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Nachruf auf Udo Jürgens Heiligtum im Bademantel

Udo Jürgens schafft es, den Tourismus in Griechenland um 30 Prozent zu steigern, für Willy Brand zu singen und zu einem Nationalheiligtum im Bademantel zu werden. Der Seelenerklärer wird fehlen.
Von Hannes Ross

Udo Jürgens hatte keine Angst vor dem Tod, aber er hatte Angst vor dem Sterben. "Es gibt ja tausend Arten zu sterben. Ganz und gar schreckliche. Ich kann nur hoffen, dass das Schicksal mit mir gnädig ist und sich das Leiden in Grenzen hält", sagte Udo Jürgens bei unserer letzten Begegnung vor drei Jahren. Damals war er bereits 77 Jahre alt, aber ein Leben ohne sein Klavier, seine Lieder, sein Publikum, den Applaus, das konnte er sich weiß Gott nicht vorstellen. Ihm grauste die Vorstellung der geistigen Vergreisung, wie er es nannte, und wenn er sich dann doch mal zwischen seinen unzähligen Konzerten für ein paar Wochen in sein Ferienhaus in Portugal zurückzog, dann eben nur, um in dieser selbstauferlegten Einsamkeit wieder auf neue Songideen zu kommen.

Udo Jürgens war ein Getriebener. Nur wer so ist, der kommt in seinem Leben auf mehr als 1000 selbst komponierte Songs, von denen viele wie "Griechischer Wein" oder "Siebzehn Jahr, blondes Haar" zu deutschen Hymnen wurden.

Erfülltes Leben voller Geld, Frauen und Gefühle

Wer auf das Leben von Udo Jürgens zurückblickt, der schaut auf ein sattes, erfülltes Leben. Geschätztes Vermögen: 120 Millionen Euro. Mehr als 100 Millionen verkaufte Platten. Zwei Ehen, vier Kinder, zwei davon unehelich, viele Affären mit sehr vielen, sehr jungen Frauen. Doch hinter den Zahlen und Boulevard-Skandalen steckt noch eine andere Geschichte. Udo Jürgens Leben erzählt die Geschichte eines Jungen, der klein und kränklich war, gehandicapt durch einen einseitigen Hörschaden, der durch die Prügel eines Nazi-Aufsehers in der Hitler-Jugend entstand. Jürgens selbst hielt sich für "ein hoffnungsloses Muttersöhnchen", und doch gelang es ihm, sich neu zu erfinden.

Durch die Kraft seiner Musik und sein übersprudelndes musikalisches Talent wurde er zum größten Popsänger der deutschen Nachkriegsgeschichte. Ein Gigant über Jahrzehnte.

"Ohne Musik wäre ich ein Niemand geworden"

Mit gerade mal 14 Jahren kam Jürgens, Sohn eines Landwirts, auf das musikalische Konservatorium in Klagenfurt. Er spielte Klavier, und schon damals spürte er, wie sich die Blicke seiner Zuhörer veränderten, gebannt waren von seinem virtuosen Spiel und seiner Stimme. "Ich wusste da, ich will niemals in meinen Leben etwas anderes machen. Denn ohne Musik wäre ich ein Niemand geworden."

Gegen den Willen seiner Familie schlug er sich nach der Schule jahrelang mehr schlecht als recht als Jazz-Musiker und später als Schlager-Sänger durch, aber er verlor dabei nie den Glauben an sein eigenes Talent. "Das waren meine wichtigsten Lehrjahre", wird er später einmal sagen, "der frühe Erfolg hätte mich erschlagen, ich wäre am Druck zerbrochen, aber so hatte ich viele Jahre Zeit meinen ganz eigenen Stil zu entwickeln. Ich habe ja keine Jahrhundertstimme, aber ich habe gelernt, sie so einzusetzen, dass ich damit den Menschen mit Tönen und viel Gefühl schöne Geschichten erzählen kann."

Nationalheiligtum im Bademantel

Und wie ihm das später gelingt. Drei Mal nahm Udo Jürgens beim Grand Prix Eurovision teil, aber erst 1966 gelang ihm schließlich der Durchbruch mit dem Song "Merci, Chérie". Daraufhin gab es gleich zwei neue Schokoladensorten in Deutschland: Mon Cherie und Merci. Von da an ging es steil bergauf: Udo Jürgens wurde der deutsche Seelenerklärer, der Sehnsuchtssänger, der Weltstar, ein singender Playboy auf der Bühne wie Gunter Sachs am Strand von Strand St.Tropez. Einer, der bejubelte Konzerte von Tokio bis Oslo gibt. Und er war viel mehr als ein Schlagersänger, er ragte musikalisch heraus aus dem spießigen Schlagersumpf, in dem er dem damals öligen, biederen deutschen Schlager mit Elementen von Jazz, Swing und Beat-Musik und vor allem Chanson-Versatzstücken in neue künstlerische Höhen führt. Sogar Weltstars wie Sammy Davis junior und Shirley Bassey wollen seine Songs singen.

