Über Monate haben tausende Menschen in und außerhalb Polens gegen das strikte Abtreibungsgesetz demonstriert. Gebracht hat es nichts. Das Gesetz ist in Kraft und wird nun das erste Mal Grundlage für einen Gerichtsprozess gegen eine Aktivistin, die sich für Schwangerschaftsabbrüche einsetzt.
Abtreibungsgesetz: Erste Aktivistin muss vor Gericht
Wie "The Guardian" berichtet, muss sich mit Justyna Wydrzyńska in der kommenden Woche das erste Mal eine pro-choice-Aktivistin von der polnischen Gruppe "Aborcyjny Dream Team" (ADT) vor Gericht verantworten. Ihr wird vorgeworfen, illegale Beihilfe zur Abtreibung geleistet zu haben. Sie soll einer Frau, die unter häuslicher Gewalt litt und ungewollt schwanger geworden war, Tabletten verabreicht haben, um eine Fehlgeburt herbeizuführen. Sollte sie schuldig gesprochen werden, drohen ihr bis zu drei Jahre Haft.
"Ich könnte wie die meisten anderen Menschen in dieser Situation behandelt werden und eine sechsmonatige Haftstrafe auf Bewährung erhalten, oder sie könnten ein Exempel an mir statuieren und mich ins Gefängnis schicken, vielleicht sogar für Jahre", erklärt Wydrzyńska.
Legale Abtreibung in Polen nahezu unmöglich
Polen hat schon seit Jahrzehnten strenge Gesetze in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche. Mit der im Januar 2020 verabschiedeten Verschärfung hat sich die Lage der Frauen in dem Land aber nochmals verschlechtert. Seither ist es fast unmöglich einen legalen und sicheren Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen.
Ende Januar diesen Jahres war es beispielsweise zu einem Todesfall einer Schwangeren gekommen. Die Frau war mit Zwillingen schwanger, ein Fötus verstarb im Mutterleib. Eigentlich würde in einem solchen Fall die Schwangerschaft abgebrochen werden, um das Risiko weiterer Komplikationen und damit der Gesundheit der Mutter zu schützen. Dies wurde in diesem Fall mit Verweis auf das Abtreibungsgesetz verweigert. Die Frau erlag später einer Blutvergiftung. Der stern berichtete.
Dass es im Fall von Wydrzyńska zu einer Anklage gekommen ist, überrasche die Gruppe ADT nicht, erklärt ihre Mitstreiterin Natalia Broniarczyk: "Im Hinterkopf wussten wir, dass so etwas passieren könnte. Wir haben immer öffentlich gemacht, was wir tun − wir haben es nie versteckt."
Die Gruppe war stets darauf bedacht, im Rahmen des polnischen Rechts zu handeln, das nur die Anbieter von Abtreibungen unter Strafe stellt, nicht aber die Patientinnen, an denen der Eingriff vorgenommen wird.
Gesetz stammt aus den 1990er Jahren
Das Gesetz zur 'Beihilfe zum Schwangerschaftsabbruch' stammt aus den 1990er Jahren", sagte Kinga Jelińska, ADT-Mitglied in Amsterdam. "Damals waren chirurgische Abtreibungen die einzige Option, also wurde das Gesetz mit Blick auf eine sehr direkte Beteiligung von Ärzten geschrieben."
Die ADT umging die Vorschriften, indem sie Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch wünschten, an Organisationen im Ausland verwies, wo die gängigsten Abtreibungsmedikamente, Mifepriston und Misoprostol, legal erhältlich sind und per Post verschickt werden können. ADT konnte daher nicht beschuldigt werden, Abtreibungen direkt anzubieten.
Doch Ende Februar 2020 schickte Wydrzyńska Pillen, die sie zu Hause hatte, direkt an eine Frau, die sie kontaktiert hatte. "Diese Frau war in der 12. Woche schwanger und litt unter häuslicher Gewalt", sagte Wydrzyńska dem Guardian. "Ich hatte selbst eine Abtreibung in der 12. Woche und war auch in einer missbräuchlichen Beziehung. Ich weiß, was es bedeutet, in dieser Situation zu sein. Ihr zu helfen war meine erste menschliche Reaktion."
Die Frau habe zuvor versucht, für den Eingriff nach Deutschland zu reisen, wurde jedoch von ihrem Ehemann aufgehalten. In der Zwischenzeit begann die Corona-Pandemie sich auszubreiten. "Die polnische Post hatte angekündigt, dass der internationale Postverkehr ausgesetzt oder gestört werden könnte. Uns lief die Zeit davon", so Wydrzyńska weiter.
An dem Tag, an dem das Paket ankam, trafen Polizeibeamte − die angeblich von ihrem Ehemann gerufen worden waren − im Haus der Frau ein. Sie sagte, der Stress der anschließenden polizeilichen Untersuchung habe zu einer Fehlgeburt geführt.
Mehr als ein Jahr später tauchte die Polizei erneut bei Wydrzyńska zu Hause auf und beschlagnahmte Medikamente, die sie zu Hause hatte, sowie die Computer von ihr und ihren Kindern.
"Ich schätze, das ist wie eine ungewollte Schwangerschaft", scherzte Wydrzyńska. "Es war das erste Mal, dass ich ein Risiko eingegangen bin, und schon habe ich eine Anklage bekommen."
Wydrzyńska engagiert sich seit mehr als 15 Jahren für Schwangerschaftsabbrüche. Sie gründete den ersten Chatroom des Landes, in dem Polen Informationen über die wenigen sicheren Abtreibungsmöglichkeiten austauschen konnten, die ihnen noch zur Verfügung standen. Seit 2019 engagiert sie sich für ADT, das sich für die Entstigmatisierung der Abtreibung einsetzt und Frauen mit ausländischen Anbietern von Abtreibungsmedikamenten in Kontakt bringt.
Quelle: The Guardian, Online-Kampagne