die Probleme mit dem Menschenrechten. Für die Regierung ist dieser Tweet die perfekte Ablenkung, denn er wurde in den Medien zu der neuen Schlagzeile", sagte Wright und kritisierte ebenfalls die Regierung um Premierminister Sunak: "Sie haben einfach keine Empathie. Diejenigen, die am verletzlichsten sind, sind immer die, die leiden müssen. Und das startet schon mit Worten." Wright kündigte in dem Podcast, der vor der Bekanntmachung der BBC veröffentlicht wurde, bereits an, dass er nicht mehr moderieren werde, wenn Lineker abgesetzt würde. "Gary sollte auf seinen Plattformen sagen können, was er sagen möchte", so Wright.

Sportmoderatoren üben Solidarität

Am Samstag dann folgte ein wahres Erdbeben: Gleich mehrere Moderatoren der Fußball-Liveübertragungen im BBC Radio kündigten an, aus Protest und Solidarität mit Lineker heute nicht zu moderieren, am Mittag strich die BBC die Liveübertragungen aus dem Programm. Und auch im Fernsehen war der Sender genötigt, weitere Änderungen vorzunehmen. Mit "Football Focus" und "Final Score" musste die BBC am Mittag zwei weitere Sendungen kurzfristig aus dem Programm streichen, nachdem sich die Moderatoren Alex Scott und Jason Mohammad die Moderation verweigerten.

Die Protestwelle geht aber mittlerweile weit über den Sender hinaus. Jeremy Corbyn, langjähriger Vorsitzender der Labour Partei, verteidigte ebenfalls Lineker und monierte, dass die Debatte abgedriftet sei und sich nicht mehr auf "diese schändliche Gesetzgebung konzentriert, die am Montag verabschiedet werden soll". Die scheidende schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon erklärte, dass man die Entscheidung gegen Lineker nicht vertreten könne, selbst wenn sie die BBC als öffentlichen Sender gerne verteidigen würde. Die englische Fußballergewerkschaft PFA teilte am Samstag mit, sie unterstütze Spieler, die für die Sendungen der BBC keine Interviews mehr geben wollen. Drittligist Bristol Rovers verkündete derweil direkt auf Twitter einen Boykott der Interviews mit der BBC.

Scharf fiel auch die Kritik von Roger Mosey aus. Der langjährige Chef der BBC-Nachrichtenabteilung erklärte in mehreren Tweets, dass Lineker zwar gegen die Richtlinien verstoßen habe, die BBC in den vergangenen Jahren solche Verstöße aber nur selten geahndet habe. "Mit der Absetzung von Lineker als Moderator erweckt es den Eindruck, als gebe die BBC auf der einen Seite des Kulturkampfes auf", so Mosey. Dieser Eindruck verschärfe sich auch durch die Besetzung des Vorsitzenden. Richard Sharp, ein Unterstützer der Tory-Partei von Premierminister Sunak, müsse gehen, forderte Mosey: "Er hat die Glaubwürdigkeit der BBC beschädigt."

Die BBC steht aktuell nicht nur wegen Lineker in der Kritik. Bereits am Freitag berichtete der "Guardian", dass auch eine Naturdokumentation von Filmemacher Richard Attenborough gecancelt wurde, sie ist nur digital verfügbar. Weil diese von Naturzerstörung gehandelt habe, habe man einen Gegenschlag der Tory-Politiker und der rechten Presse gefürchtet, berichtet die Zeitung. Zuletzt berichteten mehrere britische Medien zudem über die Verbindungen des BBC-Vorsitzenden Richard Sharp du den Tories. So habe Sharp vor seiner Berufung in den Vorsitz 2021 dem damaligen britischen Premierminister Boris Johnson bei der Beschaffung eines Darlehens in Höhe von 800.000 Pfund (rund 900.000 Euro) geholfen.

Quellen: BBC, Guardian, Telegraph, dpa

PRODUKTE & TIPPS