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Panorama "Der konnt' doch kei Mück' totmache"

Entführung und Ermordung des elfjährigen Jakob von Metzler erschüttern das Land. So groß wie die Trauer ist die Fassungslosigkeit. Der mutmaßliche Mörder Magnus G. stammt aus ordentlichem Elternhaus.

Lautlos öffnet sich das Eisentor. Langsam schwingen die Flügel auf, geben den Weg frei in den schönsten Park von Frankfurt. Einen Garten mit 100-jährigen Eichen und Buchen, die der Herbst färbt. Weit hinten, über Rhododendron-Hügeln, erhebt sich das Schieferdach der Villa Metzler. »Keine Durchfahrt« verkündet ein Schild, dezent am Wegesrand platziert.

Ehrfürchtig bleiben die Schaulustigen vor dem offenen Tor zur Villa Metzler stehen. Zwei junge Männer kommen heraus, bitten Kameraleute und Fotografen ebenso höflich wie bestimmt, die Arbeit einzustellen. Die Familie von Metzler möchte die Blumensträuße vor ihrem Tor betrachten. Eine Traube schwarz gekleideter Menschen erscheint. Vater Friedrich fehlt, und Jakobs Mutter halten die Gaffer für eine Hausangestellte: In blauen Jeans und weißem Polo-Shirt geht Sylvia von Metzler an den Blumen entlang, lächelt traurig über den Plüsch-Panda, den zwei Mädchen gebracht haben. Tröstend legt sie den Arm um Jakobs Schwester Elena. Nach ein paar Minuten verschwindet die Familie wieder in ihrem Park.

Kindheit in der Heimat-Siedlung

Die beiden Mädchen, die den Panda gebracht haben, machen sich auf den Heimweg. Weit haben sie es nicht. Die Mörfelder Landstraße rauf, am Louisa-Park vorbei bis zur S-Bahn-Brücke. Nach drei Minuten Fußweg sind die Kids in einer anderen Welt. Jenseits der Bahn stehen keine Villen mehr. Sozialbauten säumen die Landstraße. Kissel-Siedlung und Heimatsiedlung. Dazwischen Supermarkt und Lottobude, wohin die kleinen Leute mit dem Traum vom großen Geld einmal pro Woche pilgern. Wo die Kids im »Wienerwald« eine »Kickbox« knabbern, Hähnchenstücke mit Pommes und Tunke für 3,55 Euro . Dies ist die Welt des Magnus G., des Mannes, der Jakob von Metzler ermordet haben soll.

Aufgewachsen ist er in der Heimat-Siedlung, die einmal ein vorbildliches Kleine-Leute-Quartier war - vor 70 Jahren. Schnurgerade Flachdach-Wohnblocks mit Wintergärten entlang der ganzen Gartenfront und Baumreihen auf den Grünflächen. Unter den Linden heißen die Sträßchen, unter den Platanen, den Kastanien, Buchen und Akazien. Gebaut wurde die von außen wie eine Wagenburg wirkende Siedlung von der Angestelltengewerkschaft für ihre Mitglieder. Im Krieg zerstört und nachher wieder aufgebaut.

Dazwischen Unterkünfte für US-Soldaten und Sammellager für befreite Zwangsarbeiter. In den fünfziger Jahren von der Neuen Heimat gekauft und nach deren Pleite an die Nassauische Heimstätte gefallen. Heute 1100 Sozialwohnungen, in die immer mehr Ausländer ziehen. Die Heimatsiedlung in Sachsenhausen, eine Achterbahnfahrt durch deutsche Geschichte.

