Wer hat's erfunden? Genau! Die Schweizer bringen seit 2008 zu jeder WM und EM ein Fußball-Stickeralbum heraus, das eine gezeichnete Alternative (für Menschen mit ausgeprägter Sammelleidenschaft auch eine Ergänzung) zum Klassiker von Panini ist: das Tschuttiheftli. Bei dem Namen kommt über den Ursprung kein Zweifel auf, "heftli" deutet es schon an und "tschuute" ist Schweizerdeutsch für Fußball spielen. Seit 2012 ist das Tschuttiheftli in Deutschland erhältlich, in diesem Jahr zum ersten Mal auch in Österreich. Es kam einfach zu gut an, um in der Schweiz zu bleiben.
Schon ein erster Blick auf die Porträts im Characterdesign reicht, um schlagartig die normalen, fotografierten Fußballbilder langweilig zu finden, die einen bis an die Supermarktkassen verfolgen. Der individuelle Stil des Zeichner trifft viel genauer, dass es bei der EM um internationale Begegnungen geht: Die rumänische Mannschaft etwa ist mit Dracula-Zähnen ausgestattet, die spanische wurde von ihrem Illustrator geradezu abgeknutscht.
Feine Sache
Hinter den Tschuttiheftli steckt ein kleiner Verein, der 2008 gegründet wurde und seit 2015 aus elf Mitgliedern besteht. Das Team arbeitet ehrenamtlich, lediglich für die Projektleitung wurde eine 20-Prozent-Stelle geschaffen. Silvan Glanzmann, einer der Mitinitiatoren, erzählte dem stern, nach welchen Kriterien die Künstler ausgesucht werden: "Seit dem Album zur WM 2014 finden offene Ausschreibungen statt. Bei der Auswahl der Einreichungen entscheiden die Qualität, die Originalität der Idee und ob man sich vorstellen kann, dass die Gestaltung auch bei einer ganzen Mannschaft funktioniert. Dazu kommen natürlich persönliche gestalterische Vorlieben."
Kommerzielle Aspekte und Gewinnorientierung spielen bei dem Projekt keine Rolle. "Natürlich wollen wir am Schluss nicht drauflegen, außer die Arbeit, die wir investieren", so Glanzmann. "Die Künstler erhalten eine Aufwandsentschädigung, die durch ein Crowdfunding und eine Beteiligung an einem allfälligen Gewinn zustande kommt. Der Rest eines Gewinns wird für kulturelle Projekte und die Produktion des nächsten Albums verwendet." Selbst ein "All Stars"-Frauenteam ist im Heft vertreten, "weil wir finden, dass Frauenfußball auch zur Fußballkultur gehört, dort aber einen noch zu kleinen Stellenwert genießt", sagt Glanzmann.
Der stern hat mit einer der Illustratorinnen gesprochen, die von der Jury ausgewählt worden ist: Die Hamburger Grafikerin Sabine Puigmarti durfte für die EM 2016 die türkische Mannschaft zeichnen.
Wann hast du zum ersten Mal von Tschuttiheftli gehört?
Ich habe durch den Wettbewerb zum ersten Mal davon erfahren. Ich habe das gesehen, mir die Bedingungen durchgelesen und gedacht, das ist eigentlich cool. Dann habe ich mir das Heft zur WM 2014 angeguckt und gedacht: Das ist supercool!! Ich will das auch machen!
Wie ging es weiter?
Man musste bis zu einem bestimmten Datum Zinédine Zidane porträtieren.
2014 war es Pelé.
Genau, immer ein Fußballer aus dem Land, wo die WM oder EM stattfindet. Ich habe also eine Illustration gemacht, abgeschickt und abgewartet. Ich konnte überhaupt nicht abschätzen, wie gut meine Chancen sind. Es gab eine Jury, in der sich jedes Mitglied drei Illustrationen aussuchen und einen ersten, zweiten, dritten Platz vergeben konnte. So kamen die 24 Leute zusammen, die die Teams gestaltet haben.
Nun wird's persönlich: Bist du Fußballfan?
Geht so. Ich müsste jetzt lügen, wenn ich sagen würde, ich wäre Expertin. Meine Familie kommt aus Chile, deswegen habe ich früher für Chile mitgefiebert. Ich finde es zwar ganz schrecklich, wenn man sagt: Ich guck' zur WM und EM und finde das ganz toll und Public Viewing und so – aber ansonsten interessiert mich Fußball überhaupt nicht. Aber es ist halt so.
Für die EM 2012 hat ein damals Elfjähriger das französische Team gezeichnet.
Ja, das ist das Coole an dem Wettbewerb, dass die Jury nicht vorher guckt, was man alles schon gemacht hat, sondern absolute Chancengleichheit herrscht, egal wie alt man ist oder was man beruflich macht. Das ist so toll, weil es so selten ist. Ich komme aus der Branche und da ist man manchmal schon ein bisschen desillusioniert. Da tut die Herzlichkeit und Leidenschaft für so ein Projekt richtig gut.
Wie ist es dazu gekommen, dass du die türkische Mannschaft gezeichnet hast?
Diejenigen, die in der Jury den ersten Platz gemacht hatten, durften sich ihr Team aussuchen, alle anderen haben eine Liste bekommen mit den Ländern, die noch übrig sind. Man konnte eine Top-3 angeben und da war bei mir die Türkei dabei.
Was war die Idee hinter deinem Zeichenstil?
Ich wollte die Entschlossenheit beim Sport zeigen, die Konzentration kurz vorm Spiel. Wenn man weiß, jetzt wird's ernst. Man will was erreichen und muss jetzt cojones zeigen. Deswegen habe ich nach ganz starken Gesichtsausdrücken gesucht, als ich recherchiert und Bilder gesucht habe.
Wie hast du recherchiert?
Ich habe mir Spielausschnitte anguckt, um zu sehen, wie die Person sich verhält, zum Beispiel, wer aggressiv und wer ruhig spielt. Parallel habe ich nach Bildern gesucht. Bei einigen war es ganz schwierig, einen entschlossenen, starken Gesichtsausdruck zu finden und bei anderen war es super easy.
Findest du, neben deiner eigenen, eine Mannschaft besonders toll umgesetzt?
Ja, sogar mehrere. Ich finde die Schweiz besonders gut, England ist toll, Russland gefällt mir mega gut, Wales ist toll, Deutschland finde ich auch schön, aber da habe ich etwas länger gebraucht und dann gefiel es mir immer besser. Spanien ist sehr lustig und sympathisch und Irland ist auch richtig geil.
Wie lange hast du für alle Zeichnungen gebraucht?
So richtig intensiv habe ich zwei, drei Wochen daran gearbeitet.
Sammelst du selbst?
Ja.
Tauschst du?
Klar!
An dieser Stelle musste das Interview leider abgebrochen werden, es gab Wichtigeres zu tun ...