Man kann verdammt lange auf ihrem Gesicht herumschauen und findet nichts, was dem Vater ähnelt. Sie wird nie diesen Hundeblick bekommen, den er heute hat, dazu sind ihre Augen zu groß und zu wasserblau. Und ihr Mund wird sich auch nie zu dieser gewissen Traurigkeit verziehen, mit der er »Yesterday« sang. Dazu ist ihr Gesicht zu rund und zu sehr in Betrieb. Dass man ihr den Vater Paul McCartney nirgendwo ansieht, möchte Stella nicht diskutieren. Sie mag seine Musik, ein paar alte Sachen jedenfalls, die sie immer wieder auf ihren Schauen einspielt: »Aber die Musik würde ich auch mögen, wenn er nicht der berühmte Musiker wäre.«
Subtiler Sinn für Sex
Die biografischen Spuren des Beatles-Kindes muss man bei Stella McCartney ganz woanders suchen. In dem dicken, grob gestrickten Kaschmirpullover zum Beispiel, in dem sie manchmal versinkt und unter dem sie, wie sie sagt, keinen BH trägt. Und auch in der Seidenbluse, die sie einem zeigt, und dabei punktgenau auf die Stelle deutet, wo der Knopf sitzen muss, »damit er den Busen betont«. Es ist dieser subtile Sinn für Sex, der sich durch ihre Arbeit zieht und der ihr Leben in Widersprüchen beschreibt. Sie erzählt von einer Freundin, die sich eines der ersten Stella-Kleider auslieh. Als sie es zurückbrachte, fragte sie, ob Stella irgendwelche Duftstoffe darauf gesprüht habe. Auf der Straße hätten ihr alle Männer nachgepfiffen. Kaum zu Haus, sei ihr Freund noch im Hausflur über sie hergefallen. »Ich glaube nicht, dass es meine Mode war, die das auslöste, sondern eher meine Freundin und wie sie sich in dem Kleid fühlte«, sagt Stella McCartney. Die Grammatik der Erotik hat sie intensiv studiert: »Männer mögen es, wenn Frauen Männeranzüge tragen, sie lieben es, wenn eine Frau etwas anhat, das sie verstehen. Man sollte den Anzug vielleicht nicht beim ersten Rendezvous anziehen, aber beim zweiten ist er ein erotisches Signal.«
Signale. Es ist die Zeichensprache, mit der Stella McCartney in ihren Kollektionen etwas erzählt. Geboren 1971, ein Jahr nach dem Ende der Beatles, wuchs sie im Stil-Dschungel ihrer Eltern Paul und Linda auf, in dem es schwer war, eine Orientierung zu finden. Es war ein Leben voller Gegensätze - morgens in die staatliche Schule, danach ein abgeschirmtes Leben hinter den elektrischen Zäunen der Familien-Farm in East Sussex. Dort die Schränke voll von Paul McCartneys geschichtsschwerer Beatles-Garderobe - die Sgt.-Pepper-Uniform, indische Gewänder, bunte Pop-Hemden - und Mutter Linda als Rock'n'Roll-Fotografin in Blümchenkleidern und Working Boots. »Meine Mutter hatte keinen eindeutigen Look, sie trug Hot Pants zu Cowboystiefeln und darüber eine maßgeschneiderte Jacke. Sie hatte diesen sicheren Griff, Sack und Seide zu kombinieren, der mich bis heute prägt«, sagt Stella.
Mode als Sex zum Anziehen
Später verbrachte sie viel Zeit bei ihrem Großvater, dem US-Anwalt Lee Eastman. An ihm bewunderte sie die strenge, klassische Garderobe, deren männliche Eleganz sie anzog. »Ich habe später zahllose Anzüge und Hemden mit geknöpften Kragen nach diesem Vorbild geschneidert.« Ein Stilprinzip, das die Modestudentin in ihrer Lehrzeit bei den Herrenschneidern an der Londoner Saville Row entdeckte: »Ich war neugierig, wie die durch und durch maskulinen Stoffe an Frauen wirken. Das Wichtigste, was ich von dort mitgenommen habe, war das Gefühl für die Form der Kleider und des Körpers, der ihn trägt.« Sie fing an, Herrenanzüge enger und femininer zu machen, was den Frauen gefiel, weil die spürten, dass es Männern gefiel. Vorspiel, Mode als Sex zum Anziehen.
