Südamerika Wie Paraguay zum Paradies für deutsche Querdenker und Rechte wurde

Ein Schild weist den Weg nach Nueva Germania, einer bereits 1887 gegründeten Stadt in Paraguay.
Ein Schild weist den Weg nach Nueva Germania, einer bereits 1887 gegründeten Stadt in Paraguay.
© Jerzy Dabrowski/ / Picture Alliance
Der Fall der mutmaßlich entführten Clara durch ihren Vater nach Paraguay wirft ein Licht auf eine Szene: Während der Pandemie sind immer mehr deutsche Impfgegner nach Paraguay ausgewandert. Sie hoffen auf eine Freiheit vor Corona-Regeln in einem Land, das hart vom Virus getroffen wurde.

Es sind Szenen, die zu Herzen gehen. Eine Mutter sucht ihre Tochter, mutmaßlich entführt von deren Vater und dessen neuer Frau. Nicht in ein anderes europäisches Land, sondern nach Paraguay in Südamerika. Die Geschichte von Anne Maja Reiniger auf der Suche nach ihrer Tochter Clara beschäftigt seit Tagen die Medien, die Familie jedoch schon seit Monaten. Ende November vergangenen Jahres kommt die Zehnjährige nicht von einem Ausflug mit ihrem Vater Andreas Egler zurück. Stattdessen erreicht die Mutter ein Abschiedsbrief. "Wir möchten euch hiermit darüber in Kenntnis setzen, dass wir unsere Wochenendreise mit den Kindern auf unbestimmte Zeit verlängern werden", heißt es laut dem "Spiegel" darin. Neben Clara verschwindet auch Lara, die Tochter von Andreas Eglers neuen Frau Anna. Über Madrid führt der Weg die Familie nach Paraguay, dem El Dorado für Impfgegner, Corona-Leugner, Rechte und Schwurbler.

Auch wenn sich nach Informationen des Spiegel vom Sonntagabend das Pärchen mit den Kindern den Behörden stellen will, wirft die Nachricht ein Licht auf die größer werdende deutsche Querdenker-Szene in Südamerika. In den ersten beiden Jahren der Pandemie hat sich das kleine südamerikanische Land zu einem Sehnsuchtsort für die entwickelt, die die Krankheit und die Impfung dagegen für eine Lüge vom Staat halten oder wahlweise für eine künstliche Erschaffung, um die Weltbevölkerung zu dezimieren. Alleine im vergangenen Jahr haben sich laut der paraguayischen Migrationsbehörde 3440 Deutsche in Paraguay niedergelassen. Die Welle der Einreisenden war mitunter so groß, dass die Hotels in der Hauptstadt Asuncion von Deutschen, aber auch anderen Europäern, ausgebucht waren. Sie treibt aber auch die Furcht vor einer möglichen Islamisierung ihrer Heimat ins Exil. Dass sie dabei mitunter in ein Land flüchten, in dem viele von ihnen noch nie waren und dessen Sprache sie womöglich auch nie sprechen, mag jeglicher Logik entbehren.

Paraguay: Querdenker versammeln sich in eigenen Kolonien

Doch in Paraguay ist man auch unter seinesgleichen: Bereits im Februar berichtete der stern von El Paraíso Verde, einem Projekt, bei dem Querdenker sich ihr eigenes Paradies erschaffen wollen. Nach eigenen Angaben leben bislang 3000 Deutsche, Schweizer und Österreicher in der 1600 Hektar großen Kolonie – bis zu 30.000 sollen es irgendwann laut dem österreichischen Gründer-Ehepaar Erwin und Sylvia Annau werden. "Ich bin ein Querdenker, so lange ich denken kann", heißt es in der Biografie von Erwin Annau auf der Homepage der Kolonie. Man sehe sich nicht als Sektenführer oder Gurus, sondern als "Gleiche unter Gleichen". In einem Interview mit dem deutschsprachigen Magazin "Wochenblatt" zählten die Annaus 2018 die fünf Gründe auf, warum Deutsche zu ihnen kommen, es liest sich wie ein Potpurri des Schwurbler-Einmaleins: Die Bürokratie, mit der die Menschen in Europa in ein Schema gepresst würden, die unkontrollierte Migration nach Europa, die Steuerlast, Wettermanipulationen und die Zwangsimpfung von Kindern. Der Zugang zu dem Gelände ist kaum möglich. Wegen Verstößen gegen die Quarantänebestimmungen rückte in der Hochzeit der Pandemie die Staatsanwaltschaft an und wunderte sich über bewaffnete Wachposten vor den Toren der Siedlung.

Dass jedoch im Inneren der Verschwörungsmythos gelebt wird, beweist die Kolonie regelmäßig auf Youtube. In Videos kommen dort Neuankömmlinge und Alteingesessene zu Wort, so auch Christian, Jessy und Eleni, die dreijährige Tochter des Paares. "Da wir schon lange alles was wir sehen und lesen als Propganda erfahren, wissen wir auch, dass alle Nachrichten und alles was über Südamerika in Europa und speziell in Deutschland erzählt wird, eine Farce ist", berichtet Christian darin – unterlegt wird das Video mit den in den Leugner-Kreisen üblichen Grafiken.

Für Einreise erst kein Impfnachweis nötig

Als Heilpraktiker emigrierte Uwe im November 2020 von Köln nach Paraguay, das Virus und seine Gefahren möchte er nicht leugnen. "Es ist eine übertragbare Krankheit, die kein Spaß ist", sagt er in einem Gespräch. Er sei aber außer bei einer Pflichtimpfung bei der Bundeswehr seit seiner Kindheit nie mehr geimpft worden. "Ich glaube nicht an den Impfschutz. Eigentlich ist das ein Geschäftsmodell, die wenigsten Impfungen sind wirklich sinnvoll", findet der Heilpraktiker. Er traue der Pharmaindustrie nicht.

