MODEFARBE BRAUN Sinnlich, sündig, scharf

Eine »Sünde« nannte der Maler Auguste Renoir Die Farbe braun. »Très nice!« findet sie dagegen Fotograf Jean-Pierre Khazem, der die Modefarbe der Saison im Pariser Musée Bourdelle inszenierte.

Die Überraschung war groß. Als Restaurateure des Amsterdamer Rijksmuseums sich 1975 an die Reinigung von Rembrandts berühmter »Nachtwache« machten, stellten sie fest, dass der Holländer gar keine nächtliche Szene gemalt hatte - sondern eine Schützenparade am sonnenhellen Tage. Unter Fachleuten heißt das Bild heute »Die Schützenkompanie des Hauptmanns Frans Banning Cock«, und die als Hochburg des Braun geltende niederländische Barockmalerei gilt inzwischen als geradezu farbenfroh.

Rembrandt hat vermutlich nicht mehr Braun verpinselt als andere. Doch der Firnis, den er benutzte, dunkelte durch Lichteinfall stark nach, seine Pigmente schwärzten sich mit dem Alter. Durch Schaden wurden die Maler klug: Schatten werden schon lange mit Blau oder Violett gemalt; Auguste Renoir verdammte das Malen mit gewissen Brauntönen als »größte Sünde der Malerei«.

In der Modewelt spielen solche Vorbehalte derzeit keine Rolle. Braun wird die nächste Saison dominieren: Das ist klar, seit es auf manchen Laufstegen in Paris und Mailand aussah, als hielten Mitarbeiter des United Parcel Service ihr Jahrestreffen ab. Von Gucci und dem sonst so bunten Duo Dolce & Gabbana bis hin zu Alexander McQueen stehen die Zeichen auf Farbtöne mit Namen wie Sand, Pfeffer, Toast, Creme, Kitt, Kamel, Terracotta. »Wirklich stimulierend«, findet Donatella Versace, »sind warme Beigetöne.« Und dass Miuccia Prada ausnahmsweise mal nicht mit Mokka- oder Cognactönen arbeitete, hat Gründe: »Ich versuche, mich mit Farben wie Türkis anzufreunden, auch um mir meine Lieblingsfarben Militärgrün und Braun vom Leib zu halten.«

Ist Braun eigentlich eine Farbe?

Nicht wirklich. Es ist eine Mischung aus allen Farben. Die meisten Brauntöne enthalten Gelb, Rot, Blau und Schwarz, oft noch Weiß, doch Braun nimmt ihnen allen den Charakter. Braun ist das, was im Tuschkasten übrig ist, wenn Kinder ihn lustlos zuklappen.

Und genau darum eine beliebte Farbe in der Alltagsmode. Es ist unempfindlich gegen Schmutz, also ideal für Freizeitbekleidung - und perfekt als Beilage: Ein Gemisch aus allen Farben, so wird gern behauptet, müsse zu allen Farben und Gelegenheiten passen.

Es gibt aber auch ganz aktuelle Gründe für die Modefarbe Braun. Die Zeitläufte sind nicht eben erhebend - und Farbvorlieben gelten als Indikatoren für die Grundbefindlichkeit einer Gesellschaft. Wenn Menschen Ängste leiden, heißt es, ziehen sie sich ins Private zurück, schaf-fen sich Pantoffeln, Versicherungen und Haustiere an, tragen schwarze Kleider, graue und braune. Als der farbensüchtige Pariser Couturier Christian Lacroix im Sommer 1998 eine Saison lang in tiefer Schwarz- und Braundepression versank, führte er dies auf eine »nach innen gewandte Stimmung zurück«.

