Terror-Verdacht Nach München-Anschlag hat die Familie der Toten eine eindringliche Botschaft

München
Ein Auto raste in München in eine Menschenmenge bei einer Verdi Demo, eine Mutter und ihr Kind starben
© Bihlmayer, Michael/ / Action Press
Zwei Tage nach dem mutmaßlich islamistischen Anschlag in München sind zwei der 39 Verletzten gestorben. Jetzt melden sich ihre Angehörigen zu Wort.

Ein zweijähriges Mädchen und dessen 37 Jahre alte Mutter sind am Samstag, zwei Tage nach dem Anschlag in München an ihren schweren Verletzungen gestorben. Am Donnerstag war ein 24-jähriger Afghane in einen Demonstrationszug der Gewerkschaft Verdi gefahren. Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen übernommen, da die Tat geeignet sei, die innere Sicherheit der Bundesrepublik zu beeinträchtigen. Gut eine Woche vor der Bundestagswahl am 23. Februar hatte der Vorfall die politische Debatte über die Migrationspolitik weiter angeheizt.

"Ich bin tief erschüttert und traurig über den Tod des kleinen Kindes und der Frau", erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf X. Den Angehörigen gelte sein tief empfundenes Beileid. "Das Land trauert mit ihnen." Ähnlich äußerte sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. "Es zerreißt einem das Herz", schrieb der CSU-Vorsitzende auf X. "Ganz Bayern trauert. Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen - und wir hoffen und beten für alle weiteren Verletzten."

Als einer der ersten SPD-Politiker am Samstag äußerte sich auch der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke. Er kondolierte den Angehörigen und verwies zudem auf die Anschläge in Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg in den vergangenen Monaten und zuletzt in München. "Fünf Einzelfälle in neun Monaten sind nicht tolerierbar - die Migrationspolitik der letzten zehn Jahre muss auf den Prüfstand", erklärte Woidke. "Wir brauchen eine schnellere und konsequente Abschiebung von Menschen, die eine Gefahr für andere darstellen."

Getötete Frau arbeitete für die Stadt München

"Die Mutter war eine städtische Mitarbeiterin", erklärte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). "Sie und ihre Tochter wurden ermordet, als sie für ihre gewerkschaftlichen Rechte auf die Straße gegangen ist. Der Schmerz ist nicht in Worte zu fassen." Der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke bezeichnete die Trauer über das Leid der Opfer als "schier unermesslich". "Wir als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter stehen in dieser schweren Stunde solidarisch zusammen."

Einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" zufolge stammte die getötete Frau aus Algerien, lebte seit ihrer Kindheit in Deutschland und arbeitete als Ingenieurin. Eine mit der Angelegenheit vertraute Person bestätigte der Nachrichtenagentur Reuters diese Angaben. Die Zeitung berichtete, sie habe mit Hinterbliebenen gesprochen, die anonym bleiben wollten. Ihnen sei wichtig, dass der Tod ihrer beiden Angehörigen nicht genutzt werde, um Hass zu schüren. 

"Amel war ein Mensch, der sich für Gerechtigkeit eingesetzt hat. Gegen Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung"

Die Hinterbliebenen beschreiben die getötete Frau als engagierte Bürgerin: "Gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer Tochter Hafsa lebte sie seit 2017 in München. Amel war ein Mensch, der sich für Gerechtigkeit eingesetzt hat. War aktiv für Solidarität, Gleichheit und setzte sich für Arbeitnehmer*innenrechte ein und gegen Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung. Ihr war es sehr wichtig, ihrer Tochter diese Werte mitzugeben."

In ihrem Statement betont die Familie: "Wir möchten bekräftigen, dass der Tod und der Verlust nicht benutzt werden, um Hass zu schüren und ihn politisch zu instrumentalisieren."

Der Fahrer des Kleinwagens, ein 24-jähriger Afghane, hatte nach seiner Festnahme eingeräumt, sein Auto bewusst in die Menschenmenge gesteuert zu haben, wie die Generalstaatsanwaltschaft München mitgeteilt hatte. Es gebe Hinweise auf eine islamistische Tatmotivation. Der Mann kam unter dem Vorwurf des mehrfachen Mordversuchs, der gefährlichen Körperverletzung und des schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Untersuchungshaft.

Nach Angaben der Münchner Generalstaatsanwaltschaft hatte der Afghane bei seiner Festnahme "Allahu akbar" ("Gott ist am größten") geäußert und gebetet. Deswegen hat die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus der Münchner Generalstaatsanwaltschaft die Ermittlungen aufgenommen. Am Freitag zog die Bundesanwaltschaft das Verfahren an sich. Denn es bestehe der Verdacht, dass die Tat religiös motiviert und als Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung zu verstehen sei.

Der Afghane hielt sich nach übereinstimmenden Angaben mehrerer Behörden rechtmäßig in Deutschland auf. Er kam demnach 2016 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland. Zwar wurde sein Asylantrag nach Angaben der Münchner Stadtverwaltung 2020 endgültig abgelehnt. Anschließend habe er jedoch eine Duldung erhalten, weil damals keine Menschen nach Afghanistan abgeschoben worden seien. Später habe er eine befristete Aufenthaltserlaubnis nach den Bestimmungen für gut integrierte junge Menschen erhalten. Da über eine Verlängerung dieser Erlaubnis nicht entschieden worden sei, habe er zuletzt ein Aufenthaltsrecht bis April auf Basis einer sogenannten Fiktionsbescheinigung erhalten.

Weiteres Tötungsdelikt in Österreich

Unterdessen befeuerte am Samstag auch in Österreich ein Tötungsdelikt die Debatte über die Migrationspolitik. In Villach in Kärnten stach nach Polizeiangaben ein Syrer auf mehrere Passanten ein und tötete einen 14-Jährigen. Vier weitere Personen seien verletzt worden, sagte ein Polizeisprecher. Angriffe dieser Art sind in Österreich sehr selten.

"Wir brauchen rigoroses Durchgreifen im Asylbereich und dürfen uns Zustände wie in Villach nicht weiter importieren", erklärte FPÖ-Chef Herbert Kickl. ÖVP-Politikerin Johanna Mikl-Leitner, Landeshauptfrau von Niederösterreich, erklärte, eine künftige Bundesregierung müsse strenge Maßnahmen gegen Integrationsverweigerer setzen. Verhandlungen von FPÖ und ÖVP über eine Koalitionsregierung waren zuletzt gescheitert.

Reuters
ckl

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