Tinder wird in diesem Jahr zehn Jahre alt. Der stern hat mit Menschen über ihre Erfahrungen mit Online-Dating gesprochen. Das hier ist die Geschichte von Lena, 33, die Dating-Plattform als "Symptom unserer verkorksten Generation" sieht, trotzdem aber immer wieder zu Tinder zurückkehrt.
Ich bin schon seit 2014 mit Unterbrechung auf Tinder unterwegs. Ich würde sagen, ich bin die klassische Userin, die von Tinder super frustriert ist, immer wieder die App löscht, dann monatelang Pause macht, um dann doch wieder zurückzukehren. Und grundsätzlich finde ich das Prinzip der Dating-Apps gar nicht schlecht. Gerade zur Zeit der Corona-Pandemie – wo hätte man denn auch jemanden kennenlernen sollen? Ich bin auch noch immer der festen Überzeugung, dass man online jemanden finden kann, der toll ist und zu einem passt.
Doch in mir verfestigt sich immer mehr der Gedanke, dass es umso schwieriger wird, je länger man auf Dating-Apps unterwegs ist. Schreitet die Zeit weiter voran, hat man doch immer mehr Erwartungen an sein Gegenüber. Und klar, jeder oder jede hat sein Päckchen zu tragen, aber man geht mit der Zeit immer weniger frei und locker ans Dating dran. Da gebe ich Tinder auch eine große Schuld. Ich kenne viele, die über die App ihre große Liebe gefunden und dann sogar geheiratet haben. Aber da war alles noch so neu. Heute gibt es in Sachen Dating-Apps ja fast schon ein Überangebot.
Tinder, "ein Symptom unserer verkorksten Generation"
Dabei denke ich, Tinder, Bumble und Co. sind für uns auch ein bisschen ein Symptom unserer verkorksten Generation. Tinder wird von vielen auch ausgenutzt, um das eigene Ego zu pushen. Wenn es einem gerade nicht gutgeht, dann öffnet man die App und holt sich ein paar Schmeicheleien ab. Ich nehme mich da selbst gar nicht aus, aber sehe auch, dass mein Selbstbewusstsein durch Tinder enorm gelitten hat.
Man sieht sich einfach immer mit Ablehnung konfrontiert und wenn man eh schon eine sensible Person ist, die aber wirklich auch was Ernsthaftes wie die große Liebe sucht, dann läuft man hier echt Gefahr, sehr oft enttäuscht zu werden. Dazu kommt, dass Tinder eine rein visuelle Plattform ist und noch sehr auf Anonymität ausgelegt ist. Andere Dating-Apps sind da schon bemüht, dass man auch den Charakter der Person fassen kann. Tinder ist ein reines "Zur-Schau-stellen", wie geil jemand aussieht. Weil danach werde ich bewertet. Ich vermute aber, Frauen sind da erfolgsverwöhnter als Männer und wenn sie viel Erfolg haben auf Tinder, dann sind es eben auch Arschlöcher. Mir ist durchaus bewusst, dass man nicht alle in eine Schublade stecken kann, das ist zumindest meine These.
Ich würde sagen, 80 Prozent meiner Dates liefen ganz gut. Aber Ghosting steht durch die Anonymität an der Tagesordnung. Wenn es beim Date mit XY nicht funkt, warum soll ich mir Mühe geben und dann noch ein zweites Date draus machen und die Person vielleicht näher kennenlernen? Das passt ja offensichtlich nicht. Kommt ja dann eh wieder die nächste um die Ecke – das habe ich auch tatsächlich schon mal als Feedback zu hören bekommen und ich würde sagen, dieses Verhalten hat mich auch ein wenig kaputt gemacht. Ich habe grundsätzlich Angst vor Ablehnung. Ich traue mich an viele Dinge gar nicht mehr ran. Entweder antworte ich übertrieben häufig oder ich antworte manchen Typen gar nicht, weil ich eh denke, der ghostet mich auch wieder. Weil ich mich dann lieber selbst schützen will.
Der Anruf zieht ihr den Boden unter den Füßen weg
Das schlimmste was mir in der Hinsicht passiert ist, war im November 2020. Deutschland befand sich mitten im Lockdown und ich verabredete mich mit einem Mann zum sonntäglichen Spazierengehen mit Glühwein. Wir schrieben schon eine Weile und er klang vielversprechend. Der Nachmittag war so ausgelassen, dass ich ihn dazu einlud, bei mir noch eine Kleinigkeit beim Lieferdienst zu bestellen und das Date noch nicht zu beenden. Als wir gerade essen wollten, rief mein Vater an und ich hatte instinktiv ein schlechtes Gefühl. Ich hatte tagsüber schon mit ihm telefoniert, was könnte er also von mir wollen? Ich entschuldigte mich und ging ans Telefon: Mein Vater eröffnete mir, dass mein Opa an den Folgen des Coronavirus gestorben sei. Es riss mir schlichtweg den Boden unter den Füßen weg.
Wie eine App das Singleleben revolutionierte

• Sean Rad, Justin Mateen und Jonathan Badeen (von links nach rechts) gründen Tinder in einer Start-Up-Werkstatt des Internetkonzerns IAC
• Die Dating-App verbreitet sich auf dem Campus der University of Southern California in Los Angeles
• Tinder kann im Apple-Store heruntergeladen werden
Bis zu diesem Tag waren noch alle meine Großeltern am Leben und dies war mein erster großer Verlust. Dazu hatten mein Opa und ich eine sehr enge Bindung zueinander. Ich brach sofort in Tränen aus, obwohl ein fremder Mensch anwesend war, aber das waren keine Gefühle, die ich hätte kontrollieren können. Ich bat mein Date, mich mal kurz in den Arm zu nehmen. Ich wusste einfach nicht, wohin mit mir. Den restlichen Abend brauchte ich dann aber auch für mich. Nachdem ich einige Telefonate mit meiner Familie geführt hatte, schrieb ich ihm und entschuldigte mich auch noch für meinen emotionalen Ausbruch – keine Antwort. Und auch zwei Tage später, als ich ihm noch mal schrieb, ignorierte er mich einfach weiter. Ich finde, er hätte mir wenigstens anstandshalber ein herzliches Beileid wünschen können. Auch wenn es für ihn nicht passte.
Aufgezeichnet von: Yasemin Kulen
Eine Hassliebe zu Tinder fühlt auch Nico. Für Männer hat die Dating-App in seinen Augen einige Vorteile. Trotzdem sieht er das Prinzip dahinter kritisch. Hier geht es zu seiner Geschichte.