Zum Wandern in den Rheingau

1974 zog Familie G. »unter die Platanen«, weil Vater Günter bei der Neuen Heimat als Bauzeichner arbeitete. Mit den beiden Söhnen fuhr das Ehepaar am Wochenende zum Wandern in den Rheingau. »Verbilligte Bahnkarte bis Geisenheim«, erinnert sich der Vater. »Wir waren nicht so gestellt, dass wir groß Urlaub machen konnten.« Zu viert lebten die G.s in der Dreieinhalbzimmerwohnung, 1984 kam noch der pflegebedürftige Großvater dazu. Mutter Maria, eine ausgebildete Kindergärtnerin, blieb zu Hause und kümmerte sich um die Kleinen. 17 Jahre lang. Erst als in den Neunzigern ihr Mann krank wurde und nicht mehr arbeiten konnte, kehrte sie in den Beruf als Erzieherin zurück. Auf eine halbe Stelle. Große Sprünge konnten die G.s nie machen.

Trotzdem haben sie ihre Jungs anständig groß gekriegt. Beide haben ihr Abitur gemacht, auf der Carl-Schurz-Schule in Sachsenhausen, in die auch die Metzler-Kinder gehen. Beide Jungen haben studiert, Pädagogik der ältere, Jura der jüngere: Magnus. Mit 27 Jahren stand »Maggi« mitten im Staatsexamen.

In ihren glücklichsten Momenten hat Maria G. manchmal gedacht: »Was waren wir für eine nette Familie. Was haben wir für tolle Söhne.« Jeden Freitag mittag sind ihre Jungs zum Essen gekommen, als sie schon längst eigene Wohnungen hatten. »Bis zuletzt«, sagt Vater Günter. Er meint den Freitag, an dem Jakob von Metzler entführt wurde. Der Familienfreitag, »das ist bei uns wie das Amen in der Kirche«, sagt der Vater. Wegen seines steifen Beines kann er kaum laufen. Deshalb bedeutet ihm der Besuch seiner Söhne besonders viel.

Nach dem Mord zu den Eltern

Am Freitag der vorletzten Woche hatte Günter G. Kartoffelpuffer gemacht. Seit seine Frau wieder in einem Sachsenhäuser Kindergarten arbeitet, kümmert sich der Frührentner um das Mittagessen. Alles war wie immer. Außer dass Magnus um halb zwei anrief und sagte, er komme ein bisschen später. Um zwei war er dann da und machte sich über die Kartoffelpuffer her. Sprach mit dem Vater über Fußball und mit dem Bruder über dessen neue Möbel. Als ob nichts gewesen wäre.

Dabei hatte Magnus G., so die Ermittler, in den dreieinhalb Stunden vor dem Essen den elfjährigen Jakob von Metzler entführt und erstickt, einen Erpresserbrief am Parktor der Metzlerschen Villa deponiert, die Leiche in einem Teich versenkt, Jakobs Kleidung und Schulranzen in einem Altpapiercontainer entsorgt. Unvorstellbar, nicht nur für seine Eltern.

Als am Montagabend kurz vor Mitternacht, drei Tage nach dem Reibekuchenessen, die Polizei bei G.s schellte, glaubte Mutter Maria, einem ihrer Söhne sei etwas zugestoßen. Aber die Beamten teilten der entsetzten Frau mit, dass sie ihren Jüngsten wegen einer Entführung festgenommen hätten. Maria G. bot an, ihren Sohn zur Preisgabe des Verstecks zu bewegen. »Ich wollte das Leben des Kindes retten«, sagt sie.

Am nächsten Morgen gehen die Kriminalpolizisten auf den Vorschlag ein. Mit dem Streifenwagen bringen sie die Mutter zu ihrem Sohn. Magnus hockt im Vernehmungszimmer, bekleidet mit dem weißen Overall, den ihm die Spurensicherer gegeben hatten, Handschellen an einer Hand. Neben ihm ein Kripo-Mann. Als »Maggi« seine Mutter sieht, steht er auf. Sie geht auf ihn zu und nimmt den fast zwei Meter langen Sohn in den Arm. »Magnus, Magnus, was ist los?« Der 27-jährige Mann bekommt zunächst keinen Ton heraus, weint haltlos wie ein kleiner Junge. Dann stammelt er: »Es ist furchtbar. Ihr müsst weg. Ihr seid in Gefahr. Ich werde erpresst.«

