Missouri, USA Eine Richterin verurteilte Bobby Bostic zu 241 Jahren Haft – Nun half sie, ihn aus dem Gefängnis zu holen

USA: Bobby Bostic im Jahr 2014
Bobby Bostic im Jahr 2014. Sein Fall hat in den USA sogar ein neues Gesetz nach sich gezogen.
© Robert Cohen / Picture Alliance
Bobby Bostic wurde 1995 in Missouri, USA zu einer Gefängnisstrafe von 241 Jahren verurteilt. Nun hat ausgerechnet die Richterin, die ihn einst schuldig gesprochen hatte, dabei geholfen, ihn aus dem Gefängnis zu holen.

Auf die Frage, welchen Ort er nach seiner Haft als erstes besuchen wolle, antwortete Bobby Bostic: Das Grab seiner Mutter in St. Louis. Es war zugleich die letzte Stadt, die er 1995 als freier Mann betrat. Dass er nun nach 27 Jahren die Möglichkeit bekommt, noch einmal etwas anderes zu sehen als die Mauern des Hochsicherheitsgefängnisses Jefferson City Correctional Center, grenzt an ein Wunder. Und maßgeblich für dieses Wunder verantwortlich: Evelyn Baker – die Richterin, die ihn vor fast drei Jahrzehnten zu einer Haftstrafe von 241 Jahren verurteilt hatte.

Der Fall Bobby Bostic: Richterin verurteilte ihn zu 241 Jahren Haft – und hilft dabei, ihn aus dem Gefängnis zu holen

Bostic war Mitte der 1990er in eine Reihe von Raubüberfällen verwickelt, bei dem unter anderem ein Projektil aus einer Handfeuerwaffe einen Mann streifte. 1995 wurde dem damals 16-Jährigen deshalb der Prozess gemacht. In der Überzeugung, dass Bostic ein hoffnungsloser Fall war, zeigte die damalige Richterin Baker keine Gnade. Sie sprach ihn in 17 Anklagepunkten schuldig und ordnete an, dass er die Strafen nacheinander zu verbüßen hatte. Für Bostic bedeutete dies: 241 Jahre Haft im Hochsicherheitsgefängis von Jefferson City, Missouri. Früheste Antragstellung auf Bewährung: 2091, im Alter von 112 Jahren.

Eigentlich wäre sein Leben mit 16 Jahren schon beendet gewesen. Doch Bostic änderte sich im Gefängnis. Er wollte etwas aus seinem Leben machen – soweit das möglich war. Also begann er, zu lesen – und zu schreiben. Kurzgeschichten, Prosa, Gedichte, insgesamt 15 Bücher, unter anderem die Biografie seiner Mutter. Er machte einen Bachelor-Abschluss in Wirtschaft. "Wenn man so viele Fehler gemacht hat, wird man müde und will etwas anderes machen", sagte er. Er fand Frieden in seinen Büchern. 

Er fühle keinen Zorn gegenüber Baker, die ihn zu einem Leben hinter Gittern verurteilt hatte, sagte er später in einem Interview, wie der US-amerikanische Sender CBS News berichtet: "Es motivierte mich, zu sagen: 'Eines Tages, wenn ich jemals rauskomme, werde ich sie sehen. Und sie wird den Fehler erkennen, den sie gemacht hat, wenn sie sieht, was für ein Mensch ich geworden bin", sagte er.

Baker: "241 Jahre sind Wahnsinn, wenn ich daran zurückdenke"

Dieser verblüffende Wandel beeindruckte viele Menschen in den USA. Sie gründeten eine Initiative, um die Haftzeit prüfen zu lassen – mit dabei: Richterin Evelyn Baker.

"241 Jahre sind Wahnsinn, wenn ich daran zurückdenke", sagte sie in einem Interview mit dem Reporter Erin Moriarty im Jahr 2021. "Er war ein Kind, ein kleiner Junge." Baker gab zu, dass der Fall sie verfolgte und dass auch sie sich im Laufe der Jahre veränderte. "So wie er sich entwickelt hat, habe ich mich entwickelt."

Doch jahrelang fanden die Aktivisten keine rechtliche Handhabe, um Bostic eine Chance auf Bewährung zu verschaffen. Also erhöhten sie den Druck auf die Politik – mit Erfolg. 2021 setzte der republikanische Abgeordnete Nick Schroer aus O'Fallon erfolgreich ein Gesetz durch, das es Jugendlichen, die zu 15 Jahren oder mehr verurteilt wurden, ermöglicht, nach Verbüßung von 15 Jahren Haft auf Bewährung entlassen zu werden. Die Medien nannten es das "Bobby Bostic-Gesetz".

Am 9. November 2021 fand seine Bewährungsanhörung statt. Und ausgerechnet Evelyn Baker, die Frau, die Bostic lebenslänglich ins Gefängnis geschickt hatte, meldete sich zu Wort und forderte seine Freilassung. "Es war an der Zeit, dass Bobby nach Hause kommt und bei seiner Familie ist. Er war nicht das Kind, das ich verurteilt hatte", erklärte Baker später.

Das "Bobby Bostic-Gesetz" gibt vielen verurteilten Jugendlichen in den USA eine zweite Chance

Ende vergangenen Jahres gab der Bewährungsausschuss Bostic einen Termin, an dem er nach Hause konnte: 9. November 2022 – ein Jahr nach seiner Bewährungsanhörung und knapp 27 Jahre nach seinem Haftantritt. Keines von Bostics Opfern hatte Einwände gegen seine Freilassung, und eines von ihnen schrieb sogar einen Brief, in dem es diese befürwortete. 

Landesweit erhalten seit dem "Bobby Bostic-Gesetz" immer mehr Häftlinge, die als Jugendliche verhaftet wurden, eine zweite Chance. In Missouri ist keiner der im vergangenen Jahr entlassenen Häftlinge erneut straffällig geworden oder ins Gefängnis zurückgekehrt.

Bostic plane, Thanksgiving mit seiner Familie und Baker zu verbringen. Dass einige Menschen nicht der Meinung seien, dass verurteilte Jugendliche eine zweite Chance erhalten sollten, verstehe er: "Im Grunde haben sie ein Recht darauf, so zu denken", sagte er.

Es liege an uns allen, den Jugendlichen, die rauskommen und eine zweite Chance bekommen, neue Möglichkeiten aufzuzeigen, so Bostic. Am vergangenen Mittwoch kehrte er zurück nach St. Louis. "Das ist perfekt, ich kenne die Stadt. Auch wenn ich sie erst einmal neu kennenlernen muss."

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