Die Corona-Pandemie, weltweit zunehmende globale Ungleichheit und nicht zuletzt der Ukraine-Krieg: laut einer Studie der Hilfs- und Entwicklungsorganisation Oxfam könnten allein im Jahr 2022 eine Viertelmilliarde Menschen zusätzlich in extreme Armut rutschen.
Oxfam wird im Briefing der Untersuchung sehr deutlich: "Wenn die Staats- und Regierungschefs der G20, der Internationale Währungsfond (IWF) und die Weltbank nicht handeln, könnten die Krisen der Inflation, Ungleichheit und COVID-19 mehr als eine weitere Viertelmilliarde Menschen 2022 in extreme Armut stürzen."
Mehr als eine Viertelmilliarde Menschen zusätzlich von extremer Armut bedroht
Die globalen Krisen spielten demnach in eine ohnehin stark ungleiche Welt, so die Autoren. Ohne Maßnahmen könnte die Zahl der Menschen, die unter extremer Armut leiden um bis zu 263 Millionen ansteigen, auf dann 860 Millionen Menschen weltweit. Die Weltbank definiert in diesem Zusammenhang extreme Armut über ein Einkommen, das unter 1,90 Dollar pro Tag liegt.
Diese Entwicklung beträfe nicht nur Menschen in Entwicklungsländern. Auch Menschen in Mitteleuropa oder Amerika, die ohnehin schon von der Corona-Pandemie gebeutelt sind, haben derzeit mit stark steigenden Preisen für Lebensmitteln zu kämpfen. Schon jetzt würden 3,3 Milliarden Menschen, knapp die Hälfte der gesamten Weltbevölkerung unterhalb der Armutsgrenze von 5,50 Dollar pro Tag leben, so Oxfam.
Kritik an Großkonzernen, die die Krisen ausnutzen
Neben Milliarden von Verlieren der Krisen der letzten Jahre, gebe es einige Wenige, die von der instabilen Lage profitieren, so die Hilfsorganisation weiter: "Große Unternehmen scheinen ein inflationäres Umfeld auszunutzen, um ihre Gewinne auf Kosten der Verbraucher zu steigern." Steigende Energiepreise und ebenfalls steigende Gewinnspannen hätten die Profite etwa der Ölgesellschaften auf Rekordniveau getrieben. Zudem würden Anleger erwarten, dass die Gewinne von Agrarunternehmen rasch steigen, da die Lebensmittelpreise in die Höhe schnellen.
Politisch gesehen seien es auch hier die ärmsten Länder, die am meisten unter dieser Preisspirale leiden. "Die Währungsreserven der Länder mit niedrigem Einkommen sind durch Maßnahmen gegen COVID-19 und das Bedienen von Krediten weitgehend aufgebraucht." Sie seien daher vollkommen von einer handvoll getreideexportierender Länder abhängig. Die Fragilität und Ungleichheit globaler Nahrungsmittel- und Energiesysteme werde aktuell gnadenlos sichtbar.
Inflation treibt die Preisspirale weiter an – ein Teufelskreis
Auch hierzulande wird die weltweite Inflation derzeit deutlich. Lebensmittel und Energiepreise sind stark gestiegen, die Kaufkraft deutlich gefallen. Es sei besorgniserregend, dass die Inflation derzeit schneller steige als die Reallöhne, so die Oxfam-Autoren. Es sei zu befürchten, dass bis Ende 2022 die Inflation das Lohnwachstum deutlich übersteige, was einer tatsächlichen Lohnkürzung gleichkommen würde.
Insbesondere für Entwicklungsländer stellt die Inflation eine existenzielle Gefahr dar. Die Amerikanische Notenbank (Fed) reagierte mit einer Erhöhung des Leitzinses, um die Währung stabil zu halten. Das Problem dabei: nun ist es deutlich schwieriger Geld zu leihen. Fast alle Entwicklungsländer bezahlen lebenswichtige Ressourcen wie Lebensmittel, Energieimporte oder medizinische Ausrüstung in der amerikanischen Währung – gestiegene Kredite erhöhen auch den Verkaufspreis – die Menschen müssen für gleiche Produkte noch mehr bezahlen.
Die Folgen dieser Verarmung ist kaum auszudenken. Millionen von Menschen stünden vor unmöglichen Entscheidungen: die Familienmitglieder zu ernähren, die Kinder zur Schule zu schicken oder Krankheiten behandeln zu lassen. Neben all den wirtschaftlichen Missständen setzt zudem die Klimakrise vielen Ländern zu. "Der Anstieg der Lebensmittelpreise geht auch mit klimabedingten Katastrophen und Konflikten einher und verschärft die bereits bestehenden verheerenden Hungerkrisen in Teilen Ostafrikas, des Nahen Ostens und Westafrikas", betonen die Autoren der Studie.
Auch wenn die Krisen global sind, sie sind nicht für alle gleich
Auswirkungen hätten die Krisen zwar auf alle Menschen weltweit, so Oxfam. Dennoch seien sie sehr unterschiedlich stark ausgeprägt. Letztlich seien es die ärmsten Länder, die am härtesten getroffen würden.
