Ein ganz einfacher Test: Stellen Sie sich dieses Video, das die Hochzeit von Kate und William als Houseparty veralbert, mit dem jungen Prinz Charles und vor allem mit der gerade zart erblühenden Diana vor. Und? Geht nicht, oder? Wäre angesichts der acht Meter langen Schleppe aus perlenbesticktem, elfenbeinfarbenem Satin auch schwierig geworden. Aber Spaß beiseite. Warum fühlt sich die anstehende Hochzeit im britischen Königshaus so anders an? Warum vergeht kein Tag, an dem nicht ein neuer Merchandise-Scherz auftaucht, von der Pizza mit Kate-and-Will-Belag bis zur königlichen Kotztüte? Warum scheint das Märchen vorbei, bevor es überhaupt angefangen hat? Was ist los mit uns?
Ausnahmsweise sind es nicht wir, sondern vor allem die Royals selbst, die für die Entzauberung gesorgt haben.
Unschuld, Schönheit, Betrug und Tod
Erinnern wir uns an das Jahr 1981: Kate Middleton ist noch nicht geboren. Smartphones gibt es nicht. Der modernste Computer sieht so aus, das Internet ist noch Militärsache. Muhammad Ali kämpft seinen letzten Kampf. In Los Angeles gründet sich eine Band namens Metallica. Ronald Reagan wird US-Präsident, und der Kalte Krieg ist ganz real. Da steht ein junges Mädchen mit schüchternem Blick im Gegenlicht, das ihren Rock durchscheinend macht - was damals übrigens ein Skandal war - und soll plötzlich Prinzessin werden. Eine kaum 20-jährige Unschuld mit rosigen Wangen, die Kinder und Kuchen mag, soll Prince Charles ehelichen, soll die Ginger Rogers zu seinem Fred Astaire sein. Sie gibt ihm Sexappeal, er ihr Klasse. Auch wenn das damals niemand so gesagt hätte.
Und dann, am 29. Juli, sehen weltweit rund 750 Millionen Menschen dabei zu, wie sie einander in der Londoner St. Pauls Kathedrale das Ja-Wort geben. Höhepunkt eines Cinderella-Märchens. Die Unschuld wird gekrönt. Die Königin der Herzen ist geboren.
Doch wurde aus diesem Märchen, das Walt Disney nicht besser hätte zeichnen können - samt Prinzen-Segelohren und Megakleid - bald ein beachtliches Drama zum Thema Betrug: Die royalen Fabelwesen gingen fremd, und in der zunehmend auch medial globalisierten Welt passierte das öffentlicher als je zuvor. Der Zuschauer, ob interessiert oder nicht, erfuhr mehr aus den königlichen Gemächern, als er je wissen wollte. So wurde es auch ein Betrug an denen, die an das Märchen glauben wollten. Sogar die völlig tristreale weltliche Scheidung fand statt. Ein weiterer Sargnagel der Monarchie - die Queen hat es immer gewusst. Und dann, als tragischer Schlusspunkt, der Tod Lady Dianas in einem Autowrack an der Seite ihres neuen Freundes Dodi Al Fayed, auf der Flucht vor Paparazzi. Träume platzen zu weit geringeren Anlässen.
Geplatzte Träume
Und nun also die Neuauflage. Das Comeback. Der Abstecher ins Märchenland, der Abflug in die Traumwelt, um wenigstens mal kurz zu vergessen, dass anderswo Reaktoren brennen, Diktatoren ihr Volk zusammenschießen, die Spuren von Kindermördern gelesen werden und Großbritannien ein weiteres Afghanistan in Libyen fürchten muss. Wozu sonst ist das ganze steuerfinanzierte Spektakel gut?
Doch auch wenn Will und Kate mit allem Pomp und Täterä am kommenden Freitag im Westminster Abbey heiraten werden; wenn die herausgeputzten Pferde trappeln und die poliertem Krönchen funkeln, ist der Cinderella-Traum doch ein für alle mal vorbei. Und das liegt nicht nur am traurigen Schicksal von Lady Diana, sondern auch daran, dass Kate Middleton nicht zur Cinderella taugt, nicht zur Cinderella taugen will.
Middleton ist von der Unschuldsaura einer jungen Diana so weit entfernt wie das Commonwealth Australien vom gutbürgerlichen Elternhaus in Bucklebury. Kate ist pragmatisch, nicht schüchtern. Sie ist eine Frau von 29 Jahren, die acht Jahre lang Zeit hatte, um die Vorzüge und Macken ihres Gatten in spe zu studieren. "Diese Beziehung ist kein Märchen. Das ist eine Geschichte über eine lange Zeit, die auch mit Trennungen verbunden war. Hier kommt eine moderne Ehe zustande", befindet so auch Adelsexperte Rolf Seelmann-Eggebert im Interview mit der "Nordwestzeitung". Middleton hat studiert, Partys gefeiert, verschiedene Jungs ausprobiert. Damit ist sie tatsächlich ein bisschen wie wir. Oder wie ein Hochzeitshype-Skeptiker es geradeheraus formulierte: "Sie ist einfach nicht blond genug."
Wenigstens kann Kate später nicht behaupten, sie habe nicht gewusst, auf was sie sich einlässt. Wir wissen es nur zu gut - und träumen vorsichtiger.