Dem Kripo-Mann wird es zu viel. »Belügen Sie doch Ihre Mutter nicht«, herrscht er den Festgenommenen an. »Magnus, sag der Polizei, wo der Junge ist«, bettelt Maria G. »Lebt er denn überhaupt noch?«, fragt sie. - »Ich hoffe es, ich hoffe es sehr.« - »Dann sag, wo er ist!« Doch Magnus macht zu. »Ich muss erst mit dem Anwalt sprechen, mit ihm etwas aushandeln«, sagt er und lässt seine Mutter stehen. Kurz darauf verrät G. den Ermittlern das Versteck der Leiche.

Familie steht vor einem Rätsel

Seitdem sucht die Familie nach Erklärungen. Was hat ihren Magnus aus der Spur gebracht? »Als ob plötzlich etwas in ihn gefahren wäre!« Mutter Maria denkt an den Teufel. Die streng katholische Frau hockt in ihrem Korbsessel. Immer wieder schlägt sie die Hände vors Gesicht und schluchzt. Versucht, tief und ruhig zu atmen, um die Weinkrämpfe zu unterdrücken. Ihr Mann spürt die Tränen schon gar nicht mehr, die ihm übers Gesicht strömen. Immer wieder greift seine Frau nach seiner Hand, um ihn zu trösten. Aber es nützt nichts. Günter G. sitzt auf dem bunten Stoffsofa, das steife Bein von sich gestreckt. »Ach, Lütte, das ist kaputt«, sagt er, wenn seine Frau Erinnerungen an den lieben Magnus wachruft, den Jungen auf den Bildern an der Wohnzimmerwand.

Niemand in Sachsenhausen hätte Magnus G. dieses Verbrechen zugetraut. »Der konnt? doch keine Mück? totmache«, sagt sein Vater. »Er ist ein zurückhaltender, offener, fröhlicher Typ«, sagt sein Kumpel Andreas, »keiner, der kleine Kinder umbringt.« Und der Wirt seiner Stammkneipe Plateau ist sich sogar sicher, dass Magnus »es nicht war. Der ,Maggi« ist harmlos wie ein Schaf.»

Als lammfromm schildern Magnus auch seine Freunde aus der St.-Bonifatius-Kirchengemeinde in Sachsenhausen. Sie war ein Jahrzehnt lang G.s Lebensmittelpunkt. Als Zehnjähriger fuhr er mit der Kirche zum ersten Mal in eine Sommerfreizeit. In Kirchähr, einem Jugendfreizeithaus des Bistums Limburg, gefiel es ihm so gut, dass er als Jugendlicher dort selbst Kinderferien leitete. Für zehn- bis 14-jährige Kids organisierte »Maggi« Fußball- und Tischtennisturniere, verwahrte ihre 80 Mark Taschengeld, las im Gottesdienst Bibeltexte vor.

Zivildienst beim Roten Kreuz

»,Maggi« hat nie sein Alter raushängen lassen», erzählen die Jungs, deren Gruppenleiter Magnus war. «Er stellte sich auf eine Stufe mit uns, nie drüber. Vom Kopf her gehörte er eher zu uns als zu den Großen», sagt Andreas, 19, einer der Jungen aus dem Sommerlager. Die Boni-Kids, wie sich die Ferienclique von St. Bonifatius nennt, blieben die Freunde des 27-jährigen Jurastudenten. Für sie war er «keine Respektsperson, kein Vorbild, nur ein ganz normaler Kumpel». Mit ihnen zog er durch die Ebbelwei-Kneipen Alt-Sachsenhausens und ins Waldstadion, um die Eintracht anzufeuern. Offensichtlich fühlte sich Magnus bei ihnen sicherer als unter Gleichaltrigen. Warum? Gerichtspsychologen werden es zu ergründen versuchen.