Paraguay, ohne eigene Küste umgeben von Brasilien, Argentinien und Bolivien, gilt bei Auswanderungswilligen auch deshalb als attraktiv, weil Ausländer vor allem aus Europa einfach eine Ausnahmegenehmigung bekommen können und auch Land und Immobilien kaufen können. Dass man auch noch während der Pandemie ohne Imfnachweis einreisen konnte, war für viele Gegner noch ein Bonus. Im Januar änderte das Land jedoch die Regel, Einreisende mussten einen Impfnachweis erbringen. Impfgegner versuchten die Maßnahmen zu umgehen, indem sie illegal über Bolivien einreisten – für einige war aber an der Grenze Schluss. Seit Anfang Juni reichen laut der paraguayischen Migrationsbehörde jedoch auch wieder ein PCR-Test oder der Nachweis einer Genesung innerhalb der letzten zehn bis 90 Tage als Nachweis.

Vermittler ködern mit falschen Versprechungen

Geködert werden die Menschen dabei häufig in sozialen Medien von Vermittlern, die Deutschen und anderen Auswanderungswilligen Grundstücke und Häuser zu horrenden Preisen verkaufen. Gegenüber der Deutschen Welle berichtete Thomas Vinke, vor 17 Jahren nach Paraguay ausgewandert und als Dokumentarfilmer im Land hoch angesehen, dass viele Einheimische sich wegen der horrenden Preise keine Grundstücke mehr leisten können. Geködert werden sie auch mit der Aussicht auf eine Freiheit von allen Corona-Regeln. Eine Lüge, denn auch Paraguay erließ ein Pandemiegesetz, in öffentlichen Gebäuden gilt auch aktuell noch eine Maskenpflicht. Wer sich nicht daran hält, dem drohen drastische Geldstrafen oder 30 Tage Sozialdienst.

Als häufiger Grund für ihr Exil in Südamerika geben die Neubürger und die, die es noch werden wollen, in Foren an, dass die paraguayische Verfassung eine Einführung der Impfpflicht nicht erlaube. Ein Irrglauben, denn in Artikel 68 der Verfassung steht, dass der Staat Impfkampagnen verordnen kann. Der Staat ist sogar verpflichtet, im Interesse seiner Einwohner die Gesundheit zu schützen und zu fördern. Der Artikel geht sogar so weit, dass jede Person dazu verpflichtet werden kann, unter Achtung der Menschenwürde sich den "gesetzlich festgelegten Hygienemaßnahmen zu unterwerfen".

Ex Fußballprofi Andreas Egler postet Videobotschaft aus Paraguay
Ex Fußballprofi Andreas Egler postet Videobotschaft aus Paraguay
© RTL
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Dazu ist das Land bereits seit über 100 Jahren Auswanderungsziel von Deutschen. Damals siedelten verarmte deutsche Landwirte aus dem brasilianischen Grenzgebiet nach Paraguay über. Sie erkannten, dass der Boden ertragreich war und ließen sich in größeren Gemeinden nieder. Viele der deutschen Einwanderer sympathisierten damals schon mit den Gedanken des Nationalsozialismus – bereits vor 1933 existierte in Paraguay eine Ortsgruppe der NSDAP. Nach dem Weltkrieg flohen Nazi-Größen wie der KZ-Arzt Josef Mengele in das kleine Land und tauchten dort unter.

Eine der Gemeinden, die noch heute existiert, ist Hohenau. Eine Stadt im Südosten des Landes mit rund 15.000 Einwohnern. Alleine dort haben sich im vergangenen Jahr laut der Tourismusbehörde über 1000 Deutsche niedergelassen – die meisten von ihnen Impfgegner. Viel Sympathie für ihre Einstellung schlägt ihnen aber nicht entgegen, weder in Hohenau noch in Paraguay. "Die meisten, die kommen, sind nicht geimpft", sagte der Bürgermeister von Hohenau, Enrique Hahn, kürzlich in einem Interview. "Sie müssen wissen, dass es auch hier Gesetze gibt." 

Paraguay wurde hart von der Corona-Pandemie getroffen

Das Land selbst wurde von der Pandemie hart getroffen. Jeder Zehnte der sieben Millionen Einwohner erkrankte an dem Virus, fast 19.000 Todesfälle stehen in der Statistik für das Land, das in der Impfquote in Südamerika ganz schlecht dasteht. Weil das Geld fehlt, vertraut man in dem Land auf gespendete Impfstoffe der Covax-Initiative. Die Impfstoffe trafen spät ein, bislang haben nur 54 Prozent der Bevölkerung überhaupt eine Impfung bekommen – im Nachbarland Brasilien sind es 86 Prozent, Spitzenreiter in Südamerika ist Chile mit 94 Prozent.

Zahlreiche Auswanderer sollen zuletzt aber dem Land auch wieder den Rücken gekehrt haben. Sprachprobleme, geringe Verdienstmöglichkeiten, das extreme Klima und Mentalitätsunterschiede treiben Auswanderer zurück, wie es in einschlägigen Internetforen heißt. "Die Frage ist, ob die Leute sich integrieren. Die meisten lernen nicht wirklich Spanisch, da hakt es dann", sagt Auswanderungshelferin Eveline Huber. "Wer sich nicht integriert, wird schnell wieder zurückgehen."

sei / mit DPA

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