In Deutschland sang er für Willy Brandt und mit der deutschen Fußballnational-Mannschaft "Buenos Dias, Argentina". Was ihn aber vor allem besonders machte, war die Kombination seiner unendlich eingängigen Musik (Jürgens selbst nennt sie "Mit-Pfeif-Songs") und seinen lebensnahen, klugen, oft auch dadaistisch lustigen Texte. Viele davon sind längst Teil der deutschen Sozialgeschichte, Kommentare zum Leben in der Bundesrepublik der Siebziger oder Achtziger Jahre. Seine Eckkneipen-Hymne "Griechischer Wein" sorgte für mehr Integration als jedes SPD-Partei-Programm und kurbelte den Tourismus in Griechenland um mehr als 30 Prozent an. Der griechische Ministerpräsident bedankte sich bei Jürgens persönlich.

Jürgens' Plattenfirma gab ihm etwas, was sie noch keinem anderen Künstler zuvor gegeben hatte. Einen lebenslangen Vertrag. Mehr geht nicht.

Ohne bürgerliche Konventionen oder Moral

Udo Jürgens stand bis zuletzt auf der Bühne, er konnte nicht anders. Er war längst ein Nationalheiligtum, ein Nationalheiligtum im Bademantel. Zum Finale seiner Konzerte kam er stets im weißen Bademantel (darunter trug er übrigens immer noch seinen Smoking). Er hatte seine Lebensgeschichte aufgeschrieben, die ein Bestseller und später auch ein Fernseh-Film wurde, aus seinen Songs war ein Erfolgsmusical gemacht worden. Zuletzt bei seinem 80. Geburtstag hatte eine ganze Generation von jungen deutschen Popstars ihm Tribut gezollt, aber all das konnte Udo Jürgens nicht zur Ruhe bringen. "Ich brauche mein Publikum wie andere Menschen die Luft zu atmen, sonst gehe ich vor die Hunde, aber ich glaube, ich gebe dafür auch etwas zurück", sagte er mir einmal in einer Hotelbar zu sehr später Stunde in einem sehr ehrlichen Moment.

Udo Jürgens hat tatsächlich sehr viel gegeben, denn er hat niemals aufgehört zu träumen. Er war ein Romantiker, der daran glaubte, dass die Sehnsucht auf der Schwelle zur Erfüllung stirbt. Deshalb pflegte er seine Sehnsüchte und sang in seinen Songs darüber. So sprach er Millionen von Menschen aus den Herzen, die vielleicht ähnlich fühlten, denen aber die Worte und die Musik dazu gefehlt hatten.

Souffleur der deutschen Sehnsüchte

Udo Jürgens war ihr Souffleur, der Souffleur der deutschen Sehnsüchte. Es ging um Aufbruch, das andere, das neue Leben, ohne Chef und Bürokantine, ein Leben mitten im Rausch der Gefühle über die lähmende Vernunft. Man kann dazu einfach noch einmal "Ich war noch niemals in New York" anhören, diesen absoluten perfekten Song. Da steckt eigentlich alles drin, worum es Udo Jürgens ging.

Das Leben ohne bürgerliche Konventionen oder Moral. So wie er es auch in seinem bitter-bösen Anti-Spießer-Song "Ein ehrenwertes Haus" besang. Obwohl Gesellschaftspolitik ihn dabei wenig interessiert. "Mich interessiert niemals links oder rechts, für mich gab es immer nur oben und unten. Ich wollte nach oben. Das Leben nach vorne leben", sagte Jürgens.

"Mit 80 beginnt das Jahrzehnt ..."

So war’s bis zum Schluss. Für das kommende Jahr war schon die nächste Tournee geplant. Mit der Schriftstellerin Michaela Stadlbauer, 44, an seiner Seite, schien er sogar eine Partnerin gefunden zu haben, mit der er etwas zur Ruhe kommen konnte - weil sie ihn so ließ wie er war. Rastlos und voller Melodien, das Leben nur spürend, wenn er auf einer Bühne stand.

Doch er ahnte selbst auch, dass es nicht ewig so weiter gehen konnte mit diesem Leben auf der Bühne. "Mit 80 sind meine Eltern geworden, und ich weiß, mit 80 beginnt das Jahrzehnt, in dem es wahrscheinlich passieren wird", sagte er mir bei unserer letzten Begegnung. Er sollte recht behalten. Udo Jürgens verstarb an akutem Herzversagen bei einem Spaziergang an diesem Sonntagnachmittag. Er wurde 80 Jahre alt.

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