»Während blond die Aufmerksamkeit unweigerlich auf die Haare zieht, lenkt Braun den Blick ins Gesicht«, meint der Münchner Star-Friseur Gerhard Meir. Die anrüchige Blond-Ikone Madonna inszeniert sich seit der Geburt ihrer Tochter mit Hilfe brauner Haare als ernsthafte, vornehme Klasse-Frau. Umgekehrt galt für Modefotografen in der DDR: kein lebloses Braun, kein Schwarz! Heiterkeit, Lebensfreude sollten ihre Bilder ausstrahlen, das war offizielle Vorgabe der Kulturwächter; bunte Farben waren gewünscht, um den fahlen Alltag ebenso vergessen zu lassen wie die beigefarbenen Anzüge Erich Honeckers.

In der Bundesrepublik wiederum bekam die Polizei 1975 vom Modemacher Heinz Oestergaard neue Uniformen verpasst. Doch hartnäckig sprachen sich Polizeiverbände gegen die froschgrünen Röcke und strandbraunen Hosen aus, denn nicht nur missgünstigen Demonstranten fiel auf, dass die neuen Hosen bei Regenwetter aussahen, als seien sie gestrichen voll. Immerhin sind die Senfmännchen-Uniformen ein schöner Beweis dafür, dass jede Farbe, wenn man sie nur lang genug trägt, eines Tages wieder in Mode kommt.

Dennoch: Braun hat es nicht leicht.

Nur ein Prozent der Menschen nennen Braun als Lieblingsfarbe. Drei von vier Männern fanden einer Umfrage zufolge dunkelbraune Lippen und Lidschatten »zum Davonlaufen«, und sechs von zehn deutschen Männern würden lieber mit einer blonden als mit einer dunkelhaarigen Frau ins Bett gehen (Was sie vermutlich nicht wissen: Nur jede siebte Blondine ist echt).

Dabei ist das Verhältnis der Deutschen zu Braun nicht gerade konsequent. Kaum irgendwo ist der rustikale Wohnstil beliebter als hierzulande. In holzverkleideten Kneipen und dem Interieur deutscher Wohnzimmer hat Braun einen ebenso festen Platz wie in deutschen Geschichtsbüchern - obwohl Adolf Hitler (der seine geliebte Schäferhündin »Blondi« rief) in Landsberger Festungshaft saß, als Braun zur Parteifarbe seiner Nationalsozialisten gewählt wurde. Vermutlich bei einem Treffen zwischen Ernst Röhm, Hermann Göring und dem Freikorpsführer Gerhard Roßbach in Salzburg 1924 eigneten sich die Nazis das Braun an. Als es um die Frage der Uniformierung der SA ging, verwies Roßbach auf sein eigenes, khakifarbenes Hemd, Röhm soll geantwortet haben: »Das sieht gut aus!« Ende Februar 1925 wurde Braun offiziell zur Einheitsfarbe der NSDAP erhoben.

Die Liebe zum Braun wird erhellt durch etliche tiefenpsychologische Untersuchungen. Der »Klinische Lüscher-Test« etwa diagnostiziert: »Wird Braun unter die vier ersten Lieblingsfarben gewählt, besteht ein gesteigertes Bedürfnis nach Behaglichkeit und sinnlicher Befriedigung.« »Braun erdet sofort«, meint der Bielefelder Maler und Farbberater Götz Keitel. »Raus aus dem Stress und sinnlich erleben. Wer kurz vor dem Herzinfarkt steht, für den ist diese Farbe ideal.«

Womöglich folgt der aktuelle Siegeszug der Farbe Braun in der Mode einer Logik, die umfassender ist als jene, nach der Designer und sonstige Trendsetter ihre Geschmacksarbeit verrichten. Gerade erst haben zwei Astronomen der amerikanischen Johns Hopkins University den Durchschnittswert des Lichts von über 200000 Galaxien ermittelt. Was Karl Glazebrook and Ivan Baldry herausfanden: Die Farbe unseres Universums ist nicht, wie angenommen, ein blasses Türkis. Sie ist Beige-Braun.

Dirk van Versendaal, slle Fotos: Jean-Pierre Khazem;

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