Ein Trend ist genau in dem Moment vorbei, in dem ich zum ersten Mal von ihm erfahre – das hat sich bei mir als Faustregel etabliert, seit ich ein gewisses trendresistentes Alter erreicht habe. Man könnte diese Regel erweitern um: Ein Trend ist dann vorbei, wenn er Grundlage eines Supermarkt-Werbespots wird, durch den ich dann erst von ihm erfahre. Beispiel? Overnight Oats, ein mir bis dahin unbekanntes hippes Frühstück, beworben durch zwei mir ebenfalls bis dahin unbekannte Beachvolleyballerinnen in einem Edeka-Spot.
Natürlich googelte ich das alles pflichtschuldigst. Ach so, Haferbrei, und zwar kalter Haferbrei, denn warmer Haferbrei heißt ja inzwischen Porridge, das immerhin wusste ich.
Kumpir: Backkartoffeln mit was drauf
Und da kommen wir auch schon zum Grundproblem zeitgenössischer Trends: In den meisten Fällen verbergen sich gar keine Neuheiten hinter ihnen, stattdessen wurden lediglich neue Etiketten auf ganz banales, altbackenes Zeug gebappt. Gemischte Salate heißen jetzt Bowls, Backkartoffeln mit was drauf heißen jetzt Kumpir, Bindegewebe heißt jetzt Faszien, Spaziergänge im Grünen heißen jetzt Waldbäder, Balkonbepflanzung heißt jetzt Urban Gardening, Friseursalons für Männer heißen jetzt Berber. Oder Barbier. Oder Gents' Room. Ein belegtes Baguette, das in meiner Jugend noch unter dem Fachbegriff La Flûte oder auch Flöte im Handel war, heißt jetzt Bánh Mì. Was vietnamesisch ist, weil die Vietnamesen Flöten durch die französische Kolonialisierung kennengelernt haben. Es ist kompliziert, nicht zuletzt wegen der Akzente auf den Vokalen.
Jetzt wird es Leute geben, die darauf bestehen, dass Bánh Mìs etwas völlig anderes sind als belegte Baguettes oder gar Flöten. Der Teig sei leichter, die Kruste knuspriger, der Belag halt asiatisch. Und beim Berber kriegt man auch noch den Bart geölt statt nur die Haare geschnitten. Und in einer Bowl kann auch noch Reis neben dem Grünzeug sein. Dazu sage ich: geschenkt.
Alles nur eine Frage des Namens und des Alters
Mit jeder Umbenennung steigt der Mehrwert. Früher kannte man nur Bindegewebsschwäche und konnte nicht viel dagegen machen, doch seitdem Bindegewebe in Faszien umgetauft wurde, kann es verkleben oder verhärten – was ungleich dramatischer klingt und zudem auch für Menschen relevant ist, die Berber aufsuchen.
Seitdem kann man Schaumstoffrollen oder -bälle in vielen Größen kaufen, mit denen man die Faszien entkleben und enthärten kann. Seitdem aus Spaziergängen Waldbäder geworden sind, kann man Bücher über den Biophilie-Effekt kaufen, Wochenendseminare über korrektes Baumumarmen belegen oder auf Websites lesen, wie man korrekt waldbadet, nämlich mindestens zwei Stunden lang, in denen man 2,5 Kilometer zurücklegen sollte. Entschuldigung, aber: In zwei Stunden lege ich selbst schlendernd nicht unter acht Kilometer zurück, allerdings umarme ich dabei auch nur höchstens jeden dritten Baum.
Ist es einfach nur eine Frage des Alters, dass ich den Eindruck habe: Kenne ich alles schon, alter Wein, neue Schläuche? Die heißen Trends 2020 – Bermudas (die heute "Mom-Shorts" heißen), Neon-Look, Pünktchenmuster – waren zu meinen Lebzeiten mindestens schon dreimal in und wieder out, von Modezyklen erwarte ich auch nichts anderes. Aber kann es wirklich sein, dass es auch sonst nichts Neues unter der Sonne gibt – zumindest sofern es menschengemacht ist, die Natur lässt sich ja zumindest noch das eine oder andere originelle Virus einfallen? Ist die Erdbevölkerung womöglich am Ende ihres Einfallsreichtums angelangt? Für mich wäre es okay, mit Haferbrei und Flöten komme ich prima auch noch die letzten Jahre hin.