"Schreiben ist ein Weg, nach Freiheit zu streben", sagte der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu einmal. Zeitlebens hat der in seiner Heimat verfemte Autor mutig um diese Freiheit gekämpft, bis er im vergangenen Jahr zermürbt nach Deutschland ins Exil ging. Hier hat er eine große Fangemeinde, seit 2009 sein Buch "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser" erschien.
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels zeichnet den 54-Jährigen am Sonntag mit dem renommierten Friedenspreis aus. Und ehrt damit, wie es in der Begründung heißt, "einen Schriftsteller, der sprachmächtig und unerschrocken gegen die politische Unterdrückung aufbegehrt und den Entrechteten seines Landes eine weithin hörbare Stimme verleiht."
Er sehe den Preis als eine besondere Verpflichtung, sich gegen Unterdrückung und Gewalt zu stellen, sagte Liao kürzlich in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. "Seit ich von der Entscheidung der Jury weiß, habe ich mich bei vielen Veranstaltungen und mit vielen Appellen für die Freiheit anderer eingesetzt.
Schreibverbot, Haft und Selbstmordversuche
Anders als der neue Literaturnobelpreisträger Mo Yan, den Liao einen "Staatsautor" nennt, kam er selbst schon früh mit dem autoritären System in Konflikt. Am 4. August 1958 in Chengdu in der Provinz Sichuan geboren und bitterarm aufgewachsen, galt er zwar zunächst als ungewöhnlich talentiert. Mit seinen wortgewaltigen Gedichten erhielt er zahlreiche Auszeichnungen.
Doch seine unverhohlene Hoffnung auf eine "offene Gesellschaft" bringt den jungen Autor bei den Behörden bald in Verruf. Immer wieder erhält er Schreibverbot. 1987 wird er auf die "Schwarze Liste" gesetzt. Der endgültige Schlag folgt, als er unmittelbar vor der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 die Geschehnisse in seinem Gedicht "Massaker" vorwegnimmt.
Liao wird zu vier Jahren Haft verurteilt, seine dunkelste Erfahrung überhaupt. Zwei Mal versucht er, sich das Leben zu nehmen. Als er freikommt, ist seine Existenz zerstört. Seine Frau hat ihn mit dem gemeinsamen Kind verlassen, die Freunde wollen nichts mehr von ihm wissen. Er muss sich als Straßenmusiker und Gelegenheitsarbeiter durchschlagen.
Flucht ins Exil nach Deutschland
Sein Buch "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser" darf bald nach Erscheinen 1998 in China nicht mehr verkauft werden, in Deutschland kommt es 2009 auf den Markt. In Interviews mit Bettlern, Dieben, Wahrsagern, Homosexuellen, Dissidenten und anderen "Menschen vom unteren Rand der Gesellschaft" zeichnet er ein bedrückendes Porträt seines Landes - "die eigentliche Kulturgeschichte Chinas", wie Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller befand.
14 Mal bemüht sich Liao in der Folge um eine Ausreisegenehmigung - jedesmal versagen die Behörden die Erlaubnis. Sogar an der Frankfurter Buchmesse 2009, bei der China Ehrengast ist, darf er nicht teilnehmen. Erst nachdem er Bundeskanzlerin Angela Merkel um Hilfe gebeten hat, kann er 2010 erstmals für sechs Wochen ausreisen.
Um endlich sein Buch "Für ein Lied und hundert Lieder" veröffentlichen zu können, verlässt er im Juli 2011 seine Heimat schließlich ganz - er setzt sich über Vietnam nach Deutschland ab. Dreimal hat er diese Erinnerungen an seine Gefängniszeit schreiben müssen, zweimal wurde ihm das Manuskript einfach weggenommen. Zuletzt hatte er Todesdrohungen bekommen, sollte es im Ausland erscheinen.
Neues Werk "Die Kugel und das Opium"
Inzwischen lebt der kleine Mann mit dem immer noch kahlgeschorenen Kopf und den tieftraurigen Augen in Berlin. Er ist viel auf Lesereisen unterwegs, oft ist seine Seelenverwandte Herta Müller an der Seite. Zur Buchmesse erschien sein neues Werk "Die Kugel und das Opium", für das er noch in China jahrelang heimlich Interviews mit Augenzeugen des Tian'anmen-Massakers führte.
Hoffnung auf eine Rückkehr in seine Heimat hat Liao nicht. "Ich habe mehr als ein halbes Jahrhundert in diesem Land verbracht und kenne dieses Regime von Grund auf", sagte er der dpa. "Da gibt es nichts zu hoffen."