Und ein Konzept für eine Karriere. Mit 15 ihr erstes Praktikum bei Christian Lacroix in Paris, danach die renommierte Londoner »Central St. Martin's School of Art and Design«, dann die Saville Row, 1995 die erste eigene Modenschau in London mit Kate Moss und Naomi Campbell als Models, die laut Gerüchten von Vater Paul bezahlt wurden, der seiner Tochter zum Debüt auch gleich den Song »Stella May« schrieb.1997 übernahm Stella von Karl Lagerfeld das Design der damals im Blümeranten dösenden Marke Chloé - und natürlich gab es viele, die sagten, ihr habe dabei der Name McCartney mehr als geholfen. Heute sagt sie, der Name sei ebenso Last wie Nutzen gewesen: »Die Menschen beurteilen dich, bevor du ihnen zeigen kannst, wer du bist und was du kannst.«
Schon ihre erste Kollektion für Chloé wirkte auf dem Laufsteg wie ein Befreiungsschlag - T-Shirts mit Botschaften, Risse in teurer Seide, obszöne Motive, nabeltiefe Ausschnitte - designter Krawall. Die Mädchenklasse des Pop hatte in Stella einen neuen Darling: Madonna kam zu den Schauen, Liv Tyler und Gwyneth Paltrow saßen in der ersten Reihe. Chloé verfünffachte seine Umsätze und wurde wieder eine Marke, über die man sprach.
Röcke und Hemden im Rotzlöffel-Chic
Das hedonistische Spiel, teuren Cashmere zu zerreißen oder Seidenhemden mit »Fuck« zu bedrucken, hatten andere schon lange vor Stella McCartney strapaziert, und man mag auch die Frage stellen, wie sinnvoll der Rotzlöffel-Chic in 3000 Euro teuren Röcken und Hemden ist. Stellas Kommentar klingt wie die Grübelei eines modischen Backfischs: »Es ist schade, dass meine Sachen so teuer sind. Ich habe einen Hang zu kleinen Extras wie künstliche Lebensspuren, die das Wichtigste an Kleidern sind. Sowie du ein Detail hinzufügst, verdoppelt sich der Preis. Wenn ich meine Entwürfe weniger teuer aussehen ließe, verdoppelt sich der Preis.« Es ist dieses Upper-Class-Stöhnen, dass es ein Vermögen koste, eine anständige kaputte Jeans zu finden.
Es schmerzt Stella McCartney heute, wie spurenlos ihre Jahre bei Chloé geblieben sind. Nach der Rückbesinnung auf ihre eigene Marke unter dem Dach von Gucci wurde ihr Posten bei Chloé einfach mit ihrer früheren Freundin und Assistentin Phoebe Philo besetzt - als ob den Stella-Stil jeder könne. Und sie muss auch das Gerede in London und Paris wegstecken, Gucci-Boss Domenico De Sole habe die Beatles-Tochter nur geholt, damit die ganze Hollywood-Bande dabeibleibe. Jedenfalls »hat Madonna bei mir noch nichts umsonst bekommen, im Gegenteil, ich hab ihr eine höhere Rechnung geschickt, als ich ihr Brautkleid machte, das niemand auf der Welt gesehen hat und nie sehen wird.« Auch Stella McCartney lebt von der schaulaufenden Prominenz. Sie war hot, und sie ist es auch noch, aber es gehört mehr dazu, in einer Klasse mit St. Laurent, Lagerfeld oder Armani zu stehen. Sie muss den kleinen Spott Giorgio Armanis hinnehmen, der sie vor einer Schau besucht, man küsst sich links und rechts, und dann schaut der Meister auf die Kleiderstangen und sagt: »Armani-Farben, wie schön.«
Kein Kommentar zur neuen Frau des Papa
Und wenn sie vor Journalisten sitzt, kommen die Fragen nach dem Vater. Wie sie es findet, dass er am Donnerstag nächster Woche das Ex-Model Heather Mills heiraten wird? Vier Jahre nach dem Tod der Mutter Linda, auf deren Pferd Stella heute noch ausreitet? Sie möchte das nicht kommentieren, »was immer ihn glücklich macht, ist mir recht«, dabei lacht sie dieses Lachen, bei dem sich der Mund verzieht und die Augen bleiben, wie sie sind. Sie kommt einem klein vor bei diesen Fragen. Klein und beinahe verzweifelt Persönlichkeit reklamierend.
