"Wir müssen jetzt handeln, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen": Mit deutlichen Worten wandte sich der britische Premierminister Boris Johnson vor wenigen Tagen an sein Volk. Denn die Infektionszahlen schnellten zuletzt rasant nach oben: Am Freitag gab es in Großbritannien mehr als 3500 bestätigte Neuinfektionen - so hoch lagen die Zahlen zuletzt Mitte Mai. Das Land reiht sich damit ein in die Entwicklung vieler europäischer Staaten. "Wir fangen an, die Kontrolle über das Virus zu verlieren", sagte Mark Walport, der Chef des staatlichen Forschungs- und Innovationsinstituts UKRI, im Gespräch mit dem Sender BBC am Samstag.
Das große Partywochenende
Um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, verschärft England wieder seine Regeln für soziale Kontakte. So sind ab Montag nur noch Gruppen von bis zu sechs Menschen erlaubt. Das Verbot gilt sowohl für Außen- als auch Innenräume. Derzeit liegt die Obergrenze bei 30 Menschen. Die sogenannte "Sechser-Regel" gilt jedoch nicht für Schulen, Arbeitsplätze, Hochzeiten und Beerdigungen sowie Mannschaftssport.

Viele Briten nutzten das Wochenende deshalb noch einmal zum ausgiebigen Feiern. Fotos zeigen, wie Tausende Menschen von London bis Manchester auf der Straße grölten und tanzten, und nur die wenigsten Nachtschwärmer hielten sich an die Abstands- oder Maskenpflicht. Die Restaurants und Bars platzten aus allen Nähten. Zwar hat die Polizei erklärt, besonders streng kontrolliert zu haben - doch es ist zu erwarten, dass die Beamten nicht jeden Verstoß gegen die Hygieneauflagen entdeckt haben dürften.
Ab Montag können Verstöße gegen die Sechser-Regel mit einer Geldstrafe von 100 Pfund (umgerechnet 110 Euro) geahndet werden. Bei jeder Wiederholungstat verdoppelt sich die Strafe auf bis zu 3.200 Pfund. Diese Maßnahme soll abschreckend auf die Feierwütigen wirken, denn zuletzt schnellte der R-Faktor auf bis zu 1,7 empor. Das bedeutet, dass zehn Infizierte im Schnitt 17 weitere Menschen anstecken. Dies führt zu einem exponentiellen Wachstum. Gesundheitsexperten fürchten, dass sich die Ausbreitung des Virus in den kommenden Wochen beschleunigen könnte, denn angesichts der kühler werdenden Temperaturen treffen sich immer mehr Gruppen in geschlossenen Räumen.
Verantwortlich für die steigenden Zahlen sind in Großbritannien vor allem Menschen im Alter zwischen 17 und 29 Jahren, die sich nicht in jedem Fall an die Hygiene- und Distanzierungsmaßnahmen halten. Der nationale Statistiker Großbritanniens, Ian Diamond, hat diese Menschen aufgefordert, "unglaublich wachsam auf soziale Abstandsregeln zu achten", um eine zweite Covid-19-Welle zu verhindern.
Das Virus erreicht erneut die Hochrisikogruppen
Doch nicht nur England verzeichnet ein Aufflackern des Coronavirus. Die täglichen Coronavirus-Fälle in Schottland haben ebenfalls ein Vier-Monats-Hoch erreicht. Insgesamt 221 Personen wurden jüngst positiv auf das Virus getestet - die höchste Tageszahl seit dem 8. Mai. Nicola Sturgeon, Erste Ministerin Schottlands, twitterte: "Bitte beachten Sie alle Ratschläge zur öffentlichen Gesundheit. Mehr denn je müssen wir uns daran erinnern, dass das, was wir als Einzelne gerade jetzt tun, das Wohlergehen aller betrifft. Kümmern wir uns umeinander."
Die verschärften Maßnahmen haben auch mit der Angst zu tun, dass das Virus von den jüngeren Briten auf die ältere Bevölkerung übergehen könnte. Das ist womöglich bereits der Fall: Daten der Public Health England (PHE) deuten darauf hin, dass die Zahl der Covid-19-Fälle unter den Über-50-Jährigen ansteigt, eine "besorgniserregende" Entwicklung für Hochrisikogruppen.
In der vergangenen Woche stiegen die Corona-Neuinfektionen bei den Über-50-Jährigen um 92 Prozent, bei den 60-Jährigen um 72 Prozent und bei den Über-80-Jährigen und darüber hinaus um 44 Prozent. Ebenso legt die Zahl der Krankenhauseinweisungen zu. Bei den 60- bis 75-Jährigen wurde im Vergleich zur Vorwoche ein 20-prozentiger Anstieg im Zusammenhang mit Covid-19 verzeichnet, bei den 75- bis 84-Jährigen gab es gar einen 72-prozentigen Anstieg.
Quellen: Nicola Sturgeon, BBC