Die AfD hatte am Mittwoch im Bundestag erstmals einem Antrag der Union zu einer Mehrheit verholfen. Darin ging es um Forderungen nach einer Verschärfung der Migrationspolitik nach den Gewalttaten von Aschaffenburg und Magdeburg. Merz hatte im Vorfeld eine mögliche AfD-Unterstützung ausdrücklich in Kauf genommen.
"Sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen", halte sie für "falsch", erklärte Merkel, die sich sonst mit Äußerungen zur Tagespolitik zurückhält. Sie erinnerte Merz an sein Versprechen vom November, vor der Wahl keine Mehrheiten mit der AfD zu suchen. Zu dieser früheren Position müsse Merz zurückkehren, zudem müssten alle demokratischen Parteien gemeinsam über parteipolitische Grenzen hinweg zusammenarbeiten.
SPD und Grüne zollten Merkel Respekt für deren Äußerungen. Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) sprach von "Anstand", Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) bedankte sich bei Merkel.
Protest gegen Merz kam auch von mehreren Holocaust-Überlebenden. Er habe Sorge, dass sich Geschichte wiederhole, sagte der 99-jährige Weinberg mit Blick auf die Zusammenarbeit von Union und AfD. Die 82-jährige Auschwitz-Überlebende Eva Umlauf rief Merz in der "Süddeutschen Zeitung" zur Abkehr von seinen Plänen auf. Andernfalls könnte die Brandmauer zur AfD "niedergerissen" werden.
Der Abstimmung über den Fünf-Punkte-Plan der Union waren am Mittwoch acht Abgeordnete der Union ferngeblieben. "Für mich ist eine rote Linie überschritten", begründete die CDU-Politikerin Monika Grütters im "Tagesspiegel" ihr Fernbleiben. Die CDU-Abgeordnete Antje Tillmann votierte als Einzige gegen den Antrag. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Günther (CDU) sagte dem NDR, wenn die AfD feiere, müssten eigentlich "alle Demokraten merken, dass der Weg in eine falsche Richtung läuft". Er rief aber auch SPD und Grüne zu neuen Gesprächen auf.
Die Union will am Freitag einen Gesetzentwurf zur Migrationspolitik in den Bundestag einbringen, dem die in Teilen rechtsextremistische AfD erneut eine Mehrheit beschaffen will. Merz sagte dazu der "Bild", die Union sei "jederzeit bereit", mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) über den Text zu sprechen. Es gehe um effektive Maßnahmen, die das Land sicherer machen würden.
SPD und Grüne forderten einen Verzicht auf diesen Gesetzentwurf. Merz habe "eine Tür aufgestoßen, die er jetzt offensichtlich nicht mehr zubekommt", sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Er müsse nun wenigstens die geplante Verabschiedung eines Gesetzentwurfs zur Migration stoppen. Grünen-Chef Felix Banaszak sagte dem MDR, Merz habe bereits einen "immensen" Schaden angerichtet und könne diesen nun begrenzen, in dem er den Entwurf zurückziehe. Der Linken-Politiker Gregor Gysi sprach in "The Pioneer" von einem drohenden "Dammbruch".
"Die Äußerungen von Frau Merkel zeigen, dass Friedrich Merz die Union spaltet", sagte FDP-Chef Christian Lindner der "Rheinischen Post". Er verteidigte aber, dass auch die FDP am Mittwoch gemeinsam mit Union und AfD gestimmt hatte. BSW-Chefin Sahra Wagenknecht sagte dem Sender RTL, es sei "albern", sich über die Zusammenarbeit mit der AfD zu empören. Ihre Partei werde am Freitag für den Gesetzentwurf der Union stimmen - auch mit der AfD.
Die Junge Union stärkte Merz den Rücken: "Es ist gut, dass Friedrich Merz sagt: Es muss sich endlich etwas ändern", sagte JU-Chef Johannes Winkel der "Rheinischen Post". Auch CSU-Chef Markus Söder stellte sich erneut hinter Merz.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", es sei notwendig, "auch auf die aktuelle Sicherheitslage und die furchtbaren Ereignisse in Magdeburg und Aschaffenburg zu reagieren". Gleichwohl wolle seine Partei aber keine Zusammenarbeit mit der AfD.
In zahlreichen Städten wurde für Donnerstagabend zu Protesten gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD aufgerufen, darunter auch vor der CDU-Parteizentrale in Berlin. "Keine Partei, die irgendetwas auf ihre demokratischen Grundwerte hält, darf mit der rechtsextremen AfD zusammenarbeiten", erklärte die jüdische Aktivistin Anael Back von Zusammen gegen Rechts.
Amnesty International nannte das von der Union geplante Gesetz einen "Angriff auf die Menschenrechte" und zudem "europa- und völkerrechtswidrig". "Keine Zusammenarbeit mit Feinden der Demokratie", forderten auch mehrere Umweltverbände.