Nico* nutzt Tinder schon fast so lange, wie es die App gibt. In diesem Jahr wird Tinder zehn Jahre alt. Aus diesem Anlass hat der stern mit Menschen über ihre Erfahrungen beim Online-Dating gesprochen. Einer davon ist Nico.
Tinder hat für mich als Mann Vorteile. Dates sind nicht bedrohlich. Ich muss niemandem vorher Bescheid geben, mit wem ich mich gerade treffe. Auf der anderen Seite richtet sich Tinder klar nach Angebot und Nachfrage und das Angebot an Männern ist viel größer. Ich gebe nicht viel preis von mir in meinem Profil und präsentiere mich eher glatt. Als ich professionelle Bilder hochgeladen habe, war das schon ernüchternd: Plötzlich hatte ich viel mehr Likes. Gleicher Text, gleicher Mensch, aber die Fotos sind dann doch das A und O.
Was mich stört: Ich habe den Eindruck, dass viele Frauen entertaint werden wollen. Da kommt oft nur ein "Hi" und es wird erwartet, dass ich als Mann performe und was möglichst Lustiges schreibe. Dieser Eroberungsgestus passt für mich nicht gerade zum Bild einer gleichberechtigten Beziehung, die ich mir wünsche.
Der Wunsch nach einer Art offiziellem Code-Wort, um Dates abzubrechen
Ich nutze Tinder seit 2014 on and off. Manchmal habe ich zwei Dates in der Woche. Das ist für manche gar nichts. Ich persönlich finde das viel. Phasenweise lösche ich die App auch mal für drei Monate, weil es gerade fester ist mit einer Person. Oder weil ich gerade einfach nicht will. Ich langweile mich dann aber doch irgendwie wieder hinein. Ein- oder zweimal habe ich Tinder Gold gebucht, das ist eines der Bezahl-Modelle, bei dem du sehen kannst, wer dir ein Like gegeben hat. Das ist monetarisiertes Dopamin. Ein ganz schneller Kick fürs Selbstwertgefühl.
Was ich an Tinder sehr schätze: der Umgang mit Rückweisung. Sowohl sie zu erfahren, als auch sie auszusprechen. Wenn man jemanden über Freunde kennenlernt, kann da sehr viel dranhängen. Bei Tinder habe ich gelernt, dass es nicht gleich furchtbar sein muss, wenn es einfach nicht passt. Ich würde mir trotzdem wünschen, dass es eine Art offizielles Code-Wort gibt, wenn man ein Date abbrechen will. Nach zehn Minuten wissen bereits beide Seiten, dass man sich nicht braucht. Zwei Stunden Kaffee trinken, können dann sehr lang sein.
Ich sehe Tinder als Service für eine Lebensphase
Neulich sagte mir eine Bekannte, ich hätte es gar nicht nötig, bei Tinder zu sein. Das war lieb gemeint, hat mich aber getroffen. Sie übersieht da ihr eigenes Privileg, finde ich. Wenn du eine hübsche Frau Mitte 20 bist, in 'ner WG wohnst und studierst, lernst du automatisch jeden Tag gefühlt 30 neue Leute kennen. Am Ende geht es vor allem darum, Menschen zu treffen. Ich wohne allein, ich bin für die Arbeit viel unterwegs und um mich rum sind alle in Beziehungen und kriegen Kinder. Da wird es echt schwierig, jemanden kennenzulernen. Und der Wunsch nach Nähe, Knutschen, Sex außerhalb einer Beziehung ist da, ist doch klar. Manche Menschen in Beziehungen kriegen nach drei Tagen räumlicher Trennung einen Rappel, aber urteilen über Singles, die Tinder nutzen? Das finde ich schon sehr unempathisch manchmal.
Ich sehe Tinder als Service für eine Lebensphase. Ich habe die Beobachtung gemacht, dass mir immer wieder die gleichen Profile angezeigt werden. Da ist Tinder für mich ein bisschen wie Busfahren. Man kennt sich nicht persönlich, aber sieht sich doch regelmäßig.
Wie eine App das Singleleben revolutionierte

• Sean Rad, Justin Mateen und Jonathan Badeen (von links nach rechts) gründen Tinder in einer Start-Up-Werkstatt des Internetkonzerns IAC
• Die Dating-App verbreitet sich auf dem Campus der University of Southern California in Los Angeles
• Tinder kann im Apple-Store heruntergeladen werden
In den vergangenen Wochen hat Tinder eine bedrückende Erfahrung mit sich gebracht. Plötzlich war der Krieg in meiner Dating-App. Mir wurden Ukrainerinnen angezeigt, die als Städte Kiew und Charkiw stehen hatten. Ich denke, dass sie nach Deutschland geflohen sind und die App noch aktiviert hatten, ohne es zu wissen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihnen der Sinn nach schlechten Dates bei schlechtem Kaffee steht, während zuhause Krieg ist. Wenn es zu einem Date käme, hätte ich Angst, die Situation irgendwie auszunutzen, obwohl ich das natürlich überhaupt nicht möchte. Der Gedanke überfordert mich. Was fragt man, wenn das Gegenüber gerade aus dem Krieg kommt?
*Name von der Redaktion geändert
Aufgezeichnet von Katharina Brenner-Meyer
Phillip hat auf Tinder eine feste Beziehung gefunden. Er uns Fiona haben inzwischen ein gemeinsames Tinder-Profil und halten zusammen nach Affären Ausschau. Hier geht es zu ihrer Geschichte.