TV-Kritik "Günther Jauch" Das Leid mit den Karteikarten

  • von Christoph Forsthoff
Ackermann trifft Cohn-Bendit: Was als hochbrisantes Duell Banker gegen Revoluzzer angekündigt war, zerfledderte zur unstrukturierten Fragestunde.

Ja, es ist schon eine Crux mit den Karteikarten: Hält sich der Moderator allzu sehr an den kleinen Stichwort- und Fragezetteln fest, gerät ihm leicht der rote Faden aus dem Blick. Hat er sie nicht zur Hand, fehlt ihm womöglich das richtige Stichwort oder die passende Frage. Richtig unangenehm wird es allerdings, wenn trotz der kartonierten Helfer die Diskussion durch Abend und Themen mäandert wie jetzt bei Günther Jauch.

Offenbar hatte dessen Redaktion drei Tage zuvor das anregende Talk-Plädoyer für Europa von Bundespräsident Joachim Gauck und Altkanzler Helmut Schmidt bei Maybrit Illner verfolgt. Denn nachdem sich die Kollegin erfolgreich auf ein Gespräch mit nur zwei Gästen beschränkt hatte, saß sich nun auch im Gasometer lediglich ein Duo zum Thema "Der Euro und Europa" gegenüber - und doch lagen Welten zwischen den beiden Runden. Nicht nur, weil hier Josef Ackermann auf Daniel Cohn-Bendit traf, sondern vor allem, da das Ganze (wieder einmal) mehr zur Abfragestunde denn zu einer Diskussion geriet, angerissene heikle Punkte nicht vertieft und stattdessen Klischees bedient wurden.

Politik erhält den Schwarzen Peter

Reißerisch als Duell "Banker trifft Revoluzzer" aufgemacht - was streng genommen weder Ackermann als Verwaltungsratspräsident des Versicherungskonzerns Zurich Insurance Group mehr ist, noch Cohn-Bendit als Europaabgeordneter der Grünen - offenbarten sich doch die größten Unterschiede in der Differenziertheit der Betrachtungen. Während der Politiker die vor Kurzem vom SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück erhobene Forderung nach einer Trennung in Geschäfts- und Investmentbanken pauschal übernahm, wies der Finanzmanager auf die Nachteile im globalen Bankengeschäft hin, wenn Deutschland dies allein einführen würde. Und wo Cohn-Bendit das einst von Ackermann als Chef der Deutschen Bank ausgegebene Renditeziel von 25 Prozent als maßlos anprangerte, erklärte ihm dieser nicht nur, dass seine Nachfolger bei genauer Betrachtung genau den gleichen Profit erwirtschaften wollten, sondern dass in Deutschland auch "viele Unternehmen im Mittelstand mehr als 30 Prozent" verdienten.

Hätte hier nun noch ein (weiterer) Wirtschaftsfachmann auf dem Podium gesessen, vielleicht hätte sich dann mehr Durchblick in die aufgestellten Behauptungen bringen lassen - stattdessen wechselte Jauch den Blickwinkel und kam auf die moralisch-ethische Komponente von Banker-Handlungen zu sprechen. Und ließ doch Ackermann leichtes Spiel, der nicht nur feststellen konnte, "wir haben bis jetzt nur ganz wenige Rechtsfälle verloren", sondern vor allem auf die Politik verwies: Diese müsse "die Rahmenbedingungen festlegen" -"kein Unternehmen kann sich darüber hinwegsetzen". Ein Argument, dem sich hätte leicht entgegensetzen lassen, dass eben diese Wirtschaft bei jeder in Erwägung gezogenen nationalen Beschränkung mit Verweis auf den internationalen Wettbewerb aufschreit. Doch der Moderator beschäftigte sich lieber mit der Frage nach "unmoralischen" Gehaltshöhen und der Neiddebatte in der Gesellschaft. Um dann Cohn-Bendit dessen Sohn vorzuhalten, der Investmentbanker werden und "schnell Geld verdienen will" oder Ackermann mit einem Tipp für Deutsche Bank-Aktien aus dem Jahr 2007 zu konfrontieren: Seither habe das Papier zwei Drittel seines Wertes verloren…

Sprunghafte Gesprächsführung

Dass bei solch sprunghafter Gesprächsführung und Aneinanderreihung von Fragen nur wenig Substanzielles und Nachdenkenswertes herauskommen kann, verwundert nicht. Doch immerhin ward zumindest die Führungsrolle deutlich, in der Ackermann Deutschland und die Bundesregierung sieht, wie auch der drohende Verlust des sozialen Zusammenhalts in Europa: "Es kann doch nicht sein, dass in diesem reichen Europa die Menschen wieder anfangen zu hungern", entrüstete sich Cohn-Bendit mit Blick auf Griechenland und Spanien. Doch Jauch widmete sich lieber noch einmal dessen alten Motto: "Trau' keinem über 30" stand wohl so auf seiner Karteikarte.

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