So ganz hat sie ihre Rolle noch nicht gefunden. Will Chef sein und gleichzeitig Hippie. Der Charme, einfach jung, neu und ein bisschen unerhört zu sein, ist längst verflogen. Inzwischen hat Stella McCartney gelernt, dass die, die ihr Vorschuss und Vertrauen geben, Verkaufszahlen sehen wollen. »Nichts macht so viel Mühe, wie etwas zu entwerfen, das die Leute auch tragen wollen. Zu verkaufen ist die wahre Herausforderung für einen Designer. Ich kann in wenigen Minuten eine Kollektion skizzieren, die niemand anziehen will, über die man aber reden würde.«
Kritiker und Publikum waren bei ihrem Neustart vor einem halben Jahr nicht sehr amüsiert - genau am ersten Tag des Afghanistan-Feldzuges ließ Stella in einer martialischen Inszenierung Kleider mit sexistischen Sprüchen, schwarze Catsuits und einen langen weißen Mantel mit Peace-Zeichen auf dem Laufsteg zeigen. Diesem Auftritt fehlte genauso das Nachdenkliche wie dem von Stellas Vater Paul, der zur selben Zeit in New York mit dem schnell geschriebenen Protest-Schlager »Freedom« Überlebende des 11. September vollsang.
Politische Korrektheit als Familientradition
Bei beiden schimmerte die Moral früherer Familienjahre wieder durch, in denen die McCartneys die politische Korrektheit bis in jeden Nerv ihres Lebens praktizierten. Vor allem Linda McCartney erzog die Familie zu bedingungslosem Vegetariertum und zum Statement in jeder Alltagshandlung. Stella isst bis heute kein Fleisch und weigert sich kategorisch, Leder und echte Pelze zu verarbeiten. Zudem gehört sie zu den lautesten Gegnern der Fuchsjagd. Doch sie macht das alles nicht mit gelassener Selbstverständlichkeit, sondern mit der demonstrativen Anstrengung, mit der auch schon ihre Mutter den Gutmenschen predigte. Dennoch hat das Naserümpfen der Kritiker gewirkt, die neue Winterkollektion ist feinsinniger - silbrige Seidenparkas, Seidenblousons mit breiten Strickbündchen und Kreationen aus mehrlagigem Flanell.
Und der Rest vom Leben? Die durchfeierten Nächte mit Kate Moss und Gwyneth Paltrow? Stella winkt ab. »Keine Zeit mehr. Kaum ist die eine Schau gezeigt, sitze ich die Nächte an der nächsten Kollektion.« Sie spürt den Druck. Die englische Presse dichtete ihr ein lesbisches Verhältnis an, nur weil sie sich bei einer Schau mit Gwyneth Paltrow an den Händen hielt, »so ein Quatsch, das machen Mädchen immer«. Ihr Freund ist Alasdhair Willis, Verleger des »Wallpaper«-Magazins, aber jetzt wird Stella kategorisch: »Ich will darüber nicht sprechen. Über meine Freunde spreche ich mit niemandem, auch mit meinem Vater nicht.« Und zum ersten Mal erkennt man in Stellas Gesicht eine McCartney-Ähnlichkeit. Eine Linda-McCartney-Ähnlichkeit. »Ich denke jeden Tag an sie.«
Fotos: Greg Williams/ www.growbag.com