Laut Schätzungen des IWF geben Menschen in den Sub-Sahara gebieten rund 40 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus – etwa doppelt soviel wie Menschen in Industriestaaten. Doch auch in diesen Ländern ist die Armut sehr ungleich verteilt: etwa in den USA geben die ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung im Verhältnis vier mal so viel Geld für Lebensmittel aus, wie das reichste Fünftel. Die Folgen sind eine ungesündere Ernährung und somit ein Nährstoffmangel, der das Leben der Ärmsten langfristig und permanent verschlechtere.
Corona-Pandemie hat die Ungerechtigkeit zwischen arm und reich verstärkt
Genau wie die ärmsten Menschen hätten die vielschichtigen Krisen seit der Corona-Pandemie auch die ärmsten Länder in eine noch prekärere Lage getrieben. Entwicklungsländer seien schon jetzt historisch hoch verschuldet. Die Kosten für und die Maßnahmen und gegen die Pandemie und die damit verbundene Rezession hätten die Länder gelähmt. Ein Grund hierfür sei die ungerechte Verteilung von Corona-Impfstoffen. Während Industrienationen diese teilweise gehortet hätten, sei keine Erlaubnis zur eigenständigen Herstellung in ärmeren Ländern erteilt worden, so Oxfam.
Die zehn vergessenen Krisen in Zeiten von Corona

Im Mai fanden in Burundi relativ friedliche Wahlen statt, rund 50.000 geflüchtete Burundie kehrten zurück in ihre Heimat. Doch die fünftärmste Nation der Welt hat es schwer, Rückkehrer aufzunehmen: Es fehlt an Ressourcen, über 90 Prozent der Bevölkerung sind von der Landwirtschaft abhängig. Als dann auch noch 80.000 Menschen aus dem Nachbarland Kongo in das mit am dichtesten besiedelten Landes im subsaharischen Afrika flüchteten, wuchs die Konkurrenz um Land und Nahrung und die ärmsten und verwundbarsten Gruppen der Bevölkerung – die Frauen – wurden auf wenig ertragreiches Land gedrängt. Erdrutsche und Überschwemmungen zerstörten 2020 die Lebensgrundlagen der ärmsten Menschen in Burundi und verschlimmerten die Hungersnot: Im Dezember 2020 benötigten über 2,3 Millionen Burundier humanitäre Hilfe, das Land weist den höchsten Wert an chronischer Unterernährung in der Welt auf.
Die internationalen Finanzinstitutionen liehen zwar Geld; die G20 boten eine teilweise Aussetzung der bilateralen Schuldenzahlungen an und der IWF gab 650 Milliarden Dollar aus Reserven an Länder mit geringem Einkommen aus. All das trug ein wenig dazu bei, die harten wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu mildern, aber bei weitem nicht genug.
Fünf Maßnahmen um den Teufelskreis zu durchbrechen
Nach Einschätzung der Oxfam-Autoren ist es vollkommen unmöglich für Entwicklungsländer, eigenständig die Rezession in ihren Ländern aufzuhalten und die Wirtschaft zu stärken. Daher fordern sie fünf tiefgreifende Maßnahmen, um Ländern, die von extremer Armut bedroht sind, zu helfen:
1. Die Ärmsten vor den Folgen der Inflation schützen
Laut den Autoren sollten "die Regierungen versuchen, die Lebensmittel- und und Energiepreise direkt zu kontrollieren - unter anderem durch eine dauerhafte Senkung der Mehrwertsteuern. Hinzu kämen Subventionen für Schulspeisungsprogramme und einen Fonds für den Sozialschutz für Menschen mit niedrigem Einkommen.
2. Schuldenschnitt für ärmere Länder
Die G20 müsse sofort allen Ländern mit niedrigem und mittleren Einkommen für die Jahre 2022 und 2023 die Schuldenzahlungen erlassen. Zudem sei ein neuer Schuldenerlassprozess nötig, der auch langfristig die Funktion des privaten Sektors sicherstelle.
3. Wohlstand besteuern
Um lebenswichtige Unterstützung für die Menschen in armen Ländern zu finanzieren und sie vor steigenden Energie- und Lebensmittelkosten zu schützen, schlägt Oxfam vor, eine solidarische Notsteuer oder eine einmalige Vermögenssteuer einzuführen oder auf eine vorübergehende Erhöhung der Kapitalertragssteuern oder persönlichen Einkommenssteuern zu setzen.
4. Neuzuteilung und Neuausgabe von Sonderfonds
Zukünftig sollten Hilfszahlungen nach Bedarf und nicht mehr nach Quoten verteilt werden. Zudem fordert die Organisation diese Hilfszahlungen von Zinsen und Konditionen zu befreien.
5. Aufstockung der lebensrettenden Soforthilfe für ärmere Länder
Geberländer sollen zukünftig, aufbauend auf ihren Zusagen, Hilfszahlungen sofort bereitstellen. Laut Oxfam seien gerade einmal drei Prozent der zugesagten Hilfszahlungen für die Bewältigung der Hungerkrise in Ostafrika bei der UN eingegangen.
Quelle: Oxfam-Studie