Pädophile Neigungen jedenfalls, die G. auf der Suche nach einem Mordmotiv in der Presse angedichtet wurden, haben die jungen Burschen nie an ihm bemerkt. Und sein Freund Guido, mit dem er jahrelang die Freizeiten leitete, hat »so was« bei Magnus auch nie erlebt. »Dabei hätte es genügend Gelegenheiten gegeben«, meint er, »und aufgefallen wäre es in all den Jahren sicher auch.«

So lebte Magnus G. in seiner kleinen Welt, ein echt »Sachsehäuser Bub«. Als er bei den Eltern auszog, nahm er sich eine kleine Wohnung - in der Kissel-Siedlung auf der anderen Seite der Mörfelder Landstraße. Seinen Zivildienst leistete er beim Roten Kreuz - als Altenbetreuer in Sachsenhausen. Den Eintracht-Fußballfanklub, den er gründete, nannte er »South Force«. Sachsenhausen liegt am Südufer des Mains.

Doch irgendwann - vor zwei, drei Jahren, sagen seine alten Kumpels - begann »Maggi« sich zu verändern. Beim Studium lernte er andere Leute kennen. Vincent und Victor zum Beispiel, die Rechtsanwaltssöhne vom feinen Lerchesberg, deren Eltern ein Ferienhaus auf Ibiza hatten, in das sie den »Maggi« aus der Heimatsiedlung öfter mitnahmen. Basti und Arne, mit denen er in gestylten Schuppen wie dem Hopper's am Schweizer Platz rumhüpfte. »In unserer Clique gab es niemanden, der ein Problem damit gehabt hätte, mal zwei Wochen zum Skilaufen in die Alpen zu fahren«, sagt Arne cool. »Mein Vater mosert immer, ich lebte, als hätte ich ein Einkommen von 12.000 Mark.« »Rich Boys Club« nennen die Männer aus der Mordkommission »Maggis« neue Freunde. »Vergessen Sie das mit der Pädophilie«, sagt einer von ihnen, »der wollte an die Million!«

G.s Verteidiger wird nicht müde, seinen Mandanten als den netten Jungen von nebenan zu verklären. »Mit dem würden Sie Ihre Tochter zum Opernball schicken«, meint Rechtsanwalt Hans Ulrich Endres. Was der Advokat übersieht: Allein die Flanierkarte bei derart elitären gesellschaftlichen Ereignissen kostet ein paar hundert Euro. Das konnte sich »Maggi« gar nicht leisten.

G. hatte schon Mühe, das Tempo mitzugehen, das seine reichen Freunde vorlegten. Magnus gab Schülern Nachhilfeunterricht, jobbte als Promoter für Ravensburger Spiele in Kaufhäusern. Mit Kindern umgehen, das konnte er schließlich. Bei seinen Reisen von Stadt zu Stadt übernachtete er, um Hotelkosten zu sparen, in dem alten Honda Civic, den er von seinem Vater übernommen hatte. Mit so einer Karre imponiert man natürlich niemandem. Eines Tages kurvte »Maggi« mit einem schicken Mercedes CLK durch Sachsenhausen. Das sei sein Dienstwagen, erzählte er den Boni-Kids, den habe ihm die Rechtsanwaltskanzlei, in der er jobbe, zur Verfügung gestellt. Wahrscheinlich war er geliehen.

