Wunderhübsche kleine Geschichte, die ich gerade in der"New York Times“ las: Durch den Morgennebel zwischen den Banyanbäumen des südchinesischen Xiapu wandert gemächlich ein Bauer, eine altertümliche Axt über der Schulter, einen Wasserbüffel am Strick führend. Dahinter ein zweiter Bauer mit einem Tragjoch auf den Schultern, die Eimer schaukeln sachte im Gegenlicht. Was für ein Bild! Die Bauern gehen nach links ab, kehren um, gehen nach rechts, drehen um, gehen nach links, gehen nach rechts, gehen …"Danke, das genügt!“
Denn in der Tat, ein Bild ist es, das hier inszeniert wird: ein Fotomotiv für Hunderte von Touristen, die täglich an dieser Stelle abgeladen werden, um traditionelles chinesisches Landleben zu dokumentieren. Sie passieren große Tafeln, auf denen das zu knipsende Foto schon mal vorab gezeigt wird, und werden von Guides per Megafon dirigiert, aus welchem Winkel sie in welchem Moment abzudrücken haben. Logisch, dass der Bauer kein Bauer ist und der Büffel noch nie Feldarbeit geleistet hat – selbst der Morgennebel ist fabriziert: durch Verbrennen von Stroh, dessen Rauch ins Bild gefächelt wird. Weiter geht es im Bus zum nächsten Motiv: zwei"Fischer“, die mit extra farbenfrohen Netzen per Walkie-Talkie zur malerischsten Stelle eines Sees dirigiert werden. Auch hier bekommen die Hobbyfotografen, die auf eigens gezimmerten Tribünen stehen, genaue Instruktionen.
Die Meister der Inszenierung
Ach ja, die Chinesen mal wieder, dachte ich, Liebhaber des Pittoresken und Meister des Plagiats, die ja auch schon das fotogene österreichische Örtchen Hallstatt samt See originalgetreu in der Provinz Guangdong nachgebaut haben – praktisch, denn so spart man Reisekosten, und auf dem Foto ist es eh nicht zu unterscheiden. Aber systematisch dafür sorgen, dass jedes am Fließband produzierte Bild absolut identisch ist und dabei bloß ein Fake-Motiv zeigt? Daraus könnte jedes mittelprächtige Feuilleton eine postmoderne Medientheorie stricken, herrlich.
Die Natur als Mittel zum Zweck des Fototourismus
Problem ist nur: Genau diese Art von Foto ist inzwischen der Normalfall. Gerade wurde der Zugang zum Königsbach-Wasserfall für fünf Jahre gesperrt, weil Tausende von Fototouristen quer durch die Natur trampelten, um ein ganz bestimmtes Bild zu machen: in einem Naturpool liegend mit Blick über den Königssee und die Berge – gibt ordentlich Likes auf Instagram und hält einen Moment fest, der kein bisschen besonders ist (die nächsten Fotografen stehen schon hinter einem Schlange) und der ohne das Fotografiertwerden nicht mal stattgefunden hätte. Denn wäre man wirklich eineinhalb Stunden durch unwegsames Gelände gestapft, wenn am Ende nicht der Kick durch den Klick gewartet hätte?
Wenn Motive beliebig werden
Doch wenn ich ehrlich bin: Es ist fast unmöglich, der Versuchung des millionenfach gemachten und milliardenfach gesehenen Klischeebildes zu widerstehen. Die Einstiegsdroge ist jeder x-beliebige Sonnenuntergang, wie ferngesteuert geknipst (und der nächste und übernächste auch) – im sicheren Wissen, die Fotos später nie wieder anzusehen. Aber man hat sie! Ebenso wie die Fotos, auf denen man so tut, als ob man den Schiefen Turm von Pisa stützte oder den Eiffelturm zwischen Daumen und Zeigefinger hielte, oder die Bilder, die man von Aussichtspunkten macht, auf die Schilder mit Kameramotiv hinweisen: Hier knipsen! Gefälligst.
Und doch: Wenn ich durch die Abertausende von zwanghaft geknipsten Fotos in meinem Handy scrolle, möchte ich keines missen, wie blöd auch immer. Ich kam, ich sah, es machte klick. (Okay, die Eiffelturm-Fotos habe ich gerade klammheimlich gelöscht.)