16-Jährige war die große Liebe

Frauen hatten bis dahin im Leben des Magnus G. keine Rolle gespielt. »Er war vielleicht nett«, meint sein Fußballkumpel R., »aber nicht der Typ, der Mädchen beeindruckte. Dazu war er zu schüchtern.« Kein Wunder, dass G.s erste wirkliche Freundin ein 16-jähriges Mädchen war: Katharina. G. lernte sie vor einem Jahr auf einer Party kennen. Im Mai wurde es ernst. »Es war seine erste große Liebe«, sagt Maria G., »als Mutter merkt man das.«

Für seine »Katha« tat »Maggi« alles. Morgens fuhr er sie zur Carl-Schurz-Schule, mittags holte er sie ab. Wenn sie ihre Schultasche vergessen hatte, brachte er ihr die auch noch zwischendurch. Teure Kosmetika kaufte sie sich von seinem Geld, Schickimicki-Markenklamotten schenkte er ihr. In die »Flitterwochen« nach Florida flog das junge Glück. Drei Wochen Sonne, Ferienhaus und Mietwagen inklusive. Anschließend ging G. noch mal mit dem Rich Boys Club zehn Tage in Ibiza auf Tour.

Über Katharina lernte Magnus die Metzler-Kinder näher kennen. Jakobs Schwester Elena geht in dieselbe Jahrgangsstufe der Carl-Schurz-Schule wie Katharina. Bruder Franz-Albert ist Eintracht-Anhänger wie »Maggi«, und die Frankfurter Fangemeinde ist nach dem Absturz in die zweite Liga überschaubar geworden. Auch Jakob von Metzler gehörte dazu. Der Kleine saß mit Vater Fritz in der VIP-Lounge. Manchmal holte Jakob auch seinen »Freund« Jan-Aage Fjörtoft in die Box der Wichtigmänner. Der Frankfurter Kult-Kicker aus Norwegen gratulierte dem kleinen Jakob persönlich zum achten Geburtstag. Der Schatzmeister des Vereins hatte den Stürmer mit Trikot und Wimpel zur Villa der Metzlers geschickt. In die ärmliche Zweizimmer-wohnung des Fanklub-Vorsitzenden »Maggi« hat sich noch nie ein Eintracht-Spieler verirrt. Aber Vater G. sponsert ja auch nicht die Eintracht.

Friedrich von Metzler hingegen, Miteigentümer der ältesten Privatbank am Platze, fördert den heimischen Fußballklub. Und nicht nur den. »Ich habe Vorteile von der Gesellschaft«, sagte er einmal. »Wenn es mir besser geht als anderen, sollte ich etwas zurückgeben.« Gemäß diesem Credo unterstützt die Bankiersfamilie Metzler, seit 100 Jahren von erblichem Adel, Kunst, Kultur und Wissenschaft ihrer Heimatstadt. Millionen fließen in Museen, Universität und Hospitäler. Sogar dem Alt-Sponti, früheren Currywurstbrater und heutigen Varieté-Betreiber Johnny Klinke aus Joschka Fischers Frankfurter Entourage griff Metzler diskret unter die Arme. Und Johnny verneigt sich vor dem edlen Spender: »Er ist der gute Banker. Die andern sind doch nur Funktionäre des Geldes, die diese Stadt nicht begriffen haben, die sich mit ihren Frauen draußen im Taunus in ihren Tablettenburgen verschanzen.«

Die Metzlers führen in der Tat ein vergleichsweise offenes Haus. Wer ziemlich weit oben in der Frankfurter Kulturszene ankommt, wird schon bald im Metzlerschen Salon der Gesellschaft vorgestellt. Besteht er die Musterung, stehen ihm in Frankfurt viele Türen offen.

Entführung seit Wochen geplant

Nicht nur Kulturgrößen haben Zutritt zur Villa an der Mörfelder Landstraße. »Klassenkameraden und Freunde der Kinder gingen ein und aus«, erzählt Hans Hermann Reschke, früherer Partner des Bankhauses »B. Metzler seel. Sohn & Co« dem stern. »Die Eltern sind relativ unprätenziös. Die Familie lebt schließlich seit 328 Jahren in Frankfurt, sie lebt in und mit ihrer Stadt.« Deshalb auch die Entscheidung, die Kinder in öffentliche Schulen zu schicken. »Natürlich leben sie mit diesem Reichtum im Hintergrund«, stellt Reschke nüchtern fest. »Aber sie wurden in dem Bewusstsein erzogen, dass sie auch Verantwortung tragen.« Bei Feiern in der Villa entzückte Jakob die Damen im Anzug mit Fliege. »Ein charmanter kleiner Kavalier«, schwärmt die Modejournalistin Jutta W. Thomasius.

Der kleine Kavalier ist tot. Getötet von Magnus G., dem netten jungen Mann aus der Kleine-Leute-Siedlung auf der anderen Seite des Bahndamms. Dem Studenten, der Geld brauchte, um mitspielen zu können im Rich Boys Club. Um einem 16-jährigen Mädchen, das er für seine große Liebe hält, etwas bieten zu können. Oder steckt noch mehr hinter der Tat? »Vielleicht gab es unheimliche Hassgefühle auf die Familie«, mutmaßt der Hannoveraner Kriminologe und Justizminister Professor Christian Pfeiffer. »Es könnte sein, dass sich der Täter als Verlierer fühlte und es nicht verkraftete, so nahe neben Menschen zu leben, die auf der Sonnenseite des Lebens standen, als Mäzene auftraten und ein großzügiges Leben führten.«

Seit Wochen hat G. die Entführung geplant, nach Einschätzung der Ermittler den Kontakt zu den Metzler-Kindern gezielt gesucht. Er chauffiert sie in seinem Wagen von der Carl-Schurz-Schule nach Hause, er wartet auf seine Chance. Er muss den kleinen Jakob allein erwischen.

Am Freitag vor den Herbstferien ist es so weit. Elena geht nach der Schule mit Freundinnen zum Brunch. Jakob fährt per Bus allein nach Hause. An der Haltestelle beim »Wienerwald« spricht G. ihn an, lockt ihn unter einem Vorwand in seine Wohnung gegenüber.

Tod beim Rollenspiel?

Nach dem stern vorliegenden Informationen drängt sich ein neuer Verdacht auf: Demnach könnte der Kinderfreund aus Sachsenhausen dem schmächtigen Kerlchen ein spannendes Rollenspiel vorgeschlagen haben: Entführung. Jakob könnte es mitgemacht haben. Wie die Kinder im kirchlichen Ferienlager, wenn der »Maggi« ihnen was vormachte. Bis das Spiel todernst wird. G. verknebelt dem Jungen erst den Mund und dann die Nase mit Klebeband. Jakob von Metzler erstickt qualvoll. Ins Bettlaken gewickelt, schafft der Mörder seine Leiche weg. Und fährt anschließend zum Kartoffelpufferessen bei den Eltern.

Magnus G.s Mutter Maria weiß nicht mehr, was sie denken soll. Nur eines weiß sie ganz sicher: Auch sie hat am vorletzten Freitag einen Sohn verloren. »Der Magnus, den ich geliebt habe, ist tot«, sagt sie. »Für den anderen Magnus, der im Gefängnis sitzt, muss ich jetzt da sein.«

Maria G. verdrängt nicht, dass ihr Sohn den Metzlers viel schlimmeres Leid angetan hat als ihr. Am Samstagnachmittag, im Schutz der frühen Dämmerung, ist sie zum Tor der Villa gegangen. Ganz allein hat sie vor dem Blumenmeer für Jakob gestanden, geweint und gebetet. Die Mutter bekommt die Bilder nicht übereinander: das helle, freundliche, das ihren lieben Magnus zeigt, und das finstere, bedrohliche des Mannes, der das hier verursacht hat. Maria G. hat das Bedürfnis, mit einer anderen Mutter darüber zu sprechen. Aber einfach zu klingeln, dazu fehlt ihr an diesem verregneten Herbstabend der Mut.

Werner Schmitz

Mitarbeit: Gerd Elendt, Ingrid Eissele, Markus Grill, Detlef Schmalenberg, Regina Weitz, Tilman Wörtz

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